WOCHE startet Serie über Werte!

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So oft wie nie zuvor wurden in den letzten Wochen und Monaten "unsere Werte" zitiert, rund um die Flüchtlingsdiskussion, Stadt und Land bieten sogar eigene Wertekurse für integrationswillige Asylwerber an. Doch was ist eigentlich ein Wert? Wer definiert das und wie genau definiert man das? Und was genau sind eigentlich "unsere Werte"?

Die WOCHE wird sich in den kommenden Ausgaben im Rahmen der Serie "Wahre Werte" mit dieser Thematik auseinandersetzen – wir werden mit Menschen über Treue, Respekt, Toleranz, Gerechtigkeit und noch einige andere "wertvolle" Themen reden.

Der Experte Stephan Moebius im Interview

Begleitet wird die WOCHE-Serie vom Soziologen und Grazer Universitätsprofessor Stefan Moebius – er wird immer wieder aus wissenschaftlicher Sicht die Bedeutung und Hintergründe verschiedenster Werte erläutern. Zum Auftakt haben wir mit Stephan Moebius ein Grundsatz-Interview über Werte geführt.

WOCHE: Können Sie "Werte" für uns definieren?

Stefan Moebius: Vereinfacht gesagt, sind Werte emotional stark besetzte Empfindungen und Vorstellungen darüber, was wir für gut und ideal, manchmal gar für heilig erachten, als wertvoll ansehen. Etwa die Menschenwürde oder die Unversehrtheit des menschlichen Körpers.

Im Unterschied zu ...?
Normen zum Beispiel. Normen sind restriktiv, sie schließen bestimmtes Handeln aus, begrenzen die Reichweite unseres Handelns. Werte dagegen sind attraktiv, wir empfinden sie nicht als Vorschrift oder handeln nach ihnen, weil wir sonst Sanktionen fürchten, sondern wir empfinden sie als in sich verfolgenswert.

Ein Beispiel?
Man schlägt seine Frau und seine Kinder nicht, weil es verboten ist – sondern weil wir von Grund auf, aus tiefsten inneren Gefühlen und Überzeugungen heraus von dem Wert der Unversehrtheit des menschlichen Körpers überzeugt sind.

Und warum fühlen wir uns an Werte gebunden?
Der deutsche Soziologe Hans Joas hat intensiv zur Entstehung von Werten und Wertbindungen geforscht. Er kam zu dem Ergebnis, dass wir nicht einfach durch gute Vorsätze bestimmten Werten folgen. Auch nicht durch Moralpredigten. Unsere Bindungen an Werten resultieren aus unserer Erziehung und unser individuellen Bildung eines "Selbst", wie wir in der Soziologie sagen, also der Ausbildung unserer Identität in Kindheit und Jugend. Das alles muss nicht unbedingt harmonisch sein, wir verfolgen ja oft ganz andere Werte als unsere Eltern. Nichtsdestotrotz entstehen auch diese Werte in der sozialen Beziehung, und sei es auch nur in Reaktion auf Erfahrungen von Ausgrenzung, Ohnmacht oder Nicht-Verstanden-Fühlen.

Wie kann diese Bindung noch entstehen?
Durch Erfahrungen des Ergriffen-Seins, das sind Erfahrungen, die wir in nicht alltäglichen Situationen machen können, aber auch in tiefen Gesprächen, religiösen Momenten, in der Konfrontation mit dem Tod, in Momenten der Scham oder Reue, in Natur-Erlebnissen. Auch in Situationen von Gewalt und Krieg. Solche erfahrungsgeladenen Momente können auch größere Gesellschaften betreffen und dann Wertbindungen für größere Kollektive erschaffen. Man denke nur an die amerikanische und französischen Revolutionen, in denen sich Werte wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität manifestiert haben.

Welche Arten von Werten gibt es?

