Lost Places
Als die Steirer noch ins Tiefkühlhaus gingen

Rund 400 Tiefkühlhäuser sorgten in der Steiermark ab 1950 für eine neue Form der Bevorratung. Heute zeugen in vielen Gemeinden nur noch unscheinbare Ruinen und Mauerreste vom Siegeszug der frostigen Treffpunkte. MeinBezirk.at begab sich in Hitzendorf auf Spurensuche. 

STEIERMARK/GRAZ-UMGEBUNG. Einst gesellige Orte der Begegnung, um die sich zahlreiche Geschichten rankten, fristen sie heute ihr Dasein vielfach als unscheinbare Ruinen inmitten florierender Gemeinden: "Die ersten Tiefkühlhäuser wurden in der Steiermark im Jahr 1955 errichtet. Im Jahr 1960 gab es bereits an die 200 in Graz", berichtet der Grazer Ethnologe Helmut Eberhart. Gemeinsam mit Rechtshistorikerin Anita Ziegerhofer widmet er sich im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojektes der Karl-Franzens-Universität Graz diesem oftmals bereits in Vergessenheit geratenen Kulturgut.

Hat es in deiner Gemeinde auch ein Tiefkühlhaus gegeben?

"Gemeinschaftstiefkühlhäuser waren insbesondere für den ländlichen Raum eine bedeutende Form der Bevorratung, da Tiefkühltruhen zu dieser Zeit noch ein Vermögen gekostet haben. Ihre Entwicklung liefert damit jedoch nicht nur spannende Einblicke in eine Veränderung der Essgewohnten der Steirerinnen und Steirer, sondern sie erzählt auch die Geschichte der Modernisierung von Gemeinden", vergegenwärtigt Ziegerhofer die wirtschaftliche Bedeutung der Anlagen in weiten Teilen der Steiermark. 

Frostige Einrichtungen in der ganzen Steiermark 

Für die Erstellung einer Topografie der Tiefkühlhäuser in der Steiermark starteten Eberhart und Ziegerhofer im Jahr 2020 einen Aufruf an alle steirischen Gemeinden, um Rückmeldungen über ehemalige oder noch aktuelle Standorte von Tiefkühlhäusern einzuholen.

Und das Projekt stieß sogleich auf großes Interesse: "Viele Steirerinnen und Steirer erinnerten sich plötzlich wieder an Geschichten aus ihrer Kindheit, die sich um die Kühlanlagen drehten", erzählen Eberhard und Ziegerhofer. Historische Aufzeichnungen trafen auf mitunter emotionale Zeitzeugenberichte, statische Fotomotive auf bewegende Bilder längst vergangener Tage. 

Helmut Eberhart und Anita Ziegerhofer mit Herbert Halsegger vor dem Tiefkühlhaus in Steinberg (Gemeinde Hitzendorf) | Foto: RegionalMedien Steiermark
  • Helmut Eberhart und Anita Ziegerhofer mit Herbert Halsegger vor dem Tiefkühlhaus in Steinberg (Gemeinde Hitzendorf)
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Kühlanlagen am Steinberg und in Berndorf 

So zum Beispiel in der weststeirischen Gemeinde Hitzendorf: Halb verfallen und von Efeu umschlungen ist am Steinberg noch heute eine solche ehemalige Gemeinschaftkühlanlage zu finden. In Vergessenheit geraten ist sie hier jedoch nicht. "Anfang der 60er-Jahre habe ich meine Eltern regelmäßig in dieses Haus begleitet. Vor allem die kühle Luft beim Eintreten und die besonderen Gerüche des Tiefgefrorenen habe ich bis heute noch in Erinnerung", erzählt der Hitzendorfer Herbert Halsegger über den einprägsamen Ort seiner Kindheit.

Gemeinsam mit Helmut Eberhart und Anita Ziegerhofer hat er die Anlage in der Folge genauer unter die Lupe genommen und die wissenschaftliche Analyse mit historischen Fakten aus eigenen Nachforschungen und persönlichen Anekdoten ergänzt. 

