Jobperspektive für junge Geflüchtete: "Das einzige Projekt dieser Form in Österreich"

Bgm Martin Krumschnabel, WK-GF Peter Wachter, Mohammad Zuhair Moelak, Rainer Carqueville (IV Tirol) und WK-Bezirksobmann Martin Hirner (v.l.).
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  • Bgm Martin Krumschnabel, WK-GF Peter Wachter, Mohammad Zuhair Moelak, Rainer Carqueville (IV Tirol) und WK-Bezirksobmann Martin Hirner (v.l.).
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BEZIRK KUFSTEIN (nos). "Wir müssen etwas tun", meinte Kufsteins Bürgermeister Martin Krumschnabel als Obmann des Leader-Vereins "KUUSK" (Kufstein und Umgebung, Untere Schranne, Kaiserwinkl), "und ich bin der Meinung, dass wir als Land Tirol und als Gemeinden gezielt Maßnahmen setzen müssen."

Eine dieser Maßnahmen ist das aktuelle Projekt des Leader Vereins, das zusammen mit der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer gestartet wurde. Seit Anfang des Jahres bekommen insgesamt 19 jugendliche Geflüchtete im Alter von 15 bis 25 Jahren eine Zukunftsperspektive für den heimischen Arbeitsmarkt.

"Wesentlich ist, dass hier eine Initiative gesetzt wurde", meint Krumschnabel, "aber das kann nur ein Beginn sein". Das Pilotprojekt ist derzeit österreichweit in dieser Form einzigartig, erklärte KUUSK-Geschäftsführerin Melanie Steinbacher. Es soll auch als Appell verstanden werden, "etwas ins Laufen zu bringen".

Rainer Carqueville, Vizepräsident der Industriellenvereinigung Tirol (IV) und Geschäftsführer der "Pirlo GmbH & Co. KG" veranschaulichte die Position der IV dazu:

"Wir leiden in Tirol unter zunehmendem Fachkräftemangel und tun uns zunehmend schwerer. Junge Flüchtlinge stellen hier eine Chance dar."

Die IV setze sich für Schnell-Tests zur Abklärung von Sprach- und Fachqualifikationen aus, hätte auch gerne eine schnellere Anerkennung von Aufenthaltstiteln. "Wir begrüßen dieses Programm deshalb sehr", so Carqueville.

WK-Bezirksgeschäftsführer Peter Wachter ließ die bisherigen Projektfortschritte Revue passieren: "Wir haben uns zusammengesetzt – Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und Leader-Verein – und festgestellt, dass wir ins Handeln kommen müssen. Die Voraussetzungen dafür waren mt unserer WIFI-Abteilung in Kufstein schon da. Anfang des Jahres wurde das alles in ein Projekt gegossen." Gemeinsam mit der Tiroler Soziale Dienste GmbH (TSD), die für die Betreuung von Flüchtlingen in Tirol zuständig ist, wurden im Februar die Teilnehmer ausgewählt. Hierfür wurden eigens entwickelte Potenzialanalysen am WIFI in Innsbruck durchgeführt und 18 Teilnehmer gefunden, "die in der Lage sind, den Kurs zu machen", so Wachter.
Im März starteten die ersten Deutschkurse für die beiden zustandegekommenen Gruppen. Neben der Sprachqualifikation setzt das Projekt auch auf grundlegende Berufsorientierung, soll aufklären, wie das Lehrlings-, Berufs- und Schulsystem in Österreich funktioniert und welche Erwartungen an Mitarbeiter gestellt werden – etwa in Sachen Pünktlichkeit. "Neben der fachlichen Ausbildung geht es auch um das Werteverständnis", sagt Carqueville.
Zudem werden Schnupperplätze in heimischen Unternehmen vermittelt, damit die Jugendlichen die Berufe hautnah kennenlernen können. Die Auswahl der möglichen Stellen orientiert sich dabei an der "Mangelberufsliste" des AMS: Installations-/Gebäudetechniker Gas-/Sanitärtechnik, Spengler, Einzelhandelskaufmann - Lebensmittelhandel, Restaurantfachmann, Koch, Hotel- und Gastgewerbeassistent, Friseur und Perückenmacher (Stvlist) und Gastronomiefachmann stehen zur Auswahl. "Es wird niemand während der laufenden Ausbildung abgeschoben", versichern die Verantwortlichen, "in Mangelberufen können wir sie auch ohne Flüchtlingsstatus in die Berufe bringen". Für etwa die Hälfte möchten sie einen Ausbildungsplatz finden, Schnupperplätze wären für alle möglich. "Wir haben Angebote der regionalen Industrie und aus dem Gastgewerbe", erklärt Peter Wachter. Im Vergleich dazu brauche das AMS für die Vermittlung einen anerkannten Status, bisweile dauere das bis zu zwei Jahre.

