Die "Renaissance" des Dialekts
In Österreich sind Dialekte und Umgangssprachen fest verankert. Dennoch verändern sie sich.
BEZIRK (wey). „Die Mundart ist die Sprache des Herzens. Sie ist ehrlich, emotional, manchmal auch derb und grob. Man redet aus dem Bauch heraus“, sagt der bekannte Mundartdichter Joschi Anzinger aus Linz. Dennoch verändern sich Dialekte ständig, wie Stephan Gaisbauer vom Stifterhaus Linz erklärt. "Eine Sprache ohne Wandel ist undenkbar. Neue Lebensweisen oder Techniken bedürfen neuer Vokabel. Es ist nicht zu befürchten, dass unsere Dialekte irgendwann aussterben. Die kleinräumigen Ortsdialekte entwickeln sich hin zu großräumigen Regiolekten: Während man früher etwa Oberschlierbacher und Micheldorfer relativ deutlich unterscheiden konnte, findet sich heutzutage im Kremstal ein relativ einheitlicher Dialekt. Mit zunehmender Entfernung vom Zentralraum steigt auch die `Ausgeprägtheit´ des Dialekts. Hinterstoder ist sprachlich konservativer als Kremsmünster."
"Ich sehe bei der Mundart wenig Überlebenschancen", sagt hingegen der Heimatforscher und ehemalige Lehrer Rudolf Stanzel aus Windischgarsten. "Viele mundartliche Ausdrücke aus Handwerk und Landwirtschaft sind schon verloren. Niemand braucht mehr einen Rahmzweck, einen Hüfl oder einen Lan. Darum verschwinden auch die Namen dieser Gegenstände."
Jörg Strohmann vom Heimatverein Windischgarsten spricht hingegen von einer Renaissance des Dialekts. "In einer globalisierten Welt will man die Eigenheiten einer Region erhalten und pflegen. Trotzdem ist ein Verlust an Mundartausdrücken erkennbar. Das heißt aber nicht, dass damit der Dialekt ausstirbt. Mit der Modernisierung kommen neue Begriffe, die wir ebenfalls so aussprechen, wie uns `der Schnabel gewachsen ist´." Wie es im Unterricht ausschaut, erklärt Franz Soldan von den Berufsbildenden Schulen Kirchdorf. "Schüler kennen keinen Dialekt mehr, außer sie stammen von Bauern ab. Die Umgangssprache unter den Schülern ist ein Jugendjargon mit vielen Modewörtern. Das Vokabular ist stark von Fernsehsendungen beeinflusst." Dass SMS, e-Mails oder Facebook-Einträge vermehrt im Dialekt geschrieben werden, stellt Ingrid Maria Hackl vom Stelzhamerbund fest. "So gesehen erlebt der Dialekt gerade eine Aufwertung", sagt die Autorin. Sie schreibt Lyrik in Mundart, etwa bei den „Dorfpoeten“ im Bezirk. Infos: www.stelzhamerbund.at.
Die "Wenkerbögen"
Der Deutsche Georg Wenker stellte 40 Sätze zusammen und verschickte diese im Jahr 1879, vorgedruckt auf zwei Bögen, an deutschsprachige Schulen. Die Lehrer hatten die Aufgabe, diese Sätze in die von den Kindern gesprochenen Dialekte zu übersetzen und lautgetreu niederzuschreiben. Er verschickte 50.000 Bögen. Die Auswertungen und Aufzeichnungen dauerten 44 Jahre.
Wenker entwickelte einen Sprachatlas, in dem er die Dialektgrenzen verdeutlichte. Lange war dieser Sprachatlas vergessen. Forscher haben ihn im Archiv von Marburg wieder entdeckt und bearbeiten ihn seit 2001. Man kann die Daten heute im Internet abrufen.
Auch die Schule in Kirchdorf an der Krems (und viele andere im Bezirk) hat sich damals beteiligt und den vorgedruckten „Wenkerbogen“ ausgefüllt. Siehe http://regionalsprache.de/Wenkerbogen/WenkerbogenViewer.aspx?Id=71196
Der erste Satz im Bogen lautete: Im Winter fliegen die trockenen Blätter durch die Luft herum. Anno dazumal sagte man in Kirchdorf: En Winta fliagn dö druggan Bladl umana(u)nd. Hört sich fast gleich an wie heute. Beim dritten hochdeutschen Satz ist die Satzstellung interessant: Thu Kohlen in den Ofen, daß die Milch bald an zu kochen fängt. Es wurde übersetzt mit: Le(ö)g ei(n), das d‘Mülö siarad wird. Heute würde ich sagen: Drah mehr auf, dass d‘Müch boid kocht. (von Ingrid Maria Hackl)
www.stelzhamerbund.at
www.diedorfpoeten.wordpress.com
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