Hitler war nicht alleine

Historiker Othmar Plöckinger mit einer Originalausgabe von Hitlers "Mein Kampf" und seinem Band über Quellen und Dokumente zur Geschichte von „Mein Kampf“.
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  • hochgeladen von Stefanie Schenker

Mit dem Jahreswechsel ist das Urheberrecht von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ erloschen. Die Hetzschrift kann von jedem nachgedruckt werden. Der Salzburger Historiker Othmar Plöckinger hat sich für die Neuauflage "Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition" des Instituts für Zeitgeschichte München sieben Jahre lang wissenschaftlich mit dem Werk auseinandergesetzt und im Steiner-Verlag einen eigenen Band über Quellen und Dokumente zur Geschichte von „Mein Kampf“ herausgebracht.

Sie haben "Mein Kampf" von vorne bis hinten durchgelesen. Ihr Gesamteindruck?
OTHMAR PLÖCKINGER:
Nein, ich habe es nie als Buch gelesen. Ich habe es sicher zehn bis 15 Mal durchgearbeitet und insofern auch alles gelesen, aber immer nur diesen oder jenen Abschnitt oder dieses oder jenes Kapitel. Für mich bleibt es daher stets ein Fleckerlteppich, mir fehlt – und das tut mir fast leid – der Gesamteindruck.

War Hitler ein guter Autor?
Die Frage ist, nach welchen Kriterien man das Buch beurteilen möchte. Menschen wie der deutsche Philosoph Martin Heidegger oder der Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann haben das Buch als nicht schlecht geschrieben bezeichnet. Wenn man Thomas Mann als literarischen Maßstab nimmt, dann ist es ein schlechtes Buch; wenn man die völkische Literatur der 20er-Jahre heranzieht, dann ist es ein gut geschriebenes Buch; wenn man moralische Gesichtspunkte wählt, dann ist es ein verbrecherisches Buch. Ein böses Buch muss nicht automatisch schlecht geschrieben sein. Stefan Zweig hat sich darüber mokiert, dass die Kollegenschaft sich über Hitlers Buch lustig gemacht und aus lauter Spott über die verwendete Sprache die Gefahr nicht gesehen habe, die von ihm ausging.

Wie gefährlich ist "Mein Kampf" heute noch?

Es macht aus einem Nazi keinen Demokraten und aus einem Demokraten keinen Nazi. Das Buch alleine hat keine Wirkung. Es ist das Umfeld, der Zusammenhang, in den es gestellt wird. Jemand, der rassistisches Gedankengut hegt, der wird sich dadurch möglicherweise bestätigt fühlen.

War es wichtig, gleich nach dem Erlöschen des Urheberrechts 70 Jahre nach dem Tod Hitlers mit einer wissenschaftlich kommentierten, kritischen Ausgabe zu erscheinen?

Es war uns Historikern und dem Institut für Zeitgeschichte wichtig, dieses Segment zu besetzen, damit es für finanziell und ideologisch motivierte Ausgaben keinen Platz gibt. Deshalb haben wir die wissenschaftlichen Maßstäbe auch so hoch angesetzt, dass praktisch keiner mehr drüber kann. Für rechte Neonazis ist "Mein Kampf" Folklore, die haben es sowieso zu Hause, die warten also nicht auf unsere Edition.

Wenn Sie davon sprechen, dass es für finanziell motivierte Ausgaben keinen Platz geben sollte – meinen Sie damit den Kaufpreis und damit mögliche Gewinne für Verlage?
Der Kaufpreis beträgt knapp 60 Euro und deckt im Wesentlichen die Selbstkosten des Projekts, an dem wir teilweise seit sechs Jahren arbeiten. Alle Rechte bleiben beim Institut für Zeitgeschichte, wir wollen uns nicht dem Vorwurf aussetzen, mit Hitlers Hetzschrift Gewinn zu machen.

Auf 2.000 Seiten wird der Originaltext wiedergegeben – begleitet von rund 3.700 Fußnoten. Wer soll, wer kann diese „Kritische Edition“ lesen?
Ich sehe es als Nachschlagewerk, in dem man wahrscheinlich einzelne Teile lesen wird und andere nicht. Ich kann mir vorstellen, dass die Kapitel über Volk und Rasse jeder lesen wird, und dass andere Bereiche, wie jene, in denen sich Hitler über Schule, Erziehung oder Mode auslässt, nur Spezialisten interessieren werden.

