"Der lange Tag der Flucht"an der HLW Braunau

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Während die Politik Flüchtlingsobergrenzen debattiert und Grenzschutzzäune beschließt, handelt man an der HLW Braunau sehr pragmatisch. Jugendliche aus Flüchtlingsfamilien haben dort Gelegenheit, ihre Tage strukturiert zu verbringen, am Schulalltag teilzunehmen, die deutsche Sprache zu erlernen und damit alle Vorbereitungen für eine rasche Integration zu treffen.

Am "langen Tag der Flucht", einem Projekt, das von Mag. Johanna Mallinger und MMag. Dr. Bettina Seidl durchgeführt wurde, kamen zwei Jugendliche zu Wort, die in berührender Weise von den Gründen und den Strapazen ihrer Flucht erzählten.

Ein junger Mann aus Afghanistan berichtete eindringlich, wie sein Vater von den Taliban unter Druck gesetzt wurde. Sie boten Geld dafür, dass der Mann seine Kinder den Taliban überlasse und sie zu Selbstmordattentätern würden. Die Weigerung wurde mit Gewalt bestraft. Aber auch von der afghanischen Polizei ging Bedrohung aus, weil diese dem Vater Zusammenarbeit mit den Taliban unterstellte. Er wurde ins Gefängnis gebracht und zwei Monate festgehalten. Dann schlug man ihm vor, seine dreizehnjährige Tochter einem vierzigjährigen Polizisten als Ehefrau zu überlassen, damit er freikomme. Der Vater gab vor, er wolle seine Familie befragen, um das Gefängnis verlassen zu können. Nun stand fest, dass die Familie schleunigst das Land verlassen müsse, um das Leben der Kinder zu retten.
Eine beschwerliche und vor allem gefährliche Flucht, die über einen Monat lang dauerte, wurde nun von der fünfköpfigen Familie in Angriff genommen. Elf Tage dauerte es, bis sie mit unzähligen anderen Flüchtlingen von Pakistan aus die iranische Grenze erreichten, die sie nicht auf einer befahrbaren Straße, sondern nur in der Wildnis der Berge überqueren konnten. Viele Leute verloren ihr Leben, weil sie von iranischer Polizei beschossen wurden.
Als die Familie im Dezember von der Türkei aus Griechenland erreichen wollte, war es bereits sehr kalt, die starken Regenfälle erschwerten die Überfahrt. Auch waren die kleinen Boote hoffnungslos überfüllt, so dass der junge Mann Zeuge wurde, wie Boote einfach kenterten und Menschen ihr Leben im Meer verloren.
Mit Bussen und dem Zug ging es weiter über Mazedonien nach Serbien, Kroatien, Slowenien und schließlich nach Österreich. Die Massen von Menschen bekamen nicht immer ausreichend zu essen, die Grenzübergänge zu passieren wurde durch Polizei und den riesigen Ansturm von Flüchtlingen erschwert.
Nun aber lebt der junge Mann im Bezirk Braunau und ist sehr dankbar dafür, dass er und seine Geschwister in der HLW Braunau aufgenommen sind und die Gelegenheit haben, ihre Fähigkeiten zu nützen und an ihrer Zukunft zu bauen.

Ein anderer Achtzehnjähriger aus Syrien berichtete über die Kriegswirren und die ständigen Bombenabwürfe in Aleppo. Jeden Moment konnte man Opfer einer solchen Bombe oder erschossen werden. Dem Leben in dieser Kriegshölle zu entkommen, war das Ziel seiner Familie im Jahre 2015. Als sich die Familie in der Türkei einem Schlepper überließ, musste sie feststellen, dass das Geld nicht für alle reichte. Der älteste Sohn blieb in der Türkei zurück, um sich dort das Geld für die weitere Flucht zu verdienen. Er bekam Arbeit als Dolmetscher für Kurdisch, Arabisch und Türkisch auf dem Flughafen von Aksaray, kochte Kaffee, den er verkaufte, bot Touristen Hotels und Ausflüge an, und vor allem musizierte er auf der Straße, was ihm auch Geld einbrachte. Ein solcher Arbeitstag war lang und beschwerlich, aber auch einträglich. Als er noch vor Wintereinbruch die Überfahrt nach Griechenland wagte, geriet das Boot in Seenot, die Insassen wurden in die Türkei zurückgebracht. Der zweite Anlauf verlief dann erfolgreich.
Auch dieser Jugendliche gelangte unter großen Anstrengungen mittels Bus über Mazedonien und Serbien nach Ungarn und schließlich nach Österreich. In Braunau verließ er die Gruppe von Flüchtlingen, die allesamt weiter nach Deutschland wollten. Via Handy wusste er, dass sich seine Familie in Österreich befand, wo er sie auch bald ausfindig machte.
Dieses Beispiel zeigt eindringlich, was einem so jungen Leben schon abverlangt wird, welchen Gefahren es ausgesetzt ist, und dass eine solche Flucht vielfach der einzige Ausweg ist, um wieder ein Leben in Ruhe führen zu können.

