Esther Hutfless von der Beratungsstelle Tamar: Wo das Schweigen aufbricht
Esther Hutfless betreut bei der Beratungsstelle Tamar Ofper von sexuellem Missbrauch.
BRIGITTENAU. Von der lauten, grauen Wexstraße geht es hinein in eine Wohnung, in der Ruhe herrscht. In den als Therapie- und Beratungsräumen eingerichteten Zimmern treffen Opfer von sexuellem Missbrauch auf Esther Hutfless oder eine ihrer sechs Kolleginnen. Hier können sie Therapie oder Prozessbegleitung in Anspruch nehmen, wenn sie Missbrauch aufarbeiten oder eine Anzeige machen möchten. Etwa ein Drittel der Opfer sind Kinder und Mädchen, zwei Drittel Frauen, die in ihrer Jugend sexuell missbraucht wurden.
Bei Tamar wird unterstützt, erklärt und Mut zugesprochen. "Oft tauchen vor oder nach einer Anzeige große Ängste auf: Was passiert, wenn der Täter von der Polizei konfrontiert wird?", sagt Hutfless. "Außerdem ist die Ermittlung sehr belastend, weil die Frauen und Kinder mehrmals sehr detailliert aussagen müssen, was mit ihnen gemacht worden ist." Bei der Befragung bei Gericht haben manche dann den Eindruck, es werde ihnen nicht geglaubt. "Das Gericht stellt nicht das Opfer in den Mittelpunkt, hier geht es um die Frage, ob der Täter zu verurteilen ist", so Hutfless. Nach dem Verfahren geht es dann darum, wie die Person gut weiterleben kann, ob sie Therapie oder Beratung braucht. Auch das Urteil muss verarbeitet werden, denn wie ein Strafverfahren ausgeht, kann nicht vorhergesagt werden. "Es kommt für uns zum Teil zu nicht nachvollziehbaren Freisprüchen und sehr geringen Strafen", so Hutfless. Und angesprochen auf die von der schwarz-blauen Regierung gewünschte Verschärfung der Strafen für Sexualdelikte: "Es wäre besser, wenn die Richter den derzeit vorgegebenen Strafrahmen ausnützen." Eine Strafe, egal, wie hoch, könne ohnehin nicht angemessen sein für eine Tat, die das Opfer ein Leben lang begleitet und so viel zerstört.
Manipulative Täter
Die Täter sind bei Kindern oft aus dem familiären Umfeld, aber es sind auch Ärzte, Lehrer oder Trainer darunter, berichtet Hutfless. Manche Kinder sprechen über das, was ihnen widerfährt, andere Situationen bleiben jahrelang unbemerkt. "Viele Täter sind sehr manipulativ und sagen ,Wenn du es jemandem sagst, dürfen wir uns nicht mehr sehen, dann kommst du ins Heim.' Das sind reale Ängste, und da kann es sein, dass Kinder nichts sagen", so Hutfless. Wichtig sei jedenfalls im Vorfeld, dass Kinder zum Beispiel ihre Geschlechtsteile benennen können, und wissen, dass man über alles sprechen kann, ohne sich zu schämen.
Die Arbeit bei Tamar sei sehr emotional anstrengend, sagt Hutfless. Die lange Ausbildung, Supervision und die Möglichkeit, die Fälle im Team zu besprechen und sich auszutauschen, helfen dabei, trotzdem professionell zu arbeiten.
"Als feministische Wissenschaftlerin finde ich es schön, Frauen und Kinder zu stärken", so die Therapeutin. "Und wir erleben auch schöne Momente. Wenn Frauen das erste Mal ihr Schweigen brechen und spüren, dass ihnen hier geglaubt wird, bewirkt das wahnsinnig viel."
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