Existenzfragen statt Graugänse

Den Forschenden biete das Konrad-Lorenz-Institut nicht weniger als die Rahmenbedingungen für ein Abenteuer, so dessen wissenschaftlicher Direktor Johannes Jäger: "Die Forschung ist ein Abenteuer. An einer Universität ist dieses Abenteuer fast nicht mehr möglich, weil man keine Risiken nehmen kann, ohne die Karriere zu gefährden." | Foto: Cornelia Grobner
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  • Den Forschenden biete das Konrad-Lorenz-Institut nicht weniger als die Rahmenbedingungen für ein Abenteuer, so dessen wissenschaftlicher Direktor Johannes Jäger: "Die Forschung ist ein Abenteuer. An einer Universität ist dieses Abenteuer fast nicht mehr möglich, weil man keine Risiken nehmen kann, ohne die Karriere zu gefährden."
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KLOSTERNEUBURG (Printausgabe, 28. September 2016). Hinter den mittelalterlichen Mauern des Klosterneuburger Kremsmünsterhofs forscht am Konrad-Lorenz-Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung (KLI Klosterneuburg) ein Dutzend internationaler WissenschafterInnen – vom Doktoranden bis zum emeritierten Professor. Seit einem Jahr ist der Schweizer Johannes Jäger wissenschaftlicher Direktor des Instituts mit seinem einzigartigen Schwerpunkt auf Biologie und Wissenschaftsphilosophie. Die Bezirksblätter haben ihn zum Interview getroffen.

Bei Konrad Lorenz denkt man an Verhaltensbiologie und Graugänse. Solche halten Sie hier aber nicht oder?
JOHANNES JÄGER: „Gänse werden Sie keine finden, nein. (lacht) Wir arbeiten auch nicht zu Verhaltensforschung. Hier wird Biologie betrieben. Ohne Labor. Das heißt, wir haben keine Tiere, sondern leisten theoretische Arbeit. Unsere Fellows denken und schreiben in der inspirierenden Atmosphäre des Kremsmünsterhofs. Die Öffentlichkeit in Österreich sieht im Unterschied zur Schweiz oder zu Skandinavien sehr geringen Wert in der Grundlagenforschung. Dem wollen wir gegensteuern. Wir heilen keine Krankheiten. Aber wir beschäftigen uns mit Fragen der Herkunft der Menschen, der Evolution. Wir fragen: Was ist das Leben? Es ist sehr wichtig, dass es einen Freiraum in einer Gesellschaft gibt, wo WissenschaftlerInnen diese und damit zusammenhängende Fragen angehen können. Das ist heute sehr schwierig.“

Sie werden die Anmerkung nicht zum ersten Mal hören, aber bei Konrad Lorenz kommt man auch nicht umhin, an die Nähe seiner eugenischen Ideologie zur so genannten "nationalsozialistische Rassenhygiene" zu denken. [1] Sie führen ihn nach wie vor im Institutsnamen ...
JOHANNES JÄGER: „Ja, wir haben eine Namensänderung diskutiert. Aber zum einen sind wir unter diesem Namen international bekannt und zum anderen setzen wir uns mit der Vergangenheit Lorenz’ auseinander. Wir haben sehr aktiv dazu beigetragen, dass heute praktisch niemand mehr denkt, dass Verhalten rein genetisch bestimmt ist. Diese Idee ist veraltet. Aber wir werden unsere Herkunft aus dem Altenberg-Kreis nicht unter den Teppich kehren, sondern wollen differenziert mit unserer Geschichte umgehen, statt sie zu vergessen. Eine Namensänderung hätte höchstens zum Vergessen beigetragen.“

Zurück zur Forschung an Ihrem Institut: Was werden die brennenden Fragen von gesellschaftlicher Relevanz der nahen Zukunft sein?
JOHANNES JÄGER: „Das potenziell schlimmste Problem ist meiner Meinung nach die Klimaerwärmung. Auch das Artensterben und das Zusammenbrechen komplexer Ökosysteme sind sehr beängstigend, weil wir die Zusammenhänge überhaupt nicht verstehen. Wir haben keine Ahnung, welche Auswirkungen unsere massiven Eingriffe in die Natur haben werden. Diese Themen stellen alles in den Schatten, worüber sich die Menschen heute – zu Recht – Sorgen machen. Die Konsequenzen dieser Veränderungen werden sehr schlimm sein. Denken Sie an die zu erwartenden Flüchtlingsströme ganzer Kontinente.“

Für zukünftige Horrorszenarien und der theoretischen Beschäftigung damit ist wenig Platz auf der aktuellen politischen Agenda.
JOHANNES JÄGER: „Ja. Und das wird sich auf kurze Sicht nicht ändern, weil der politische Wille dafür nicht besteht. Auf die nächsten Jahrzehnte gesehen wird das angesichts der bestehenden politischen Veränderungen vermutlich noch schlimmer werden. Eine neue Entwicklung ist, dass man der Wissenschaft einfach abspricht, Warnungen aussprechen zu können. Aber die Menschheit hat sich immer wieder auf die großen Fragen zurückbesonnen, wenn es eine große Krise gibt. Dann sind die wieder aktuell.“

