„Leb wohl“: Familie nimmt Abschied von Sohn, der in die Seestadt Aspern zieht
Zu bewegenden Szenen ist es gestern in Wien-Neubau gekommen. Mehrere Familienmitglieder nahmen Abschied von ihrem Sohn Paul (25), der kürzlich einen schweren Schicksalsschlag erlitten hat: Ihm wurde eine Genossenschaftswohnung in der Seestadt Aspern zugesprochen.
Bei der Abschiedsfeier ließen viele von Pauls Verwandten ihren Emotionen freien Lauf. „Ich fühle, dass wir uns irgendwann wieder begegnen werden“, sagt sein in Schwarz gekleideter Vater Klaus mit Tränen in den Augen. „Wenn nicht in diesem Leben, dann im nächsten.“ Doch manche Verwandte können es einfach nicht glauben und leugnen die Wahrheit. „Ach, wir sehen uns ja bestimmt in einigen Monaten wieder“, lacht Cousine Claudia etwas gezwungen. Doch alle Anwesenden wissen: Das ist eine Lüge. Denn um in die Seestadt zu kommen, müsste Claudia zweimal umsteigen – unzumutbar für jeden Wiener.
Einöde statt Hipster-Bezirk
Tatsächlich gleicht die Reise in die Seestadt einer Odyssee. Die U-Bahnen fahren nur alle zehn Minuten. Zu Autofahrten durch die Region wird nur in dringenden Fällen und mit einem ausreichenden Biervorrat geraten, um die Einöde ertragen zu können. Tatsächlich ist die Seestadt die einzige Region des Landes, in der man nicht nur betrunken mit dem Auto fahren darf, sondern zur eigenen Sicherheit sogar muss.
Abfahrt
Schließlich ist es für Paul so weit. Die 49er-Bim wartet bereits an der Station. Ein letztes Mal umarmt die Familie den Sohn und hilft ihm, seine Habseligkeiten sowie seine Marihuana-Pflanzen in die Straßenbahn zu heben. Traurig winken sie Paul nach, bis die Bim in die Neubaugasse einbiegt und für immer verschwindet. Dann macht sich Trauer breit. Es wird einige Tage dauern, bis sie bereit sind, Paul aus ihrer Facebook-Freundesliste zu löschen.
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