China heute - Ein Blick aus der Mitte einer Großstadt
Wo vor knapp 20 Jahren noch Reisfelder bestellt wurden, stehen heute Wolkenkratzer. Nur der Name der Metrostation „Wuyangcun“, die fünf Ziegen im Dorf, erinnert an vergangene Zeiten. China hat sich innerhalb von drei Jahrzehnten von einem Entwicklungsland zu einer dominierenden Volkswirtschaft katapultiert.
Das beispiellose Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte spiegelt sich im vertikalen Baustil, im modernen Stadtteil von Guangzhou, der drittgrößten Stadt Chinas. Es ist zweifelsohne beeindruckend in den Schluchten der Wolkenkratzer zu spazieren, an deren Designs sich internationale Architekten in den letzten Jahren verwirklicht haben. Die Stadt braucht Platz für Büros und Wohnungen, um der stetig wachsenden Urbanisierung gerecht zu werden. Wohnraum ist heutzutage teuer, so wie das gesamte Leben in den letzten Jahren sehr viel teurer geworden ist.
In China geht es ums Ganze
Geld wurde für viele Chinesen zum elektrisierenden Reizwort. Es wird geschöpft, wo etwas zu holen ist, und es wird teuer verkauft, was sich teuer verkaufen lässt. Somit kommt es nicht selten vor, dass Produkte „Made in China“ vor Ort teurer eingekauft werden, als in Europa. Jene, die ihre Marktchancen - im Zuge der Öffnung hin zu einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ - nutzen konnten, gelangten zu beachtlichem Reichtum. Dieser wird auch ungehemmt zur Schau gestellt. Autos der obersten Luxusklasse gehören ebenso zum Stadtbild, wie die Kulisse modernster Architektur. Mehr Geld und ein höherer Status sind die treibenden Kräfte, womit sich China innerhalb einer Generation von einem der egalitärsten zu einem der ungleichesten Gesellschaften entwickelte.
Das gesellschaftliche Ungleichgewicht
Die rapide Modernisierung Chinas ist von einem massiven Ungleichgewicht begleitet, und die Schere zwischen arm und reich klafft weit auseinander. Gewaltige Einkommensunterschiede zeigen sich insbesondere zwischen Stadt und Land, aber auch innerhalb der unterschiedlichen Gesellschaftsschichten in den Städten. Zwischen den Generationen haben sich seit der Modernisierung Chinas Gräben gebildet. Die ältere Generation hat noch die Parolen vom Aufbau des Sozialismus am eigenen Leib erfahren, wie etwa Mao Zedongs Kampagne „der große Sprung nach vorn“, die darauffolgende verheerende Hungerskatastrophe (1958-61), der mindestens 20 Millionen Menschen zum Opfer fielen, die Kulturrevolution (1966-76) und die beiden folgenden Kampagnen gegen die „geistige Verschmutzung“ und gegen die „bürgerliche Liberalisierung“ in den 80er Jahren. Die junge Generation stieg ins Leben ein, als die Zentralverwaltungswirtschaft schrittweise reformiert, und eine sozialistische Marktwirtschaft geschaffen wurde. Über die Erfahrungen ihrer Eltern und Großeltern wissen die jungen Menschen oft nur wenig bescheid, denn innerhalb der Familie wird darüber meist nur ungern gesprochen.
Trotz der gravierenden sozialen Unterschiede ist Sozialneid, wie wir ihn hierzulande erleben, eher unbekannt. Das Zusammenleben ist im Wesentlichen auf Ausgleich ausgerichtet und nicht - wie in unserer Gesellschaft vorherrschend - auf Kampf und Machtkampf. Dem kämpferischen Gehabe, wie es in unserer Gesellschaft stark ausgeprägt ist, liegt vorwiegend ein analytisch geprägtes Denken zugrunde. Kompensieren ist die chinesische Alternative.
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