Ein Jahr nach der Wien-Wahl: Stadt und Politik erfinden sich neu
Neue Ausrichtung, neue Machtverhältnisse. Wie steht es um Wien ein Jahr nach der Wahl? Sechs Thesen.
Wien ist im Umbruch. Gesellschaftlich und politisch. Das ist in dem Jahr nach der Wien-Wahl mehr als deutlich geworden. Mehrere Bezirke haben eine neue politische Ausrichtung, gesellschaftspolitische Fragen werden auf der Straße ausgetragen, die Parteien suchen nach einer neuen Ausrichtung. Sechs Thesen rund um den Zustand Wiens.
1. Die Macht verschiebt sich
Die rote Hochburg wackelt und auch der schwarze Koalitionspartner auf Bundesebene verliert immer mehr an Boden. Die Profiteure: Grün und Blau. Bereits bei der Wahl im Oktober 2015 haben zwei Bezirke ihre Farbe gewechselt. Die ÖVP hat Währing an die Grünen verloren, die SPÖ Simmering an die Blauen. Aufgrund der Wahlwiederholung in der Leopoldstadt vor wenigen Wochen haben die Roten zusätzlich auch noch diesen Bezirk an Grün verloren. Bei der Bundespräsidentenwahl hat sich außerdem gezeigt: In den Bezirken kann man künftig auch mit Grün oder Blau Wahlen gewinnen.
2. Der Fokus verändert sich
Floridsdorf ist nur dank der Wahlkarten nicht zum FPÖ-Bezirk geworden. Auch in den anderen Flächenbezirken haben die Blauen starke Zuwächse. Zukünftig darf man sich nicht nur auf die Innenstadtbezirke konzentrieren, sondern muss die bevölkerungstarken Außenbezirke politisch abholen. Am Beispiel Öffis: Der U2-Ausbau bringt vor allem Innerstädtern Vorteile – ein Umstand, der besonders Außenbezirkler verärgert hat. Es ist wohl kein Zufall, dass plötzlich verstärkt auch der Schnellbahn-Ausbau angedacht wird, der eine Entlastung für die Außenbezirke bringen könnte.
3. Man geht mehr auf die Straße
Die Zeit, in der Politik im stillen Kämmerchen ausgetragen wurde, ist vorbei. Das Buhlen um die Wähler findet immer mehr auf der Straße statt. Großangelegte Bürgerbefragungen und Grätzelaktionen inklusive. Die bisher größte Aktion: Die FPÖ-Demo rund um das Asylzen-trum in Liesing mit gleichzeitig stattfindender Gegen-Demo.
4. Orientierung wird gesucht
Während Grün und Blau für die Wähler klar positioniert sind, versuchen Schwarz und Rot derzeit ihr Profil nachzuschärfen. Die ÖVP hat es nach ihrem historischen Wahldebakel vergangenen Herbst, bei dem sie nur 9,24 Prozent der Stimmen ergattern konnte, besonders schwer. Darum wird an allen Fronten gekämpft: man will gleichzeitig jünger und moderner sein, ist in Flüchtlingsfragen ähnlich hart wie die FPÖ, setzt außerdem auf Neos-Themen wie Transparenz und möchte gleichzeitig mehr bei den Bürgern sein. Doch auch nach Innen wird umgestellt. Unter dem neuen Landesobmann Gernot Blümel wurde umstrukturiert, es wurden neue Leute eingesetzt und es soll weiter reformiert werden. Ein Prozess, der auch der SPÖ blühen dürfte. Die kritischen Stimmen werden spätestens seit der verlorenen Leopoldstadt-Wahl wieder lauter.
5. Politlandschaft wird größer
Viele Wechselwähler, viele Nichtwähler, viele, die keine Partei ansprechend finden. Das ist ein guter Nährboden für die Etablierung neuer Bewegungen. Die Linke versucht sich etwa unter dem Namen „Aufbruch“ neu zu formieren. Ob eine Partei daraus entstehen wird, ist noch unklar. Auch Kabarettist Roland Düringer will mit „Gilt“ Anlaufstelle für enttäuschte Wähler sein.
6. Wien wird entstaubt
Nach Registrierkassen, Barrierefreiheit und Raucherschutz will man den Unternehmern nun wohl entgegenkommen. Die Vergnügungssteuer wurde nach jahrelangem Kampf gekippt, die Schanigärten dürfen bald ganzjährig geöffnet haben. Die Zeichen stehen auf moderneres Wien und die Bürokratie soll langsam, aber sicher erschlankt werden.
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