Brexit trifft Tirol – Auswirkungen nicht absehbar aber sicher

London wird die Brücken zur Europäischen Union  abbauen. | Foto: Erwin Prem
  • London wird die Brücken zur Europäischen Union abbauen.
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TIROL. Der ehemalige Tiroler Kommissar Franz Fischler nannte im ORF Interview das Abstimmungsergebnis der Briten einen "unglücklichen Tag" für Europa.
Schockiert zeigt sich auch LH Günther Platter vom Ausgang des Brexit-Votums in Großbritannien. „Wenn das nicht der Weckruf für Europa ist, was dann. Die Europäische Union muss sich dringend ändern – der Ruf nach Reformen kann nicht lauter sein“, richtet LH Platter einen warnenden Appell an Brüssel. „Was als idealer Staatenbund für den sozialen und wirtschaftlichen Frieden begann, wird immer mehr zu einem undurchsichtigen, schwerfälligen Bürokratenapparat. Es ist kein Wunder, wenn sich die Bevölkerung der einzelnen europäischen Länder von der Idee der Europäischen Union abwendet.“ Er sei nach wie vor ein grundsätzlicher Befürworter dieses ursprünglichen Friedensprojekts und deshalb bedauere er diese Entwicklung umso mehr.

Regionale Ebene stärken anstatt schwächen
Der aufgeblähte Apparat in Brüssel koste viel Geld und verursache in zahlreichen Fällen eine unnötige Mehrarbeit für BürgerInnen, Unternehmen, Institutionen und Behörden. „Auf regionaler Ebene funktioniert vieles sehr gut – das sehen wir in unserer täglichen Arbeit mit den Ländern Südtirol und Trentino. Wir als Euregio machen vor, wie Europa funktionieren kann." Die EU könne das große Regelwerk schreiben, solle dabei die Regionen unterstützen und in ihrer Arbeit stärken, anstatt sie daran zu hindern. „Denn es ist die regionale Vielfalt, die Europa so lebenswert macht“, so LH Platter.

Unverständnis für Entscheidungen der EU

Die Menschen in Europa würden die Entscheidungen in Brüssel nicht verstehen: „Vor TTIP haben die Bürgerinnen und Bürger Angst, die Allergenverordnung versteht kein Mensch, in der Flüchtlingskrise hat die EU bisher nur versagt – und das sind nur drei Beispiele dafür, wie die EU-Verantwortlichen die Menschen in Stich gelassen haben“, so LH Platter. Er orte hier auch die Gefahr, dass sich immer mehr Menschen zum Nationalismus hingezogen fühlen.

Zoller Frischauf: Der falsche Weg

Tirols Wirtschaftslandesrätin Patrizia Zoller-Frischauf ist die Entscheidung der britischen Bevölkerung eindeutig und zu respektieren. "Ich bedauere den Ausgang der Abstimmung und halte es für einen falschen Weg, das Heil in Alleingängen zu suchen. In der EU gibt es natürlich genügend Baustellen, die zu lösen sind, aber die Herausforderungen, die auf Europa zukommen, können sicher gemeinsam besser bewältigt werden. Aus Sicht der Tiroler Wirtschaft ist Großbritannien mit rund 300 Mio. Euro ein wichtiger Exportmarkt und damit auf Platz sechs der Länder, in die wir exportieren", so Zoller-Frischauf auf Anfrage.

Exportwirtschaft leidet

Für den Tiroler Wirtschaftsbund-Obmann Franz Hörl bringt der Brexit neben den, noch schwer absehbaren, großen allgemeinen politischen Auswirkungen auch mögliche negative Folgen für den Tourismus. "Großbritannien rückt ein Stück weiter weg, verabschiedet sich von großen Errungenschaften wie dem freien Zutritt zum Binnenmarkt und steht damit wohl bald auch vor den wirtschaftlichen Konsequenzen des Ausstiegs. Bei einem möglichen Fall des Pfunds entsteht Unsicherheit in einem für uns wichtigen Markt", so Hörl. Neben dem Tourismus leide auch die heimische Exportwirtschaft. Die Exportsumme von Tirol nach Großbritannien beträgt 300 Millionen Euro pro Jahr.

