Linzer Polizeidirektor von der SS bei Gallneukirchen ermordet

Hitler am Krankenbett Peterseils: „Der Höhepunkt meines Lebens” | Foto: Archiv Mayrhofer
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  • Hitler am Krankenbett Peterseils: „Der Höhepunkt meines Lebens”
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LINZ/GALLNEUKIRCHEN/ENGERWITZDORF. Die Ereignisse des Samstags, 12. März 1938 (Einmarsch deutscher Truppen in Österreich) und ihre historischen Hintergründe sind allgemein bekannt. Was sich aber in der „kleinen Welt” der Mühlviertler Dörfer und Märkte rund um diesen Tag und in den folgenden Wochen und Monaten abspielte, ist weitgehend vergessen. Dieser Bericht soll die Verbrechen und den Terror der Nazis auch auf regionaler Ebene ein wenig beleuchten.

Schon nach der historischen Schuschnigg-Radiorede vom Abend des 11. März („Gott schütze Österreich!” ) hatten sich SA und SS Polizeigewalt angemaßt und sofort nach schon vorbereiteten Listen mit der Verhaftung von Nazi-Gegnern, mit der Plünderung jüdischer Geschäft an der Landstraße in Linz und des Quälens ihrer Besitzer (von denen manche Selbstmord begingen) begonnen. Der Rache der bisher verfolgten Nationalsozialisten fielen in Linz bis 17. März Polizeidirektor Dr. Viktor Bentz und drei weitere hohe Polizeioffiziere zum Opfer, die erschossen oder (wie Dr. Bernegger) erschlagen wurden.

„Auf der Flucht erschossen” – Göring putzt sich ab
Noch in der Nacht zum 12. März (es war ein Samstag, fünf Wochen vor Ostern) besetzte die Linzer SS die Polizeidirektion in der Linzer Mozartstraße, Dr. Bentz durfte noch alles ordnungsgemäß übergeben, dann zog er sich in seine Sommerwohnung in Schloß Haus bei Wartberg ob der Aist zurück (damals gehörte es noch dem Fürsten Starhemberg, heute ist es ein Landes-Pflegeheim). Zwei Tage später wurde Dr. Bentz von der SS abgeholt und (so die offizielle Begründung) „auf der Flucht” in einem Wald oberhalb des Tumbachberges bei Gallneukirchen niedergeknallt. (Genau dort wurden am 4. Mai 1945 zwei Landarbeiter mit ihrem Ochsengespann ein Opfer amerikanischer Tiefflieger). Dr. Bentz’s Leiche wurde im Steyrer Krematorium eingeäschert, die Urne der Witwe ausgefolgt. Obwohl die Familie Bentz mit einem Schwager Hermann Görings verwandt war und der „Reichsmarschall” nach dem Einmarsch seine oberösterreichischen Verwandten (die z.T. Nationalsozialisten waren) besucht hatte, soll er den Mord an Dr. Bentz achselzuckend mit „Es mußte sein!” kommentiert haben. Für den Mord am Linzer Polizeidirektor dürfte aber hauptsächlich der Rachedurst der Linzer Nazis verantwortlich gewesen sein, die schon 1934 ihren Gegnern bei der Linzer Polizei den Tod geschworen hatten.

