5 Minuten Wien: Gepetzt wird nicht
Gepetzt wird nicht. Das lernt man schon im Kindergarten. So sehr kann man sich gar nicht im Lob der Erwachsenen sonnen, als dass sich der Verrat an den Gleichaltrigen auszahlen würde.
Nicht petzen, das ist das Mindestmaß gesellschaftlicher Solidarität, auf das wir uns einigen können: Im Schrebergartenverein, im Schulchor und in der Burschenschaft, in der Antifa, unter Teamkollegen und Mitarbeitern. Hier gibt es nicht einmal zwischen Chem-Trail-Anhängern und der Schickeria Diskussionsbedarf.
Umso seltsamer der Anblick, der sich mir vor nicht allzu langer Zeit in einem Merkur-Schnellrestaurant geboten hat: Ein Mann sitzt da und isst gerade sein Stück Pizza. Geht man an ihm vorbei, sieht man, dass auf seinem Rücken groß "Wie war ich?", prangt. "Beim Pizzaessen?", denke ich zuerst verwirrt. "So weit in Ordnung, Flecken sehe ich keine ..."
Beim Weiterlesen wird klar: Es geht darum, die Arbeitsleistung, die dieser Mann – ich nehme an, ein Handwerker – soeben erbracht hat, anonym und online zu bewerten, so dass es sein Arbeitgeber und vermutlich auch alle interessierten Internetnutzer sehen können, bevor er noch Zeit gehabt hat, zum Merkur zu gehen und sich eine Pizza zu kaufen.
Ein Vorteil des Internets – natürlich ist es gut, wenn man vor Abzockern oder Pfuschern gewarnt wird –, der derart auf die Spitze getrieben schon ein bisschen menschenfeindlich wirkt. Ich würde mich sehr verletzlich fühlen, müsste ich so ein Shirt tragen. Aber es gibt Hoffnung: Sieht man sich bei den Bewertungen in so einem Handwerker-Portal um, findet man eigentlich nur positive. Freundlich lächeln, Handy zücken, Gift verspritzen: Das finden wohl in Wirklichkeit die wenigsten in Ordnung.
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.