Das Tiefkühlhaus in Steinberg ist dem Verfall preis gegeben. Holzrahmen erinnern an die 30 Tiefkühlfächer, in denen Fleisch und Gemüse einst gefroren haltbar gemacht wurden.  | Foto: Eberhard
  • Das Tiefkühlhaus in Steinberg ist dem Verfall preis gegeben. Holzrahmen erinnern an die 30 Tiefkühlfächer, in denen Fleisch und Gemüse einst gefroren haltbar gemacht wurden.
  • Foto: Eberhard
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Umfassende Informationen erhielten Eberhart und Ziegerhofer auch von Hermine Teschner aus Berndorf. Denn neben dem verfallenen Tiefkühlhaus am Steinberg ist in der Gemeinde ein weiteres zu finden: In der Hitzendorfer Katastralgemeinde Berndorf widmet sich die  Tiefkühlgemeinschaft um Obmann Kurt Kager auch heute noch dem Betrieb der Anlage sowie der Vermietung der insgesamt 102 Fächer.

"Im Jahr 1957/58 wurden in der großen Wohnküche unseres Hauses die ersten Besprechungen bezüglich des Baues eines Kühlhauses geführt. Wir Kinder waren aufmerksame Zuhörer und haben erstmals Einblick in Vorbereitungen zu einem Grundstückskauf, in die Planung eines Gebäudes mit vielen Fächern, wo man Fleisch für längere Zeit einfrieren kann, gewonnen."
Hermine Trummer, Tiefkühlgemeinschaft Berndorf

Mit Blick auf die Nachbargemeinde Söding, wo es bereits ein solches Kühlhaus gab, wurde schließlich mit dem Bau begonnen. "Parallel zum Bau des Gebäudes fanden Kurse zur richtigen Vorbereitung des Fleisches, d.h. zur sachgerechten Verpackung, Vorfrostung und zu Hygienevorschriften, statt", berichtet Trummer. Der Gründung eines Vereins folgte die Eröffnung der Einrichtung. Das Kühlhaus Berndorf ist nach wie vor in Betrieb, hervorragend restauriert und ständig ausgelastet. Im Jahr 2019 wurde das 60-jährige Bestehen der Anlage gefeiert. 

In der Hitzendorfer Katastralgemeinde Berndorf widmet sich der Verein um Obmann Kurt Kager um den Betrieb des Tiefkühlhauses. Im Elternhaus von Hermine und Gertrude Trummer wurden vor über 60 Jahren die Pläne für die Anlage ausgearbeitet.  | Foto: RegionalMedien Steiermark
  • In der Hitzendorfer Katastralgemeinde Berndorf widmet sich der Verein um Obmann Kurt Kager um den Betrieb des Tiefkühlhauses. Im Elternhaus von Hermine und Gertrude Trummer wurden vor über 60 Jahren die Pläne für die Anlage ausgearbeitet.
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Über 400 Tiefkühlhäuser in der Steiermark

Infolge ihrer Recherchen wissen Helmut Eberhart und Anita Ziegerhofer mittlerweile von über 400 Tiefkühlhäusern, die es in der Steiermark einst gab, 40 davon - wie die Anlage in Berndorf - stehen heute noch immer in Betrieb. "Vor allem in der südlichen Oststeiermark und in der Weststeiermark sind durch eine entsprechende Dichte an Dörfern viele Tiefkühlhäuser zu finden, doch es gab sie auch in der Obersteiermark, allerdings weniger häufig", fasst Eberhart ein wesentliches Ergebnis der Forschungsarbeit zusammen.

Neben jenen, die heute noch genutzt werden, und alljenen, die ihr Dasein im Landschaftsbild verloren vor sich hinfristen, wurden etliche Gebäude im Laufe der vergangenen Jahre abgerissen. Andere hingegen erlebten einen Funktionswandel und dienen heute als Vereinslokal, Museum, Wohnhaus oder Blumenhandlung. 

In welcher steirischen Gemeinde das größte Tiefkühlhaus steht, das heute noch genutzt wird, erklärt Helmut Eberhart hier: 

Hier findest du einen Beitrag zu einem Tiefkühlhaus in Hofstätten an der Raab: 

Das Kühlhaus, ein unverzichtbarer Teil früherer Dorfkultur

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