Dieser Rachedurst der Nazis tobte sich aber auch auf lokaler Ebene aus. So wurden in Gallneukirchen Gend.Postenkommandant Adolf Hofmann, Gemeindewachmann Wilhelm Buchberger und Tischlermeister Ludwig Berger von der SA schwerst mißhandelt und spitalsreif geprügelt. Viele Menschen waren aber von einem wahren Freudentaumel über den Anschluss erfaßt (so wurden auf von der von der Straße von Gallneukirchen nach Katsdorf aus gut sichtbaren Wiesenhängen aus Sägespänen Hakenkreuze geformt, mit Benzin getränkt und angezündet) und registrierten die Gewalttaten der Nazis kaum. Die SA brach die Kaiserbüste auf dem Gallneukirchner Marktplatz ab und „entsorgte” sie mit einem Radlbock. Niemand weiß mehr, wo die Figur gelandet ist. Sie war 1898 aus Anlaß des 50 jährigen Regierungsjubiläums von Kaiser Franz Josef I. im Eck vor dem Haus Ingartner (heute Brunner) errichtet, 1918 entfernt und unter dem Dollfuss-Regime 1934 wieder aufgestellt worden. Heute ist diese geschichtliche Skulptur verschollen. Alte GallneukirchnerInnen erinnern sich an die Fronleichnamsprozession 1938, (die Musikkapelle nahm daran teil!) als die aus der Kirche ausgetretenen Nazis am Straßenrand standen und lauthals über die „Betschwestern” und Kerzerlschlucker” lästerten - nach 1945 wurden sie aber wieder „treue” Katholiken. Die Vereine wurden entweder „gleichgeschaltet” oder aufgelöst, wie etwa der katholische Reichsbund. Der damalige Vereinskassier, Rudolf Mairhofer (Schedl in Reichenbach) erzählte dem Verfasser, dass die örtlichen NS-Funktionäre zu ihm gekommen seien und die Vereinskasse beschlagnahmt hätten.

Franz Peterseil und Hitler: „Der Höhepunkt meines Lebens”
Eine Schlüsselfigur der Gallneukirchner und Engerwitzdorfer, aber auch der oberösterreichischen Nazi-Szene war Franz Peterseil. Er stammte aus Schörgendorf, Gemeinde St. Georgen an der Gusen, sein Lebensmittelpunkt als illegaler, verfolgter Nationalsozialist war der nahe Bauernhof seines Bruders, das Laschengut in Niederthal, Gemeinde Engerwitzdorf. Er, der schon 1928 der NSDAP beigetreten war, wurde 1933 als Korporal vom Österreichischen Bundesheer wegen „moralischer Nichteignung” entlassen und arbeitslos geworden. Als Vertreter hatte er Gelegenheit, überall für die Nazis zu werben. Er war auch für Terrorakte (wie Eisenbahn-Attentate) verantwortlich und verbrachte fast zwei Jahre im Gefängnis, davon elf Monate im Anhaltelager Wöllersdorf (NÖ.), wo übrigens der Gallneukirchner Gndarmerie-Postenkommandant Rev. Insp. Karl Simon 1935 zum stellvertretenden Lagerkommandanten bestellt wurde.

Die große Zeit für Franz Peterseil kam mit dem Anschluß Österreichs ans „Dritte Reich”. In seiner Lebensbeschreibung (im Gerichtsakt im Oö. Landesarchiv) schrieb Peterseil, der am 12. März nach einer Magenoperatiom im Linzer AKH lag: „Es ist ganz unmöglich, bei Ankunft des Führers im Spital zu bleiben.Ich setze es durch, dass mich mein Adjutant mit dem Krankenauto ins Rathaus bringen läßt. Auf die Tragbahre gebettet, warte ich auf den Führer.” Er darf sogar über den Lautsprecher zu den auf dem Hauptplatz versammelten 60.000 Menschen sprechen, und der Radioreporter, der live auf Sendung ist, schreit begeistert: „Selbst der kranke SA-Führer Franz Peterseil läßt es sich nicht nehmen, seinen geliebten Führer zu begrüßen”. Peterseil weiter: „Plötzlich höre ich von draußen den aufbrausenden Jubelruf „Sieg heil!” und „Wir danken unserem Führer!” und weiß, daß der Führer jeden Augenblick ins immer treten kann. Ich erlebe den Höhepunkt meines Lebens, als der Führer zu mir herantritt, mir die Hand reicht und mit mir spricht.” Diese Szene ist im Foto festgehalten.