Das junge Publikum der HLW Braunau lauschte gespannt den Ausführungen der beiden Flüchtlinge. Wenn man Menschen direkt gegenübersteht, sie als Einzelindividuum wahrnehmen kann, lösen sich ihre Erzählungen aus der kollektiven Berichterstattung und erreichen die Zuhörer auf rationaler, aber vor allem auf emotionaler Ebene. Die Schülerinnen und Schüler der HLW ließen sich berühren, und der/die eine und andere unter ihnen hat an diesem langen Tag der Flucht sicher den Blick auf die Problematik insgesamt verändert und wohl auch den Vorsatz gefasst, den Neuankömmlingen den Start in ein neues Leben zu erleichtern. Sie können durch Offenheit und Rücksichtnahme einen Beitrag dazu leisten, dass sich diese Jugendlichen in unsere Gesellschaft integrieren und zu einem wertvollen Mitglied unserer Gemeinschaft werden.

Die Betroffenen sind also mittlerweile Schüler der 1. Fachschulklasse für >wirtschaftliche Berufe. Diese umfasst 29 ganz unterschiedliche Jugendliche aus unterschiedlichen Herkunftsländern. Mag. Johanna Kirmann, bildnerische Erzieherin an der HLW, nahm diesen Umstand zum Anlass, mit der Klasse einen Kurzfilm zu gestalten, der auch am langen Tag der Flucht gezeigt wurde. In kleinen Sequenzen treten die Schülerinnen und Schüler vor die Kamera und bekennen sich blitzlichtartig in ihrer jeweiligen Muttersprache zu ihrer Heimat, ihrer Kultur und zu ihren Mitmenschen: 29 Jugendliche, 29 Identitäten, aber alle Brüder und Schwestern EINER Welt.

Beendet wurde diese Veranstaltung durch musikalische Darbietungen eines der beiden Flüchtlinge, der in seinen Liedern seine zurückgelassene Heimat und die Liebe besang. Der junge Sänger ließ aufhorchen durch die Eindringlichkeit der Darbietung, eine bemerkenswerte Stimme und die sichtliche Freude an der Musik. Es wäre ihm ein Anliegen, sein Talent auch vor einer gewissen Öffentlichkeit unter Beweis zu stellen, vielleicht gibt man ihm Gelegenheit dazu.

Abschließend gilt es, Mag. Johanna Mallinger, MMag. Dr. Bettina Seidl und Mag. Johanna Kirmann zu danken, denen junge Menschen auf der Flucht ein Anliegen sind, auf deren Schwierigkeiten und Bedürfnisse sie aufmerksam machen wollen. Ihr Engagement ermöglichte es, dass diese Einzelschicksale nicht nur Gehör erlangten, sondern auch die Herzen der Zuhörerinnen und Zuhörer erreichten.

Und als letzte Information sei ergänzt, dass es an der HLW Braunau ab 14.11.2016 ein Lehrgangsangebot für Jugendliche ohne Kenntnisse der Unterrichtssprache Deutsch geben wird. Dieser Lehrgang mit der Dauer von November 2016 bis Juni 2017 wird den Neuankömmlingen dazu dienen, den Pflichtschulabschluss vorzubereiten und erfolgreich zu absolvieren.

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Foto: amixstudio/stock.adobe.com
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