Dem Himmel so nah
Der Königsjodler Klettersteig ist nichts für schwache Nerven. Redakteur Matthias Leinich machte den Selbsttest.
MÜHLBACH. Blut pocht durch meine Venen. Der Pulsschlag übersteigt die 100-Schlag-Marke bei Weitem, der Adrenalinspiegel befindet sich auf Maximalanschlag. Die Finger zerkrtzt, die Beine schmerzen. Kein Grund glücklich zu sein – sollte man meinen. Doch dieser Ausblick entschädigt für alle Strapazen am Weg zum Ziel. Das Ziel? Einfach oben ankommen, ohne aufzugeben und einen der Notausstiege zu benutzen.
Einer der Längsten der Ostalpen
Der Königsjodler ist nicht irgendein Klettersteig. Er ist vielmehr "der" Klettersteig. Mit seinen 1.700 Klettermetern, die mich über die Teufelshörner, den Kematstein zum Hohen Kopf führen, kann er schnell zur Grenzerfahrung werden. "Rund zehn bis 15 Kletterer müssen wir jährlich aus dem Steig befreien, meist weil sie den Jodler unterschätzen", erklärt ein befreundeter Bergretter aus Mühlbach am Hochkönig, dem Talort des Steiges. Kein Wunder, benötigt man für den Durchstieg rund elf Stunden, rechnet man die zweieinhalb Stunden Zustieg sowie die dreieinhalb Stunden Abstieg dazu. Die reine Kletterzeit beträgt "nur" rund fünf Stunden und dreißig Minuten. Zumindest wenn man keine Pausen macht.
Auch die Schwindelfreiheit wurde des öfteren auf die Probe gestellt. Der Steig wurde 2001 errichtet und verläuft meist direkt an der Gratkante und äußerst spektakulär über kleine und große Schluchten sowie acht zum Teil sehr spitze Türme. Die Schwierigkeit des Königsjodlers liegt weniger in besonders schweren Einzelstellen als vielmehr in der Länge und der Höhe des Steiges. Der Königsjodler ist keiner der neuen sportlichen Klettersteige, sondern fordert durch das hochalpine Umfeld eher den erfahrenen und ausdauernden Klettersteiggeher.
Klettern liegt voll im Trend
Die Beliebtheit der Klettersteige, auch Via Verrata (zu deutsch Eisenstraße) genannt, steigt stetig an. "Der Boom wächst, gerade eben wurden in der Gegend um Goldegg zwei neue Steige errichtet", berichtet Brigitte Slupetzky, Vorsitzende des Alpenvereines imLandesverband Salzburg. Ob durch die Dachstein-Südwand auf den Dachsteingletscher oder über den Burgfelsen der Riegersburg direkt in die Burgtaverne – kaum ein Gebirgsstock in Österreich, durch dessen Wände sich nicht mindestens ein Klettersteig zieht. Rund 300 solcher Eisenwege gibt es laut Alpenverein derzeit in Österreich.
Den Anfang dieses Trends machte Mitte des 19. Jahrhunderts der Alpinpionier Friedrich Simony. Er ließ den Normalweg auf den Dachstein mit Eisenseilen und Trittbügeln sichern. Viele andere Berge sollten daraufhin auch für Normalbergsteiger und Nichtkletterer zugänglicher gemacht werden.
Adrenalin pur
Angekommen am Sallerriss traue ich meinen Augen kaum. Die Hälfte des Königsjodlers ist geschafft, doch nun verliere ich noch dazu den Boden unter den Füßen. Ein Flying Fox, altmodisch Seilbrücke genannt, will mich über den Riss befördern. Ganz schön wagemutig. Kurz zuvor gab es noch einmal die Möglichkeit, das Projekt "Königsjodler" via Notausstieg frühzeitig abzubrechen. Doch diese Schmach sollte nicht auf meinen Schultern lasten. Also Augen zu und durch. Die wilde Fahrt über den Sallerriss entpuppt sich als weniger schlimm als erwartet. Viel schlimmer ist das bevorstehende Teufelshörndl. Es befindet sich immerhin bereits 2.522 Meter über dem Meeresspiegel. Keine Höhe, in der ich gerne ausrutschen würde – Trittsicherheit ist gefragt. Ebenso auf dem anschließenden Brückengrat, einer der luftigsten Stellen des Steiges.
Ein Ausblick, der lohnt
Auf dem Hohen Kopf, dem Endgipfel des Königsjodlers auf 2.875 Metern, angekommen geht mir vor allem eine Frage durch den Kopf: "Warum tut man sich diese Strapazen, seien es physische oder psychische, überhaupt an?" Um den Königsjodler gegangen zu sein? Das kann nicht der Grund sein. Vielmehr ist es wohl das Gefühl, mit dem Berg in Einklang zu sein, ihn förmlich bezwungen zu haben. Und wegen der Aussicht. Der Blick auf die Berge des Salzburger Landes, seien es Dachstein, Großvenediger-Gruppe und bei perfekter Fernsicht gar der Großglockner, entschädigt für zerkratzte Finger und schmerzende Beine.
Ist es nicht so, ist auch der halbstündige Marsch zum Matrashaus, gleich neben dem 2.941 Meter hohen Hochkönig-Gipfel, Entschädigung genug. Vor allem der Schnaps, mit dem Hüttenwirt Roman Kurz aufwartet, lässt die Strapazen der Kletterei schnell vergessen. Trotzdem schmerzen die blutenden Finger.
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