Am Pilgerweg nach Rom - 1000Km erreicht

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Badia Prataglia, 24. September. Gestern Abend wurde ich als einziger Gast in der Herberge von Gigio, Koch und Züchter von Bansaibäumchen, kulinarisch verwöhnt, vor mir das wärmende Feuer im Brotofen. Eine einfache Herberge in den Bergen, die Gigio und seine Schwester bewirtschaften, und beide schenken einem Fröhlichkeit, als sei das gesamte Restaurant voll.
So konnte ich wohlgenährt in die heutige Königsetappe gehen, wie sie in den Beschreibungen meines Wanderführes benannt wird. Habe offensichtlich ein bisschen zu intensiv gelesen, denn nach gegangenem Tagewerk war ich froh, dass sich all das, was sich in den Träumen der Nacht so dramtisch dargestellt, durch die Realität des Gehens relativiert hat. "Fast unbemerkt und locker" habe ich den höchsten Punkt meiner Pilgerreise erreicht: Pioggio Scali, 1530m. Und irgendwo auf diesem Tagesweg habe ich die 1000 Kilometer, also zwei Drittel meines Weges nach Rom, erreicht. Am Pass tun sich besondere Aussichten auf. Natur kann bewegen. Und ein junges Paar macht ein Selfie nach dem anderen und ist so wunderschön verliebt. Ich störe, damit ich nicht auch ein Selfie von mir und meiner Aussicht machen muss, und frage, ob sie von uns beiden, der Aussicht und mir, eine Foto knipsen kann.
Eine großartige Etappe, kein Asphalt, nur Pfade, Hohlwege und fast die gesamte Zeit pilgert man in unberührten Buchenwäldern. Naja, in zahlreichen Stämmen wurden in die Rinde Liebesbekenntnisse geritzt. Die Jahre haben die Schrift größer werden lassen, so wie hoffentlich auch die Liebe größer geworden ist. Ich denke an meine Kindheit und an meine Buche. Ob sie noch steht?
Im Traum habe ich den Gipfel kläglich nicht erreicht, im wirklichen Leben doch. So ist es mir eigentlich lieber. Traum und Wirklichkeit - oft ist es umgekehrt.
Morgen breche ich nach La Verna auf, ein besonderer Ort für den hl. Franziskus, der Ort seiner Wundmale - Stigmata.
Vor ein paar Tagen habe ich die bisher einzigen Pilger getroffen. Zwei junge Frauen, Chiara aus Padua und Giulia aus Bologna, pilgern immer wieder ein paar Etappen Richtung Rom. Giulia spricht gut Deutsch und studiert Physik. Und ich habe von ihr eines gelernt: Im Gehen, Schritt für Schritt, gehst du irgendwann über dich selbst hinaus. Der rein mechanische Vorgang - Teil der Physik - steigert sich ins Metaphysische. Es übersteigt alles Berechenbare, alles Beweisbare. Im Gehen über sich hinaus gehen, vielleicht hin zu einem größeren Du, zu einem Du, dem ich den Namen Gott gebe, dorthin gehen und kommen, wo Seine barmherzigen Hände offen sind wie beim Gleichnis vom barmherzigen Vater, der seinen gestrauchelten Sohn willkommen heißt und ein ganz großes Wiedersehensfest anzettelt.

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