"Ein Gegentrend ist bemerkbar"
St. Pöltner Arbeitspsychologin über Belastungen durch Erreichbarkeit
ST. PÖLTEN (jg). Bis zu 70 Prozent der Arbeitnehmer sind auch in der Freizeit für Kollegen und Chefs permanent erreichbar. In direktem Zusammenhang mit dieser Erreichbarkeit stehen psychische Belastungen. Wie aus einer aktuellen Studie der Arbeiterkammer Niederösterreich (AKNÖ) hervorgeht, liegt der Anteil der Beschäftigten mit Depressionserscheinungen, die in ihrer Freizeit nicht oder kaum erreichbar sind, bei 11,3 Prozent. Bei Beschäftigten mit einem hohen Maß an Erreichbarkeit liegt dieser Wert bereits mehr als doppelt so hoch, bei 24 Prozent.
Verminderte Erholung
"Es ist etwas anderes, wenn eine Erreichbarkeit vom Dienstgeber im Sinne einer Bereitschaft wie etwa beim Winterdienst vereinbart ist, als dieses ständige 'es könnte ja jemand anrufen oder ich checke kurz meine Mails', sagt die St. Pöltner Arbeitspsychologin Michaela Stockinger.
In schlimmeren Fällen könne die ständige Erreichbarkeit und der damit verminderte Erholungswert zu einer Erschöpfungsdepression führen. "Man kommt nicht mehr aus dem Bett, weil man sich nicht mehr motivieren kann", sagt die Expertin. Erste Anzeichen dafür seien Konzentrationsstörungen, man vergisst Namen oder vertauscht Zahlen, hinzu kommen Stimmungsschwankungen und die Angst vor dem Montag.
Überraschungen vermeiden
Eine große Rolle spielen bei dieser Entwicklung laut Stockinger sogenannte all-in-Verträge. "Damit wird quasi vorausgesetzt, dass die Erreichbarkeit über die eigentlichen Dienstzeiten hinaus verlängert ist." Die Arbeitspsychologin empfiehlt dahingehend, klare Regelungen, was wichtig ist und wie weit die Erreichbarkeit gehen muss, mit dem Dienstgeber zu treffen. "Je mehr im vorhinein vereinbart ist, desto weniger Überraschungen gibt es", sagt sie. Und: "Auch ein Diensthandy kann man übrigens abschalten." Entsprechende Versuche, bei denen die Handys ab 17 Uhr ausgeschaltet werden, gibt es bereits in Deutschland. "Ein Gegentrend ist also bemerkbar."
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