Befehlhaber bei der „Mühlviertler Hasenjagd”
So begann die Karriere Franz Peterseils, der es vom gejagten Hochverräter zur NS-Prominenz in Er verließ die SA und trat in die SS ein, in der er SS-Standartenführer (der Rang entsprach in der Wehrmacht einem Oberst) wurde. Dazu wurde er in den Reichstag abgeordnet und mit Blutorden, Ehrendegen und Totenkopfring ausgezeichnet. Damit gehört er zu den höchstdekorierten NS- Funktionären in Oberösterreich. Er war als NS-Gauinspekteur wichtiger Mitarbeiter von Gauleiter Eigruber und verantwortlich für die Enteignung oberösterreichischer Stifte und Klöster, für die brutale Arisierung von Betrieben für sein persönliches Interesse (so riß er sich die Spirituosen- und Likörfabrik Mostny & Brück bzw. Spitz in Attnang-Puchheim sowie Jagd- und Fischereirechte des Stiftes Schlägl unter den Nagel). Sein Andenken ist auch schwer belastet durch Blut, das an seinen Händen klebt. Franz Peterseil warb für Personal für das Mordschloß Hartheim, war in die Beschaffung mit Giftgas involviert und lieferte den „Brennern” (Heizern an den Vernichtungsöfen) Schnaps. Vor allem ist Franz Peterseil eine Hauptfigur in der „Mühlviertler Hasenjagd” vom Februar 1945, wo er als Chef des SA-„Gausturms” die Verfolgung der 500 entflohenen russischen KZ-Häftlinge befehligte, von denen die meisten bei ihrer Ergreifung ermordet wurden. Nach dem Krieg gingen viele Täter frei, weil sie sich auf Tötungsbefehle Peterseils beriefen.

Franz Peterseil hat laut einem Augenzeugen aus Wels auf der Flucht mit Gauleiter Eigruber bei St. Pankraz im Pyhrngebiet einen jungen Leutnant, der befehlsgemäß die Autokolonne aufhalten wollte, erschossen. Während Eigruber verhaftet und später nach dem „Mauthausen-Prozeß” in Landsberg/ Bayern gehenkt wurde, konnte Peterseil untertauchen. Er gründete unter dem Falschnamen Bergmann in München ein Likörgeschäft und eine Wäscherei. Obwohl als Kriegsverbrecher auf der Fahndungsliste, blieb Peterseil trotz Kenntnis der Justizbehörden von seiner Münchner Adresse unbehelligt, ja er baute sich bei Julbach ein Haus, wurde 1957 von den österreichischen Behörden amnestiert und bekam sogar sein in Österreich beschlagnahmtes Vermögen zurück. Am 16. April 1959 bekam er von der Bundespolizeidirektion Linz ein Leumundszeugnis: „Franz Peterseil scheint in der ha. Strafevidenz nicht vermerkt auf. Wenn man von seiner politischen Laufbahn absieht, genießt Peterseil einen guten Leumund”. Am 12. November 1991 starb Peterseil, 85 Jahre alt. Seine Lebensgeschichte hat 2003 der Katsdorfer Heimatkundler Franz Gindlstrasser in einem Buch, an dem auch der Verfasser dieses Beitrags und des Engerwitzdorfer Heimatbuches mitgewirkt hat, dargestellt.

Volksabstimmung: Eine Nein-Stimme im ganzen Gerichtsbezirk
Bei der von den Nazis am 10. April 1938 angesetzten Volksabstimmung über den Anschluß Österreichs ans Deutsche Reich (eine Farce, da es kaum jemand wagte, die Wahlzelle zu betreten, sondern man kreuzte schon vor den Augen der NS-Wahlkommission offen das übergroße Ja an) gab es im Gerichtsbezirk Urfahr nur eine einzige Gegenstimme. Die Vermutung des Autors, diese Nein-Stimme dürfte vom Landwirt Leopold Dorninger (Fürth zu Wolfing) abgegeben worden sein, wird durch ein mit 29. Juni 1938 datiertes Schreiben der NS-Führung von Engerwitzdorf gestärkt, in dem Dorninger vor weiterer öffentlicher Kritik am NS-Regime (so hatte er kurz zuvor beim Bauernstammtisch in einem Gallneukirchner Gasthaus gegen die Nazis gewettert) gewarnt und aufgefordert wird, am 2. Juli in der Engerwitzdorfer Gemeindekanzlei „Abbitte zu leisten und einen Schlußstrich unter seine Vergangenheit zu ziehen”. Dorninger wurde mit Repressalien gegen seine Familie bedroht, vor allem gegen seine Kinder, von denen eines der spätere Schuldirektor in Gallneukirchen Friedrich Dorninger war.