Aber stecken wir nicht inmitten einer Krise?
JOHANNES JÄGER: „Die jetzige Krise wirkt sich noch nicht auf tägliche Lebensabläufe aus. Momentan sind wir erst dabei, in die große Krise Klimaerwärmung zu schlittern. Ich hoffe, wir haben genug dazugelernt, dass es nicht die ganz große Katastrophe braucht, um das wahrzunehmen. Nach dem zweiten Weltkrieg zum Beispiel ist die Grundlagenforschung in Europa aufgeblüht. Aber momentan geht es uns noch zu gut. Dann vergisst man diese großen Fragen. Dann ist man politisch gesehen nur mehr daran interessiert, Krankheiten zu heilen. Die Idee ist, dass man Grundlagenforschung überspringen kann und direkt angewandt forschen kann. Das ist eine Illusion. Aber es ist schwierig vorauszusagen, was die Grundlagenforschung produzieren wird und wie schnell. Wenn man an die Erfindung des Lasers denkt. Dieser Lichteffekt wurde schon in den 20er Jahren vorausgesagt, in den 50er Jahren wurden erstmals Laser gebaut, aber die moderne Laser-Technologie ist erst in den 80er Jahren aufgekommen. Dieser Zeitraum ist jenseits einer Politik, die auf kurzfristigen Profit und Produktivität zugeschnitten ist. Der Kapitalismus ist ein wahnsinnig schlechtes System für die Grundlagenforschung.“

Sie sind ein Kritiker des heutigen Wissenschaftsbetriebes, dessen Zukunft Sie pessimistisch stimmt. Warum?
JOHANNES JÄGER: „Die heutige akademische Welt und die Universitäten sind von einer Buchhalter-Mentalität geprägt und sehr industriell organisiert. Es geht um die Optimierung der Produktion. Es besteht ein riesiger Geld- und Publikationsdruck. Das macht ganz besonders die theoretisch Arbeit kaputt, weil solche Arbeit nur in einem gewissen Freiraum und mit weniger Zeitdruck geschehen kann. Eine gute Theorie ist ja den experimentellen Möglichkeiten eines Forschungsgebietes ein paar Jahre voraus und deshalb ist es sehr schwierig zu publizieren.“

Was ist am KLI Klosterneuburg anders?
JOHANNES JÄGER: „Wir möchten durch unsere finanzielle und organisatorische Unabhängigkeit vom Universitätssystem eine Plattform bieten, damit die Leute frei arbeiten können. Für uns ist ein Fellow nicht unbedingt erfolgreich, wenn er oder sie viel veröffentlicht hat, sondern wenn eine Karriere nach der Zeit bei uns eine völlig andere Bahn nimmt. Das heißt, wenn jemand erfolgreiche Wissenschaft betreibt, die wirklich inspiriert worden ist. Die Forschung ist ein Abenteuer. An einer Universität ist dieses Abenteuer fast nicht mehr möglich, weil man keine Risiken nehmen kann, ohne die Karriere zu gefährden.“

Interview: Cornelia Grobner

ZUR SACHE
Ende der 70er Jahre traf sich eine Runde Wissenschaftler regelmäßig in der Konrad-Lorenz-Villa im St. Andrä-Wörderner Ortsteil Altenberg. Gemeinsam mit dem Hausherrn Konrad Lorenz tauschten sich die Forscher bei ihren Gesprächsrunden über die (heute veralterte) evolutionäre Erkenntnistheorie aus. Mitglied des Altenberger Kreises war auch Rupert Riedl. Der Biologe gründete 1990 das in der Villa situierte "Konrad Lorenz Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung". Weil die Villenräumlichkeiten schließlich zu eng und zu dezentral waren, siedelte das Institut 2015 in die herrschaftlichen und neu renovierten Räumlichkeiten in der Klosterneuburger Martinstraße. Es wird durch eine Privatstiftung finanziert.

[1] Mehr dazu auf den Seiten des DÖW (Dokumentationsarchiv österreichischen Widerstands): Von der Rassenhygiene zum Massenmord (Elisabeth Klamper / Wolfgang Neugebauer) und Österreichische Rassenhygieniker

Den Forschenden biete das Konrad-Lorenz-Institut nicht weniger als die Rahmenbedingungen für ein Abenteuer, so dessen wissenschaftlicher Direktor Johannes Jäger: "Die Forschung ist ein Abenteuer. An einer Universität ist dieses Abenteuer fast nicht mehr möglich, weil man keine Risiken nehmen kann, ohne die Karriere zu gefährden." | Foto: Cornelia Grobner
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