WK-Präsident Bodenseer: „Brexit geht an Tirols Wirtschaft nicht spurlos vorüber“

Aktuell ist Großbritannien mit einem Volumen von rund 300 Millionen Euro der siebtgrößte Exportmarkt für die Tiroler Wirtschaft. „Diese starke Position ist in Gefahr. Kurz- und mittelfristig ist zu erwarten, dass eine deutliche Abwertung des Britischen Pfunds im Bereich von bis zu 20 Prozent die Exporte nach UK zurückgehen lässt – ähnlich, wie es durch die Abwertung des Rubels bei den Exporten nach Russland der Fall war. Und auf längere Sicht wird die Einführung von Grenzkontrollen Tiroler Exporte nach Großbritannien verteuern. Geschäfte mit der Insel werden dadurch nachhaltig erschwert werden“, wirft Bodenseer einen Blick in die Zukunft.
„Das volle Ausmaß der Konsequenzen des Brexit wird sich letztlich erst dann zeigen, wenn alle nun notwendig gewordenen Verhandlungen abgeschlossen sind und gleichzeitig die EU entsprechend schnell und richtig gegensteuert. Auch negative, weil global bedingte Spätfolgen sind heute schon absehbar. Die ersten unangenehmen Folgen werden wir aber schon bald zu spüren bekommen – darauf müssen wir vorbereitet sein“, so der WK-Präsident, der ergänzt: Unabhängig davon ist aber auch klar, dass sich innerhalb der EU nun Vieles zum Besseren bewegen muss. Denn sicherlich hat die Brüsseler Regulierungswut ganz maßgeblich zur Entscheidung der Briten beigetragen. Widersinnige Vorschriften wie etwa die Pauschalreiserichtlinie oder die Allergenverordnung darf es künftig nicht mehr geben, damit das Beispiel UK nicht Schule macht.“

IV Tirol bedauert

„Das, was von vielen Europäern befürchtet wurde, ist nun leider eingetreten. Großbritannien wird von der EU austreten. Die Entscheidung ist zu akzeptieren. Es ist dies aber auch eine Mahnung, dass sich einiges an der EU-Politik ändern muss“, bedauert der Tiroler Industriepräsident Dr. Christoph Swarovski die Entscheidung der Briten in einer Stellungnahme.
Das Votum drückt für den Präsidenten der Industriellenvereinigung Tirol aber auch aus, daß man sich in der Vergangenheit zwar um neue Mitglieder bemüht und gekümmert hat, jedoch um die bestehenden wohl zu wenig. Analog dazu sieht er für die nationale und regionale Politik den Fokus darin, die Rahmenbedingungen für die ansässigen Betriebe kontinuierlich zu verbessern und weniger auf Anstrengungen nach der Ansiedlung neuer Betrieben zu legen.
Es ist noch nicht abschätzbar, wie sich der „Brexit“ auf die Exporte vieler Tiroler Unternehmen auswirken wird. Währungsschwankungen und eine gewisse Unsicherheit an den Finanzmärkten während der Austrittsverhandlungen werden die Exporttätigkeit jedoch nicht gerade beflügeln.

Grüne: "Dramatisches Ergebnis ist mehr als ein Weckruf"

"Die Wahl der britischen Bevölkerung das Friedensprojekt der EU zu verlassen, ist eine Zäsur der Europäischen Geschichte" so der grüne Landessprecher der Tiroler Grünen Hubert Weiler-Auer. Der Folgen des Votums seien noch nicht in ihrer ganzen Tragweite abzusehen, aber jedenfalls gälte es den Weg der Europäischen Integration und Solidarität verstärkt in den Mittelpunkt der Debatte zu führen. "Nur durch eine offene und ehrliche Diskussion können die vielen Vorteile der Europäischen Idee auch in der Bevölkerung als solche wahrgenommen werden. Das tägliche Abschieben von hausgemachten Problemen nach Brüssel muss ein Ende haben" appelliert der grüne Landessprecher an alle Beteiligten.

