Was ist Volkskultur?

Die „Weltmaschine“ von Franz Gsellmann war das Exponat purer Volkskultur eines Mannes, der sich mit keiner Kulturtheorie je befaßt hat, wird aber heute in das Kunstfeld hinüberinterpretiert.
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Die letzten tausend Jahre war die Befassung mit Kunst und mit Fragen der Kultur den Eliten vorbehalten. Der Pöbel hatte sich auf den Feldern und sonst wo krummzuschinden, um zu erwirtschaften, was Adel und hoher Klerus großzügig konsumieren durften.

Mit dem sozialen und politischen Aufstieg des Bürgertums verschoben sich kulturelle Gegebenheiten und Fragen des Lebensstils. All das hat mich in meiner Kindheit noch kraftvoll erreicht. Ich bin mit der ideologisch geprägten Unterscheidung zwischen „Hochkultur“ und „Volkskultur“ aufgewachsen, mit der Trennung von „U“ und „E“, also „Unterhaltung“ und „Ernstes“.

Das „Ernste“ als Ausdruck kultureller Dignität. Das müßte man dem Urheber wie einen nassen Fetzen um die Ohren hauen. Was aber durfte der Pöbel pflegen und genießen? Ich komme aus dem Sozialbau, siebter Stock am Grazer Münzgrabengürtel. Handwerker, Säufer, Hutschenschleuderer, dazwischen ein verzweifelter Mittelschullehrer und etliche kleine Angestellte. Als Proletenkind, ohne Matura und akademische Würden, bin ich ein Insider dieser Verhältnisse.

In meinen Volksschultagen haben mich Bildungsbürger, die sich nach sozialem Aufstieg verzehrten, mit Kategorien wie „Schmutz und Schund“ gequält. (Wer weiß heute noch, was man unter „Schundheftl“ versteht?) Ein gebildetes Spießertum wollte uns nicht einmal unsere „Volkskultur“ lassen, die mit Schmutz unter den Fingernägeln und Schweißgeruch verknüpft war.

Damit meine ich, die Kultur hart arbeitender Menschen konnte sich nicht mit den Resten höfischer Kultur und mit den bürgerlichen Bildungsidealen messen. Sie hatte auch andere Aufgaben. Sie mußte einem wenigstens etwas an Süße in saure bis bittere Arbeitstage bringen. Sie sollte Rahmenbedingungen erweitern, in denen die kreativen Potentiale von Menschen Anwendung finden konnten; und zwar jenseits der bloßen Alltagsbewältigung.

Wir sind verwöhnte Leute und müssen uns meist – zumindest im regionalen Kulturgeschehen – nicht mehr damit auseinandersetzen, weil wir zu Dreck und Schweißgeruch noble Distanz gewonnen haben.

Ich verfolge gerade mit großer Neugier die merkliche Irritation meines Sohnes, der momentan mehr Geld braucht und dafür in permanente Nachtschicht ans Fließband ging. Es ist eine anstrengende, eintönige Arbeit in ermüdendem Mangel an Abwechslung; und das unter Leuten, die teils sehr grobe Gemüter zeigen.

Das sind Verhältnisse, die zu jeder Zeit – je nach technologischem Status quo – vielen Menschen auferlegt waren. Was nun an kreativem Potential in etlichen von uns ist, findet einerseits im Zweckrationalen Betätigung. So werden dann etwa Werkzeuge verbessert, Arbeitsabläufe so gestaltet, daß sie weniger Mühe machen, werden Innovationen eingeleitet.

Das hat aber andrerseits auch ästhetische Dimensionen, wo es dann um einen Gewinn an Wahrnehmungserfahrungen geht. So muß die Form eines Werkzeuges natürlich primär seiner Funktion dienen, denn ein schönes Werkzeug, das nicht funktioniert, ist Schrott.

Aber oft ziehen Funktionen mitunter sehr schöne Formen nach sich, die eben nur der kreative Mensch freilegt. Außerdem verleitet uns unsere Fähigkeit zu symbolischem Denken auch dazu, Gebrauchsgegenstände zu verzieren, über ihren primären Nutzen hinaus zu verschönern, zu modifizieren.

Zu all dem haben wir ursprünglich keine Magistrae und Doctores gebraucht, kein akademisches Personal, das uns sagt, wo es langgeht. Wir haben auch keine Oberlehrer gebraucht, die ihre eigenen Positionen aufzuwerten versuchen, indem sie ihre Definitionsmacht ausbauen und uns, dem Pöbel, dem Rotz, sagen, wo kulturell der Hammer hängt.

Was wir uns heute unter Volkskultur vorstellen dürfen, wird hauptsächlich von einem aufgeregten Bildungsbürgertum gehätschelt und gehütet. Es wäre Zeit, einmal nachzusehen, was sich in den ursprünglichen Möglichkeitsräumen der Volkskultur tut.

Das bedeutet, was tut sich Interessantes, wenn jemand von der Arbeit heimgeht und dann seine oder ihre Talente wie Ideen völlig selbstbestimmt einsetzt? Was tun Menschen mit ihrem kreativen und gestalterischen Potential, wenn sie es zum eigenen Vergnügen, zur eigenen Erbauung anwenden, wenn ihnen weder ein Boss noch irgendein Sachzwang den Auftrag erteilt?

Man könnte nun ins Streiten kommen, wenn man an eine Hausfrau denkt, die dem Haus zu einem guten Ruf verhilft, aber mehr noch dem Dorf, weil sie beim regionalen Blumenschmuckwettbewerb punkten konnte. Aber ein wichtiges Kriterium der Volkskultur sollte eben sein, daß man aus dem Arbeitsalltag herausschreitet und sich – von solchen Zwängen unbehelligt -- selbst den Auftrag zu seinem kulturellen Tun gibt.

Das müßte man dem Blumenchmuck-Champion dann ebenso zugestehen, wie etwa den unvernünftigen Leuten einer Schrauber-Szene, die Kraftfahrzeuge restaurieren, modifizieren, frisieren, was weiß ich.

Ich möchte dazu folgende Annahme deponieren: Die bürgerliche Repräsentationskultur gibt den Menschen zwar Gelegenheit, ihre Talente zu entfaltet, bürdet ihnen aber unerbittlich auf, das ganze Milieu zu REPRÄSENTIEREN und, was natürlich tückisch ist, es gegen andere Milieus abzugrenzen.

Entgegen solcher Inszenierungen repräsentieren sich Männer und Frauen im Kontext der Volkskultur ausschließlich selbst. Sie vergnügen sich an Vorhaben, in denen sie sich, aber nicht „das Volk“ vertreten.

Daraus müßte folgen: Wo sich Volkskultur-Aktivitäten den Inszenierungen der bürgerlichen Repräsentationskultur andienen, also in diesem Sinn repräsentativ werden, haben sie mit Volkskultur eher wenig bis nichts zu tun.

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