"Kernenergie ist tödlich und wirtschaftlich am Ende"

Landesrat Anschober bei der Nuclear Energy Conference 2016 in Prag. | Foto: Foto: Land OÖ/Stinglmayr
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PRAG, OÖ (anh). Vor 30 Jahren ereignete sich die atomare Katastrophe im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl, die Reaktoren im japanischen Atomkraftwerk (AKW) Fukushima wurden vor fünf Jahren zerstört. Ob aus diesen beiden Unfällen Lehren gezogen wurden und wie sicher die bestehenden Werke sind – diese Frage stellten sich Experten aus diversen Ländern bei der Nuclear Energy Conference in Prag. Landesrat Rudi Anschober kritisierte dabei die vielerorts geplanten und laut Experten hochriskanten Laufzeitverlängerungen – wie sie auch vor ein paar Tagen im tschechischen AKW Dukovany bewilligt wurde. Sie seien nur ein Vorwand, um hohe Stilllegungskosten zu umgehen. Oda Becker, Atomsicherheitsexpertin aus Deutschland, sieht darin nicht nur Probleme mit der Bausubstanz der Kraftwerke, die nur auf eine bestimmte Zeit ausgelegt ist, sondern warnt auch vor einem erhöhten Risiko durch Terroranschläge, wie etwa geplante Flugzeugabstürze. Davor sei kein Kernkraftwerk gefeit.

Schrittweiser Ausstieg oder Renaissance

Landesrat Anschober sieht die Jahre 2016/17 als wichtige Entscheidungsperiode in puncto Atomenergie: "Entweder es kommt zu einem schrittweisen Ausstieg oder zur Renaissance dieser Energieform." Ein Wegweiser sei sicherlich das geplante und sehr umstrittene Atomkraftwerk Hinkley Point in England, das nur mit Milliardensubventionen durchzusetzen ist. "Nach aktuell geschätzten Baukosten von 25 Milliarden Euro droht ein absolutes Finanzdesaster auf Kosten der Konsumenten", warnt Anschober. Insgesamt belaufen sich die Investitionskosten der europäischen Atomenergieindustrie in Kernkraftwerke laut Schätzungen der EU bis 2050 auf bis zu 760 Milliarden Euro. Für Anschober sei diese Energieform daher "nicht nur tödlich sondern auch wirtschaftlich am Ende".

"Nur hypothetische Sicherheit gegeben"

Emmerich Seidelberger, Konsulent für Sicherheitsrisiken der Kerntechnik an der BOKU Wien, sprach den Atomkraftwerken in seinem Vortrag lediglich eine "hypothetische Sicherheit" zu. Er erklärt dies folgendermaßen: Seit Anbeginn des Baus von Atomkraftwerken wurden diese als sicher eingestuft, trotzdem kam es zu Unfällen wie etwa in Tschernobyl und Fukushima. Es gab zwar Auslegungspläne und Richtlinien was GAUs – größte, anzunehmende Unfälle – betrifft, Zwischenfälle wie in den besagten Atomkraftwerken wurden aber als so unwahrscheinlich eingestuft, dass sie in diesen Sicherheitskonzepten nicht berücksichtigt wurden. Nach jedem Unfall wurden die Auslegungsrichtlinien zwar stufenweise erweitert, Seidelberger betont jedoch: "Wenn man ein Kraftwerk aber schon vorher als 'sicher' eingestuft hat, ist das ja dann eigentlich nur noch eine hypothetische Sicherheit." Vor allem auch menschliches Versagen müsse man stärker berücksichtigen. "Das Verhalten des Betriebspersonals bei einem Störfall kann man im Vorhinein nicht einschätzen", sagt Seidelberger und resümiert: "Hohe Standards gibt es zwar auf dem Papier, aber nicht in den Reaktoren."

"Verändert haben die Stresstests die Situation nicht"

Nach dem Unfall in Fukushima 2011 entwickelte die EU sogenannte Stresstests, um die Sicherheit der europäischen Atomkraftwerke zu überprüfen. Laut Oda Becker, deutsche Expertin für Atomsicherheit, wurden dabei zwar Punkte berücksichtigt, die zuvor noch nicht untersucht worden waren, in Summe begrenzten sich die Analysen aber auf einen sehr kleinen Bereich. Eine adäquate und umfassende Beurteilung der Sicherheit – und umgekehrt auch der Risiken – war laut Becker nicht gegeben. Trotzdem waren die Ergebnisse bereits alarmierend, wodurch die EU sogenannte Aktionspläne für jedes Land entwickelte. "Dazu gab es in Brüssel dann auch Workshops, wirklich verändert hat das die Situation aber nicht", sagt die Expertin. Es hätte dann entweder die Möglichkeit gegeben, Schnellmaßnahmen zu ergreifen, die aber nicht wirkungsvoll gewesen wären oder eine umfassendere Bewertung zu machen, was jedoch bedeutet hätte, dass gewisse Kraftwerke weitere zehn Jahre unverändert in Betrieb gewesen wären. In den meisten Fällen hätte man die Stresstests "einfach ignoriert und 'business as usual' gemacht". Die EU hätte laut Becker die Sicherheitsmaßnahmen schlicht und ergreifend nicht überprüft – mehr noch: in vielen AKWs sind zudem Laufzeitverlängerungen geplant, wie jüngst in Dukovany bewilligt.

"Extrem nachtragende Technologie"

Welche fatalen Folgen atomare Unfälle haben können, darauf machte Ian Fairlie, unabhängiger Umweltradioaktivitäts-Konsulent, einmal mehr aufmerksam. Atomkerntechnik sei laut dem Experten eine "extrem nachtragende Technologie", was sich vor allem in den noch immer gravierenden, gesundheitlichen Auswirkungen von Katastrophen wie in Tschernobyl zeige. Krankheiten wie etwa Schilddrüsenkrebs oder Leukämie wären in Europa seit 1986 signifikant gestiegen und noch heute leben etwa fünf Millionen Menschen in extrem kontaminierten Gegenden.

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