Tirol Werbung: Kein Vorteil für Tirols Tourismus

"Die konkreten Auswirkungen des Brexit lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt für uns noch nicht klar abschätzen. Viel wird davon abhängen, wie die Zusammenarbeit zwischen EU und Vereinigtem Königreich nach dem Austritt ausgestaltet wird und wie sich der Wechselkurs des Pfund gegenüber dem Euro entwickeln wird. Jedenfalls gehen wir davon aus, dass der Austritt der Briten aus der EU für unseren Tourismus definitiv kein Vorteil sein wird", heißt es aus der Tirol Werbung.
Gerade im Winter ist das Vereinigte Königreich ein sehr wichtiger Markt für Tirol und liegt im Ranking mit mehr als 200.000 Gästen und 1,2 Millionen Nächtigungen – das entspricht einem Anteil von fast fünf Prozent – auf Rang fünf der wichtigsten Märkte. Überdies hat sich der Markt in den vergangenen Wintersaisonen positiv entwickelt. Im Gesamtjahr liegt das Vereinigte Königreich mit rund 1,3 Millionen Nächtigungen und einem Anteil gemessen an den Nächtigungen von 3,7 Prozent ebenfalls auf Platz fünf.

Flughafen beobachtet Entwicklung

Für Flughafendirektor Marco Bernetta kommt der Brexit zum selben Zeitpunkt, wie die Fixierung des Dirtektfluges mit British Airways von Innsbruck nach Heathrow. "Die Situation wird sich beruhigen, ich erwarte mir keine gravierenden Auswirkungen, es wird weiterhin Touristen aus England geben, die sich einen Winterurlaub in Tirol leisten können. Eher werden die Billigdestinationen darunter leiden", sagt Bernetta.

Schuld sind EU-Bürokraten

Für FPÖ Landesparteiobmann Markus Abwerzger sind Volksentscheidungen in einer Demokratie zu akzeptieren. "Mich persönlich freut das Ergebnis nicht, weil ich immer noch der Ansicht bin, dass man Reformen nur von innen heraus bewerkstelligen kann. Nur eines ist auch ganz klar, schuld an diesem Ergebnis sind die EU-Bürokraten Schulz und Juncker mit ihrer abgehobenen - an der Bevölkerung vorbei - Politik und die unverantwortliche Willkommenspolitik der Frau Merkel.“

SPÖ: Grundgedanke verloren gegangen

"Leider ist der Grundgedanke der Völkergemeinschaft EU, die vor allem den Frieden in Europa garantieren soll, für viele verloren gegangen. Wirtschaftliche Einzelinteressen stehen im Vordergrund und zahlreiche unverständliche Gesetze und Richtlinien sorgen für Verärgerung in der Bevölkerung. Die Uneinigkeit bei tatsächlichen europaweiten Themen, wie der Flüchtlingsbewegung und der nicht vorhandenen Solidarität unter den Ländern sorgen nun für eine weitere Stärkung nationaler Interessen. Die EU muss sich einer Reform unterziehen und für die Menschen da sein, nicht für die Interessen der Wirtschaft und der Großkonzerne", fordert SPÖ Landesparteiobmann Ingo Mair.

Rasche Trennung

"Die Trennung muss nun so rasch wie möglich in die Wege geleitet und nach einem klaren und fairen Fahrplan vollzogen werden. Zuallererst geht es um die Regelung der unmittelbaren Folgen des Austritts. Zum anderen muss im Rahmen des Austrittsprozedere das Verhältnis der EU zum neuen „Drittstaat“ Großbritannien definiert werden. Schließlich sind EU-intern eine Vielzahl von institutionellen wie verfahrenstechnischen Fragen zu klären", heißt es aus der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.

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