Flüchtlingsessen wird von 1.300 km angekarrt

Auf dem Etikett steht es eindeutig: Das Essen kommt aus Deutschland.
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INNSBRUCK. Ärger in der regionalen Wirtschaft: Kürzlich wurde publik, dass das Essen für Flüchtlinge in Vollversorgerunterkünften von einer deutschen Firma – "apetito" – geliefert wird. Betreiber der meisten Tiroler Vollversorgerheime sind die Tiroler Sozialen Dienste (TSD) und die versuchen diese Info zu entschärfen: "Die Mahlzeiten werden aus Böheimkirchen geliefert."

"Das Essen von 'apetito' basiert auf tiefkühlfrischen Menükomponenten, die in Rheine vorgekocht werden."

Markus Päsler, Pressesprecher der Firma "apetito" mit Sitz in Deutschland

Dies liegt 426 Kilometer von Innsbruck entfernt. Entweder wissen die Tiroler Sozialen Dienste nicht, woher das Essen für die Flüchtlinge kommt, oder man wollte die Öffentlichkeit absichtlich in die Irre führen. Nun bestätigt die Firma "apetito" nämlich das Gegenteil: "Das Essen von apetito basiert auf tiefkühlfrischen Menükomponenten, die in Rheine in Deutschland bis zu einem bestimmten Garpunkt vorgekocht werden." Rheine befindet sich in Nordrhein-Westfalen, fast 1.000 km von Böheimkirchen (Niederösterreich) entfernt. Dort wird das Essen für die Flüchtlingsunterkünfte verteilt – so kommt es über weitere 400 km nach Innsbruck. Nicht nur, dass das Essen durch halb Europa gekarrt wird, auch soll es ungenießbar sein.

"Latschige Pommes"

Dass die Essensversorgung in einem Flüchtlingsheim nicht von höchster Qualität ist, wird die wenigsten LeserInnen erstaunen. Schwerwiegende Vorwürfe gegenüber dem Betreiber gibt es trotzdem: Die Flüchtlinge bleiben oft hungrig, außerdem sei das Essen ekelerregend. Verbildlicht wird es von Ex-Mitarbeitern der TSD und den Flüchtlingen ebenfalls: "Latschige Pommes, winzige Portionen, abgezähltes Brot. Oft bleibt man einfach hungrig." Das STADTBLATT wollte wissen, wer dafür verantwortlich ist.


Heim am Hofgarten
Das Heim am Hofgarten und das Flüchtlingsheim in der alten Tennishalle am Paschbergweg werden durch die deutsche Firma 'apetito' verköstigt.


Kühlkette: 1.300 km lang

"apetito" ist eine deutsche Firma und beliefert seit Anfang 2014 Kindertagesstätten, Unternehmen, Senioreneinrichtungen und Flüchtlingsheime mit "landestypischen Spezialitäten" in ganz Österreich. Die Firma unterstreicht gegenüber dem STADTBLATT: "'apetito' achtet im höchsten Maße auf die Einhaltung der Qualitätsstandards sowie der gesetzlichen Hygienevorschriften ... Alle fertigen Menüs werden verkostet und abschließenden Laborkontrollen unterzogen." Die fast fertigen Speisen werden schockgefroren und tiefgekühlt transportiert. Ein 1.300 km langer Transportweg ist schwer zu kontrollieren. Ob und wo es dort zu Fehlern kommen kann, weiß keiner.

Keine Auskunft seitens der TSD

Seitens der TSD gibt es zum Thema "Qualität der Flüchtlingsversorgung"– trotz mehrfacher und mehrwöchiger STADTBLATT-Anfrage – keine Auskunft. Dabei blieben viele Fragen offen, wie beispielsweise das Auswahlverfahren aussah, nach welchem man sich für "apetito" entschied, wie viel die Flüchtlingsverköstigung pro Kopf kostet bzw. was passiert, wenn ein Flüchtling hungrig bleibt. Die Qualität des Essens könnte auch durch eine falsche Zubereitung beeinträchtigt werden: "Die Mitarbeiter vor Ort bereiten die tiefgekühlten Menüs in entsprechenden Geräten – z. B. einem Kombidämpfer – zu. Die Zubereitungsangaben stehen auf den Etiketten der Produkte", gibt "apetito" Auskunft über den Vorgang.

Ein Überblick

Es gibt insgesamt zwei Arten der Flüchtlingsunterkunft: Selbstversorgerheime oder Vollversorgerheime. In ersteren können Flüchtlinge selbst kochen und bekommen zirka 200 Euro im Monat. In Vollversorgerheimen stehen den Flüchtlingen monatlich um die 50 Euro zur Verfügung. Hier sind Kochplatten und Co. aus brandschutztechnischen Gründen nicht erlaubt, daher ist eine alternative Verköstigung nicht nur wegen der finanziellen Situation, sondern auch der organisatorischen unmöglich.

Zur Sache

Die Firma "apetito" beliefert seit vielen Jahren Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland und seit Anfang 2014 auch in Österreich. Ihre Produktionsstätte ist in Rheine in Deutschland. Böheimkirchen (Niederösterreich) fungiert als Verteilungsstelle. Bei der ersten STADTBLATT-Anfrage antwortete die TSD auf wenige Fragen – eine von ihnen war, warum man diese Firma gewählt hatte: "Die Kriterien sind betriebswirtschaftlicher Natur. Als 100%ige Tochtergesellschaft des Landes haben wir den öffentlichen Auftrag, kosteneffizient zu wirtschaften. Der Zuschlag für die Firma 'apetito' erging daher auf Empfehlung der Bundes-Beschaffungsgesellschaft. Diese ist der größte Einkaufsdienstleister der öffentlichen Hand in Österreich und erfüllt auch die Aufgabe, durch Bündelung und Standardisierung des öffentlichen Einkaufs einen Beitrag zur Senkung von öffentlichen Ausgaben zu leisten."

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