In der Sozialphilosophie gibt es die Unterscheidung zwischen starken und schwachen Werten. Starke Werte sind etwa die, bei denen ich bei Zuwiderhandeln gegen den Wert morgens nicht mehr in den Spiegel schauen kann. Gewalt gegen Kinder etwa. Ein schwacher Wert wäre etwa Pünktlichkeit oder Fairness. Wenn ich etwa beim Fußball-Spielen mal ein Foul mache, finden dass zwar alle nicht in Ordnung, aber ich kann damit leben, es ist für mich – zumindest bei sportlichen Betätigungen – ein schwacher Wert. Starke Wertungen legen die Richtung unseres Lebens fest, sind Bestandteil meiner Identität. Ihre Änderung würde ein Einschnitt in mein Leben bedeuten.

Stichwort "unsere Werte" – gibt es sp etwas wie europäische Werte?
Für Europa wird vor allem der Wert der Freiheit genannt. Das gilt sicher auch für andere Teile der Welt, insbesondere jene, zu denen in ihrer Geschichte auch die Gegenseite, die Sklaverei, gehörte. Andere in der Fachliteratur genannte Werte wären etwa die Hochschätzung des gewöhnlichen Lebens und die Selbstverwirklichung. Weitere Werte wären heute etwa die Emanzipation der Frau oder der in den meisten Verfassungen fest verankerte Werte der Menschenwürde und der Unversehrtheit des menschlichen Körpers.

Diese Werte sind in Stein gemeißelt ...?
Nein. Sie sind Resultat gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, Ergebnis unserer Geschichte und Erfahrungen. Die heute oft anzutreffende Rede von „unseren“ Werten gegenüber den Werten der Ausländer oder Flüchtlingen verwischt die Gemeinsamkeiten mit ihnen als auch die Unterschiede innerhalb Europas.

Das bedeutet ...?
Gemeinsam ist uns doch der Wert, dass Menschen heilig sind, sie nicht verletzt oder getötet werden dürfen. Dass man in Notsituationen hilft, jenseits der Herkunft. Dass Nächstenliebe, so eine jüdisch-christliche Wurzel unserer Menschenrechte, alle Anderen, egal wie weit entfernt, zukommen soll. Wenn Jesus etwa jemandem geholfen hat, so fragte er nicht danach, ob er ein unmittelbarer Nachbar sei oder von mehreren tausend Kilometer herkommt, er half einfach um des Anderen willen.

Sie sprachen von Unterschieden in Europa.

Es gibt, so zeigen es Umfragen, innerhalb Europas kaum einen gemeinsam gelebten Wertekonsens. Das beste Beispiel ist die Frage nach der Akzeptanz von Homosexualität. Wie sozialwissenschaftliche Studien herausgefunden haben, gibt es hier einen eklatanten Unterschied. Während die Akzeptanz von Homosexualität in den nordwesteuropäischen Staaten hoch ist und Homosexualität dort nicht als Problem wahrgenommen wird, so werden Homosexuelle in südosteuropäischen Ländern weit mehr diskriminiert. Eine ähnliche Verteilung finden wir bei der Emanzipation und Gleichberechtigung von Frauen.

Ihr Resümee?
Die absolute Trennung zwischen unseren Werten und denen der Nicht-Europäer ist eine Augenwischerei, sie verwischt die Unterschiede in unserer Kultur und lenkt oftmals über die Verweise auf vermeintlich unüberbrückbare kulturelle oder religiöse Differenzen auf populistische Weise bewusst von den wahren politischen und gesellschaftlichen Problemen und Hintergründen dieser Probleme ab.

Stephan Moebius – zur Person:

Geboren: 14.11.1973 in Konstanz
Verheiratet mit Julia Schäfer
Kinder: Caspar Noah, 10. 9. 2006; Mira Salome, 3. 9. 2008)
Universitäts-Professor für Soziologische Theorie und Ideengeschichte
Leiter des Instituts für Soziologie der Karl-Franzens-Universität Graz

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