Fortsetzung: Vertrieben (53)

Foto: Bayrischer Rundfunk

Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens

Autorin: U. Hillesheim ©

Vor uns ragt ein riesiger düsterer Bau auf: Schloss Janowitz. Rings ist er von Mauern oder festen Zäunen umgeben. Alle Eingänge werden strengstens von bewaffneten Tschechen bewacht. Bald wird unser Gepäck abgewogen und zugleich auch durchsucht. Was den Tschechen gefällt, wird uns abgenommen. Sieh da, wir haben angeblich zu viel an Gepäck, mehr als die erlaubten 50 Kilogramm. Augenblicklich müssen wir eines der Bündel hergeben. Zufällig enthält es unser ganzes Geschirr und all unser Besteck. Jetzt haben wir keinen Teller mehr, keine Gabel, keinen Löffel zum Essen. Beim Wegreißen hat sich das Bündel geöffnet und sein Inhalt fällt klirrend auf den Boden. Unsere versilberte Schale mit ihrem schön geflochtenen Rand gleitet heraus, hochwillkommen als Beute für die durchsuchenden Tschechen. Auf dieser Schale lag immer unser Weihnachtsgebäck. Auch eine Häkelarbeit von Roswitha rutscht aus dem Bündel hervor. Sie hatte begonnen, aus Wollresten kleine Kreise zu häkeln und diese mit schwarzer Wolle zu einer bunten Häkeldecke zusammen zu fügen. Diese Arbeit hatte ich immer bewundert. An Geschirr verbleiben uns lediglich drei kleine Töpfchen (das auf der Fahrt nach Stefanau verbogene Aluminiumtöpfchen, ein rötliches Emailtöpfchen und ein weiß emailliertes Maß).

Jetzt kommt es zur Körperkontrolle. Eine Tschechin tastet mich ab. Vor allem sucht sie am Hals und den Armen nach Schmuck. Wie durch ein Wunder entgeht ihr das Silberkettchen von Adelheid. „Aha, die geweihten Palmkatzeln“, glauben Adelheid und ich. Dann kommen wir in einen sehr großen Raum, der mit dreistöckigen Stockbetten dicht angefüllt ist. Nur äußerst schmale Gänge finden sich zwischen den Bettreihen. Adelheid und ich ergattern zum Glück ganz oben ein Bett. In der Enge und Düsternis unten wäre es schrecklich gewesen. Und nun – nachdem die Kontrolle vorbei ist – dürfen wir die Mäntel und zwei der drei angezogenen Kleider ablegen. Wie froh sind wir da, denn natürlich haben wir ganz furchtbar geschwitzt.

In Janowitz bleiben wir einige Tage. Von der Verpflegung weiß ich nichts zu berichten. Wohl aber, dass uns Tante Rosi noch einmal besucht hat. Natürlich darf sie nicht hinein in das Lagergelände, aber sie steht draußen am Zaun und reicht uns Essen hindurch. Gutes Osteressen ist das: Kuchen und Zickelfleisch, wahrscheinlich auch Milch, Wurst und Brot.

Nach drei Tagen bringt man uns zum Bahnhof nach Römerstadt, das in der Nähe von Janowitz liegt. Hat man uns dorthin gefahren oder mussten wir gehen? Ich weiß es nicht mehr. Ein sehr langer Zug mit 40 Viehwagen ist bereit gestellt worden. Mit anderen Mohrauern kommen wir in den Wagen Nr. 7. Die Türen werden zugeschoben und von außen verschlossen. Licht dringt nur durch winzige Fensteröffnungen und durch die Ritzen der Holzplankenwände herein. Nun fahren wir los ins Ungewisse – es ist dreiviertel sechs Uhr am Abend.

Etwa 30 Menschen befinden sich im Wagen. An seinem hinteren Ende liegt hochgetürmt das Gepäck. Es herrscht gedrängte Enge. Konnten die Leute am Boden liegen? Wir haben sie nachts geschlafen? Zur Verrichtung der Notdurft ist ein Eimer bereit gestellt. Wir größeren Kinder tun uns zusammen, klettern auf den hohen Gepäckhaufen und machen uns dort ein Plätzchen zurecht. Mit dem David Kurt (zwei Jahre älter als wir) haben Adelheid und ich uns bald angefreundet. Dort oben auf den vielen Packen und Bündeln ist nun unser Platz bis zum Ende der Fahrt. Da haben wir es sogar weich beim Sitzen und Schlafen und wir haben mehr Raum als in der Menge im übrigen Wagen.

Ein schwer bewaffnete Wachmannschaft begleitet unseren Transport bis an die Grenze zu Deutschland. Werden wir verpflegt unterwegs oder müssen wir von den Vorräten leben? Auch daran habe ich keine Erinnerung. Nur dass vor Prag unser Zug hält und wir aussteigen dürfen, das weiß ich noch. Am Bahnhof gibt es eine Pumpe mit Wasser und alle rennen hin, um zu trinken und sich zu waschen. Im Abendlicht liegt vor uns Prag in der Ferne. Erst bei Dunkelheit setzt sich der Zug wieder in Bewegung und wir rollen bei Nacht durch die Stadt. Und diese Stadt ist hell erleuchtet. Überall aus den Fenstern, von den Straßenlaternen scheint gelbes, goldenes Licht. Feenhaft schön! Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich bewusst eine Stadt voller Lichter. Ich kann mich nicht satt sehen und glaube zu träumen.

Wir entdecken eine Ritze zwischen den Wagenplanken. „Ich habe ein Taschenmesser. Ich kann diese Ritze größer machen“. Vorsichtig, damit die Tschechen es nicht bemerken, erweitert Kurt den Ritz zu einer größeren Spalte. Nun haben wir Kinder einen guten Ausguck im Wagen. „Wenn wir die Grenze erreichen, schmeißen wir die gelbe Armbinde, das von den Tschechen erzwungene „Brandmal“, den Wachleuten vor die Füße und wir verhöhnen sie laut“. Das nehmen wir uns mit Kurt fest vor.

Und so ist es auch wirklich geschehen. Viele, viele der gelben Armbinden, die uns als Deutsche kenntlich gemacht und diskriminiert haben, flattern mit Jubelgeschrei aus den Wagen, als wie die Grenze nach Deutschland passieren. Nun sind wir in Sicherheit. Doch die Heimat, die ist verloren.

Fortsetzung folgt

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