Was schreibt Hitler über Mode und Erziehung?
Er kritisiert die "weibische Mode" der 20er-Jahre, die nichts von Männlichkeit und Stärke erkennen lasse. Was man wissen muss: Er stand damit in der völkischen Szene nicht alleine da, es gab zu der Zeit keine allgemeine Wehrpflicht mehr und viele sahen eine ganze Generation von Soldaten, die vor ihren Augen verloren ging. Die laszive Mode der 20er trieb den Rechten damals die Zornesröte ins Gesicht. Zum Thema Erziehung: Hitler war die Fokussierung auf Wissensvermittlung in der Schule ein Gräuel, seiner Meinung nach fehlte es an der Charakterbildung – auch wenn er unter "Charakter" etwas anderes verstand als wir das heute tun.

Sie sind Lehrer am Salzburger Abendgymnasium. Ist diese "Kritische Edition" etwas, wofür Platz in den Schulen sein sollte?
Der deutsche Lehrerverband hat sich dafür ausgesprochen. Ich glaube, es ist sogar notwendig, diese Edition in den Unterricht zu integrieren. Irgendwann kommen die Fragen nach "Mein Kampf". Bisher musste ich mich da herauswinden bzw. selber Stellung dazu nehmen. Künftig könnten wir es den Schülern zum Nachschauen zur Verfügung stellen. Wir könnten zeigen, wie mit Geschichte Stimmung gemacht wird, wie Geschichte zurechtgebogen werden kann – das hat ja immer auch einen Bezug zu aktueller Politik.

Soll diese wissenschaftliche Ausgabe auch helfen, einen Mythos zu zerschlagen?

Ja, das würde ich schon sagen. Der Nimbus des Geheimnisvollen, des Verbotenen fällt damit weg – jeder kann es lesen. Und es befindet sich der gesamte Originaltext darin, nicht nur Zitate oder auszugsweise Passagen. Das ist wichtig, weil es zeigt, wie sich Hitler inszeniert, stilisiert hat. Einige seiner Beobachtungen waren richtig – und wurden von unverdächtigen Zeitgenossen ebenso wahrgenommen – aber seine Schlussfolgerungen sind das Problem, sein monokausales Erklärungsmuster, wonach alles auf die Juden zurückzuführen sei.

Hitlers Buch wurde mehr als zwölf Millionen Mal gedruckt. Wie viel hat er damit verdient?
Hitler hat durchschnittlich rund zehn Prozent des Ladenpreises von "Mein Kampf" erhalten. Dazu muss man wissen, dass sein Werk mit zwölf Reichsmark unverhältnismäßig teuer war, viele Verlage weigerten sich vor 1925, Ähnliches herauszubringen, weil sie Bücher für mehr als fünf Reichsmark für unverkäuflich hielten. Bis Ende 1932 hatte er rund eine Viertelmillion Bücher verkauft, 1933 kam eine Million dazu und ab 1938/39 etwa jeweils eine weitere Million jährlich. Allein während des Zweiten Weltkriegs wurde das Buch acht bis neun Millionen Mal verkauft – es war das, was wir heute einen Bestseller nennen. Hitler dürfte rund zwölf bis 13 Millionen Reichsmark aus dem Verkauf lukriert haben – die Hälfte dieses Geldes hat er nie von seinem Konto abgerufen.

Nach sechs Jahren "Mein Kampf": Haben Sie genug von Hitler?
OTHMAR PLÖCKINGER:
Man hat schon genug von ihm, wenn man anfängt. Aber als Historiker werde ich der NS-Forschung treu bleiben. Die Fokussierung auf nur eine Figur – Hitler – irritiert mich ein bisschen. Denn Hitler war nicht alleine.

Infos zum Buch:
Hitler, Mein Kampf. eine kritische Edition hrsg. im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte
München – Berlin von Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger, Roman Töppel, unter Mitarbeit von Edith Raim, Pascal Trees, Angelika Reizle, Martina Seewald-Mooser
München 2016
ISBN 978-3-9814052-3-1
ca. 2000 Seiten mit farbigen Abbildungen (2 Bände), gebunden, Leinen ohne Schutzumschlag
59,- Euro (D)

Hier geht es zum Institut für Zeitgeschichte München:
Hitler, Mein Kampf – eine kritische Edition
Informationsflyer des IfZ München zum Download

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