Kleine Hürden gut gemeistert

Die ersten Monate mit den Kursteilnehmern waren durchaus herausfordernd, wie die Organisatoren feststellten. Heimische Vorstellungen von Pünktlichkeit, Ordnung und Verbindlichkeit zu erklären, sei anfangs schwierig gewesen, zudem fehlten bei einigen Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben oder Rechnen. Aus diesem Grund wurden zwei Gruppen gebildet: Die starke Gruppe geht in Richtung Berufsqualifikation, die schwächere kümmert sich vorerst um die Stärkung ihrer Basiskompetenzen. "Da waren zwei, drei Schüler dabei, die noch nie mit einem Bruch gerechnet haben, sie kannten das nicht", berichtet Wachter aus den Erzählungen einer Lehrerin. Wie motiviert und hilfsbereit die Teilnehmer sind, überraschte die Organisatoren.

Schwierigkeiten bekamen die Projektbeteiligten durch immer wieder auftretende Wohnortwechsel der Teilnehmer. "Die Leute werden wild hin und her geschickt, damit haben wir nicht gerechnet", so Wachter. So etwa der 18-jährige Syrer Mohammad Zuhair Moelak. Er kam über den Libanon in die Türkei und von dort zu Fuß nach Österreich, ist nun seit knapp einem Jahr hier, lernt seit einigen Monaten Deutsch. Er war zuerst in Kufstein untergebracht, besucht hier die "Übergangsklasse" der HLW, nun wohnt er seit kurzem mit seinen Eltern und Geschwistern in Pill. Sein Vater betrieb in Damaskus eine Bäckerei, diese Ausbildung will der junge Mann nun in Tirol absolvieren.
"Es wäre doch leicht und selbstverständlich, dass wenn jemand in Kufstein wohnt und hier eine Ausbildung macht, der dann in Kufstein bleiben kann", meint WK-Obmann Martin Hirner. "das ist nicht die Schuld der TSD, aber so etwas macht es uns sehr schwierig", pflichtet GF Wachter bei.

Die Kurse

Spezielle Trainer des WIFI, die etwa auch Integrationssprachkurse abhalten, bieten eine gezielte Berufsorientierung und einen "fachlichen Schliff am Ende". Fünf Mal pro Woche werden die 19 Teilnehmer nachmittags in Kufstein geschult. Ziel sei vorrangig eine positive Deutsch-Prüfung auf Sprachniveau "B1" oder zumindest "A2". Sie kommen aus Somalia (3), Syrien (8), Guinea (1), Palästina (1), Afghanistan (4) und dem Iran (2), unter ihnen ist auch eine Frau.
Rund 75 Prozent der entstehenden Kosten können über den Leader-Verein aus Mitteln der EU-Regionalförderung gedeckt werden werden, das restliche Viertel bestreiten IV und WK, darunter auch die Fahrtkosten. Nach der "Einschulung" sollen die Jugendlichen fit für eine Berufsausbildung in den Betrieben sein. WK-GF Peter Wachter schätzt: "Da gibt es sicher auch Coaching- und Betreuungsbedarf."

"Das Projekt ist das bislang einzige in dieser Form in Österreich, da waren wir Vorreiter", freut sich KUUSK-Geschäftsführerin Melanie Steinbacher. Mittlerweile bekomme man Anfragen aus dem Bundesministerium sowie aus Deutschland und Südtirol.
Bürgermeister und KUUSK-Obmann Martin Krumschnabel fordert:

"Sie sollen es uns nachmachen und verbessern!"

Für ihn sei dies auch "die Stunde der Wahrheit für die Flüchtlinge, ob sie diese Chance am Schopf packen und hier mitmachen". Er sieht eine "win-win-win-Situation" für Geflüchtete, Wirtschaft und Gemeinschaft und meint: "Für eine Bleibeperspektive braucht es beide Seiten."
Rainer Carqueville stellte für die IV fest, dass es "besonders wichtig" sei, die "hohe Motivation am Anfang" zu nutzen, "je länger gewartet wird, umso schwieriger" werde es.
Einig sind sich die Projektpartner auch in ihrem Unverständnis gegenüber der Bundespolitik: "Wir verstehen alle nicht, warum es in Österreich hierfür kein System gibt. Es gibt keine Strategie und kein System dahinter."
Die Industriellenvereinigung fordert bundesweit eine "Sprachstatuserhebung" von Geflüchteten bei Ankuft in Österreich und die möglichst rasche Abklärung erworbener Berufsqualifikationen inklusive einer Weiterdokumentation der Fortschritte.

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