2014 - Europa weiter gespalten zwischen Ost und West?
iklas Perzi vom Institut für Geschichte des ländlichen Raumes, beschließt unsere Expert_innen-Befragung mit einer Rückschau auf die Entwicklungen Europas in den letzten 100 Jahren. Er spannt den Bogen vom Zusammenbruch nach dem ‚Großen Krieg‘, der Verunsicherung der Menschen, die trotz ersten Demokratien in totalitären Systemen endete, die in der totalen Entmenschlichung im 2. Weltkrieg gipfelten. Er beschreibt den Weg der Inklusion des europäischen Westens nach dem 2. Weltkrieg und die Implosion des Kommunismus 1989.
Die Analyse der heutigen Situation in Europa veranlasst ihn zu einem interessanten Resumme: Die linksliberale Meinungshoheit des alten Westeuropa, die nicht den historischen Erfahrungen der östlichen Ländern entspricht, trage zur Fortschreibung der Spaltung Europas bei. So sollte Europa dringend lernen politische und ideologische Konfliktfelder in einem offenen Wettstreit auszutragen anstatt den politischen ‚Gegner‘ moralisierend zu delegetimieren.
Ein spannender Sprint durch 100 Jahre Geschichte in Europa – laufen sie doch mit:
Mag. Niklas Perzi, Institut für Geschichte des ländlichen Raumes
Als Europa in den Sommermonaten 1914 in den „großen Krieg“ gleichsam hineinstolperte, dachte wohl kaum jemand an den darauf folgenden Zusammenbruch der alten Ordnung, sondern an ein rasches, - „Weihnachten wieder zuhause“, siegreiches Ende.
Niederösterreich wurde nach dem Ersten Weltkrieg zum Grenzland eines als Verlierers von Krieg und Frieden(-vertrags) am Rande der europäischen Nachkriegsordnung stehenden Kleinstaates. Die neue Republik konnte kaum Loyalität in der Bevölkerung generieren. Diese galt stattdessen den aus dem Imperium übernommen großen politischen Richtungen: Christlichsozial, sozialdemokratisch, (deutsch-)national. Als „Lager“ boten sie mehr als politische Orientierung, sondern umfassende Sinnstiftung in existentiell unsicheren Zeiten für verunsicherte Menschen. Die neue Demokratie war Mittel, nicht jedoch Ziel. Dies war der einen die Rechristianisierung unter katholischen Vorzeichen, den anderen der „Sozialismus“, den dritten ein völkisch gedachter Zusammenschluss aller Deutschen in einem Staat. Anstatt unter offenen, alternativen Entwicklungspfaden zu wählen und diese auch wieder abwählen zu können, führte dies letztendlich dazu, dass der (totale) Sieg des einen die (totale) Niederlage des anderen bedeuten musste (Februar 1934!). Die zweite große Wirtschaftskrise innerhalb einer Dekade mit Massenarbeitslosigkeit und Verelendung breiter Bevölkerungsschichten bewirkte in den 1930er Jahren einen weiteren Vertrauensverlust in die Demokratie als Mittel zur Austragung von politischen und gesellschaftlichen Konflikten. All das führte nicht nur in Österreich zum Aufstieg totalitärer Ideologien, die beide in ihrem Weltbild anstatt des Individuum das entlang von „rassischen“ oder „Klassen“- Kriterien definierte Kollektiv in den Mittelpunkt ihres Denkens stellten: Den Nationalsozialismus deutscher und den Kommunismus sowjetischer Prägung. Beide Ideologien entwickelten als säkularisierte Heilserwartungen erstaunliche Anziehungskraft auch auf die intellektuellen Eliten. Die Exlusion begann mit der moralischen Delegitimierung, später wurde der Gegner „emtmenschlicht“ und in letzter Folge psychisch liquidiert.
Nach dem 2. Weltkrieg ging Europa den Weg der Inklusion: Der unterlegene Kriegsgegner wurde in das neue wirtschaftliche (EWG) und militärische (NATO) Bündnissystem integriert. In Österreich sorgte die Verlagerung der Konfliktaustragung von Straße und Parlament auf intermediäre Ebenen (Kammern und Verbände) dafür, dass jene Protagonisten, die noch 1934 aufeinander geschossen hatten, nunmehr in einer Regierung der „großen Koalition“ zusammenarbeiten konnten. Eine Ausgabenorientierte Sozial- und Wirtschaftspolitik sorgte ab den 1970er Jahren mit für eine breite Wohlstandsmehrung, die ganz wesentlich zur Legitimierung der Demokratie beitrug. Allerdings hatte die Stabilität mit der Teilung des Kontinents in Hemisphären der beiden nunmehr einzig relevanten Weltmächten USA und Sowjetunion ihren Preis.
Nachdem der Westen im wirtschaftlichen und politische Wettstreit 1989 durch Implosion des an das Ende seiner Leistungsfähigkeit angelangten Ostens als Sieger hervor gegangen war, trat jedoch nicht das vorausgesagte „Ende der Geschichte“, sondern deren Neubeginn ein: Zwar konnte die Europäische Union bislang die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und auch wieder kriegerischen (Jugoslawien!) Verwerfungen der Folgen der Auflösung des „Ostblocks“ auffangen, doch ist sie mittlerweile selber in eine tiefe wirtschaftliche, politische, aber auch Sinnkrise geraten. Die exzessive Ausgabenpolitik der vergangenen Jahrzehnte führte zur Aufblähung der Geldmenge und zur als „Euro-Krise“ apostrophierten Schuldenkrise. Zunehmend verstrickt sich die Union in sich selber. Anstatt politische und ideologische Konflikte im offenen Wettstreit auszutragen, wird der „Gegner“ mithilfe moralisierender Diskurse delegitimiert. Die linksliberale Meinungs-Mainstream der Eliten des alten Westeuropa verliert jedoch trotzdem an Legitimität in breiten Bevölkerungsschichten. Da er den historischen Erfahrungen der mittelöstlichen und östlichen Teile des Kontinents entgegensteht, dient er zudem nicht der Integration, sondern der Fortschreibung der Spaltung Europas.
Mag. Niklas Perzi, Institut Geschichte des ländlichen Raumes Mag. phil. in Geschichte (Universität Wien 1998), Universitätslehrgang für Öffentlichkeitsarbeit (Universität Wien 2002), derzeit Doktoratsstudium Geschichte (Universität Wien) Arbeitsgebiete: Beziehungen Tschechen-Deutsche und Tschechen-Slowaken 1918-1945, Sicherheitsapparat im Protektorat Böhmen und Mähren, Beziehungen Österreich-Tschechoslowakei, Staatssozialismus in der Tschechoslowakei, Regionalgeschichte Nördliches Waldviertel-Südböhmen
http://www.ruralhistory.at/de/institut/team/perzi/niklas-perzi/view
http://www.migrationsforschung.at/de/team/niklas-perzi
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