Wegen eines Witzes im KZ – Die überraschende Freilassung
Diese Warnung schlug Dorninger aber in den Wind, sondern er legte noch ein Schäuferl nach: In einem Gasthaus in Klendorf erzählte er (es war bereits 1939) einen Witz, der ihn ins KZ Mauthausen brachte. Er hatte gefragt, wer denn der größte Bauer im Deutschen Reich sei, und die Zuhörer mit der Antwort amüsiert, aber auch erschreckt: „Adolf Hitler, denn er hat die meisten Rindviecher unter sich und die größte Sauwirtschaft”. Es kam, wie es kommen mußte: Ein Gast aus Wachsreith (bei Ried in der Riedmark, er ist später im Krieg gefallen) denunzierte Dorninger, der von der Gestapo verhaftet, ins Polizeigefängnis nach Linz eingeliefert und von dort ins KZ Mauthausen überstellt wurde. Über seine bereits zwei Tage später erfolgte Freilassung zirkulieren in der Bevölkerung noch heute mehrere Versionen. So erzählt man sich, Dorninger sei auf Betreiben des Engerwitzdorfer Bürgermeisters Josef Winklehner und des Landwirts Michael Pendlmayr (Schöberl in Niederthal) freigelassen und mit dem Motorrad abgeholt worden. Der Schöberl war damals Jagdleiter in Engerwitzdorf und mit dem häufigen Jagdgast Franz Ziereis ( SS-Standartenführer und seit 9. Februar 1939 Kommandant des KZ Mauthausen) gut bekannt gewesen. Angeblich hat sich auch NS-Ortsgruppenleiter Ferdinand Wagner für den Verhafteten eingesetzt, der eine sehr hohe Kaution zahlen habe müssen. Ein Zeitzeuge aus Luftenberg, der in Niederthal aufgewachsen ist, glaubt zu wissen, dass Gauinspekteur Peterseil auf Ersuchen Pendlmayrs mit seinem Dienstauto zu Ziereis nach Mauthausen gefahren sei, von diesem die Freilassung Dorningers erreicht und ihn mit seinem Auto wieder nach Hause gebracht habe. Jedenfalls dürfte Ziereis (er wurde 1945 auf der Flucht von den Amerikanern tödlich verwundet) im Einvernehmen mit Gauleiter Eigruber gehandelt haben. Die Verhaftung Dorningers war wahrscheinlich noch nicht nach Berlin gemeldet worden, denn sonst wäre die formlose Freilassung undenkbar gewesen. Dorninger wurde nach dem Krieg Ehrenbürger von Engerwitzdorf. 1956 ist er im 76. Lebensjahr gesorben.

Krankes Ehepaar vor Hartheim gerettet
Schon am 13. März 1938 waren die Gemeinderäte aufgelöst und kommissarische Leiter eingesetzt. In der ersten Sitzung des - nunmehr so genannten Gemeindetages - wurde am 22. Mai von der NSDAP unter Mitwirkung des Keisleiters die neue Gemeindeführung von Engerwitzdorf bestellt. Sie bestand fast ausschließlich aus Bauern, der Bedeutung entsprechend, die die neuen Machthaber der Landwirtschaft beimaßen. Der neubestellte Bürgermeister Josef Winklehner zeigte sich auch als NS-Funktionär menschlich: Er verhinderte z. B. den Abtransport eines benachbarten, bettlägerigen Ehepaares nach Hartheim, wo die beiden alten Leute sicher ermordet worden wären. Deren Tochter war zur Gestapo vorgeladen worden, weil sie infolge Krankheitskosten der Eltern nichts für das NS-Winterhilfswerk spenden hatte können. Als sie den Grund nannte, schickte die Gestapo ein Auto nach Schweinbach. Josef Winklehner konnte die Häscher wegschicken. Ein behindertes Mädchen aus der Gemeinde - es hatte eine wundervolle Singstimme - konnte aber selbst Winklehner nicht vor der Ermordung in Hartheim bewahren.

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