Scheuers Schau
Die Grazer Kunstgalerie Artfabriek widmet sich derzeit intensiv dem Werk von Graphic Novelist Chris Scheuer.
Bei uns sagt man landläufig „Comic-Zeichner“. Das ignoriert die künstlerische Dimension des Genres und die erzählerische Qualität, zu der es manche (wie Scheuer) bringen.
Robert Uranitsch und Katja Tvarijonas-Uranitsch hatten im Schauraum ihres Betriebes, der Druckgrafik birgt, einem sehr kontrastreichen Publikum Anlaß geboten, sich daran zu vergnügen, daß die alten Zuschreibungen längst gefallen sind.
Was das meint, alten Zuschreibungen? Wer, wie ich, noch in den 1950ern geboren wurde, hat die Kategorie „Schmutz und Schund“ kennengelernt. Unter diesem Motto wurden uns einst Comic-Hefte aus den Händen geschlagen.
Derlei Bestreben, angebliche „Kulturschande“ einzudämmen, muteten uns halbgebildete Menschen zu, die etwa Readers Digest abonniert hatten, also nicht gerade Perlen der Belesenheit waren.
Dabei hatten schon damals die Graphic Novels einerseits Felder der Gegenwartskunst erreicht, andrerseits der Populärkultur neue Positionen geschaffen. Als Buchandels-Lehrling habe ich in meinen Teenager-Jahren Figuren wie Little Nemo von Winsor McCay oder Krazy Kat von George Herriman kennengelernt; in Publikationen renommierter Verlagshäuser, neben Arbeiten von Tomi Ungerer oder Paul Flora.
Das waren natürlich raffiniertere Werke als Rolf Kaukas Fix und Foxi. Doch die hoch motivierten Kulturschützer hatten uns ja auch verschwiegen, daß sich Millionen von Menschen ihre Literarität nicht bei der Lektüre von Goethe geholt hatten, sondern über Groschenhefte und Fortsetzungsromane in Zeitungen.
So saßen uns kleinkarierte Spießer im Nacken, die für sich selbst nur in Ausnahmen tiefer in Gegenwartsliteratur oder andere Kunstformen vorstießen, aber uns Kindern die „Schundheftln“ wegnahmen, um uns auf einen bürgerlichen Kulturkanon einzuschwören.
Mit den dynamischen Arbeiten von Chris Scheuer sind eben solche Kindheitserfahrungen in die Mistkübel individueller Lebensgeschichten verfrachtet. Er ist als Zeichner atemberaubend und als Erzähler so raffiniert, daß man schnell merkt: Leseerfahrung hilft.
Graphic Novels bieten freilich die kleine Annehmlichkeit, daß sie einen auch auf bloß visueller Ebene erfreuen können, falls einem die darin steckende Story grade zu viel abverlangen sollte.
Über genau diesen visuellen Reiz laden sie auch ein, gegen den Stich, gegen die Erzählrichtung betrachtet zu werden, wahlweise ganz sprunghaft. Diese Kunstform erlaubt demnach sehr verschiedene Zugänge, was für Wahrnehmungserfahrungen sorgt, die linearen Einbahnregelungen spotten.
Am Eröffnungsabend griff Scheuer nach seiner Stratocaster, Gert Huth stand ihm am Bass zur Seite, Erich Rechberger hatte sein Schlagzeug aufgebaut. Kabarettistin Irene S. kam für einige Augenblicke spontan dazu. Man durfte sich kurz an die späten 1970er erinnern, wo eben solche Sessions in so manchen Grazer Untergründen Standard gewesen sind.
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