Rekordarbeitslosigkeit in Österreich
Jeder Sechste kann seine Fixkosten nicht mehr zahlen

Österreich verarmt:  Jeder Sechste kann seine Fixkosten nicht mehr zahlen. Fast die Hälfte aller heimischen Haushalte kommen mehr schlecht als recht über die Runden.  | Foto: Pixabay
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Nach der Krise ist vor der Krise, der sozialen Krise nämlich: Denn die Rekordarbeitslosigkeit lässt Österreich in eine finanzielle Katastrophe schlittern: Jeder Sechste kann seine Fixkosten nicht mehr zahlen. Fast die Hälfte aller heimischen Haushalte kommen mehr schlecht als recht über die Runden. Und für Erholung, Hobbys oder gar Urlaube ist jetzt kein Geld. Doch die Regierung will das Arbeitslosengeld nicht erhöhen. 

ÖSTERREICH: Früher war er in als Tontechniker in der Eventbranche ein gefragter Mann, er verdienet genug, um seinen drei Kindern ein gutes Vorstadtleben zu ermöglichen, in seiner Freizeit trainierte er den Nachwuchs bei einem Fußballverein. Dann kam das 'Shut-Down', seine Aufträge brachen ein, ebenso die Einnahmen, der Verein musste schließen, schließlich sah er sich gezwungen sein Geschäft ruhend zu stellen und sich beim AMS zu melden. Seine Frau, halbtags im Reisebüro angestellt, verlor gleich ganz ihren Job und muss nun von 55 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens, das ohnehin schon mager war, auskommen, so hoch ist aktuell die 'Arbeitslose'. Die Fixkosten sind aber die gleichen geblieben, der Genossenschaftsbeitrag, die Betriebskosten, die Kinder. So wie jener Familie geht es beinahe jeder zweiten in Österreich. Kein Wunder, dass Österreich verarmt.

Jeder Sechste ist verarmt

Rund 570.000 Österreicher sind laut aktuellen Zahlen arbeitslos und müssen mit knapp der Hälfte ihres letzten Nettoeinkommens das Auslangen finden, 55 Prozent sind es hierzulande, im europäischen Vergleich liegt Österreich damit am unteren Limit. Mehr als eine Million sind in Kurzarbeit und verlieren etwa ein Viertel ihres Gehalts. Laut einer aktuellen Studie von durchblicker.at, Österreichs größtem Tarifvergleichsportal, müssen Drei Viertel der Haushalte mit Einkommensverlusten den Gürtel nun enger schnallen, um über die Runden zu kommen. Jeder Sechste hat sogar Probleme die Fixkosten zu bestreiten.

43 Prozent der Haushalte haben weniger Einkommen. | Foto: durchblicker.at
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Kein Geld für Erholung und Kleidung

Und wie wollen die österreichischen Haushalte den Einkommensverlust ausgleichen, wo Ausgaben reduzieren? 79 Prozent der Österreicher sparen aktuell beim Urlaub, 78 Prozent bei Kosten rund um Freizeit und Hobbys, 71 Prozent beim Kauf von Kleidung und Accessoires. In der Kategorie „Sparen & Veranlagung“ gaben 53 Prozent der Befragten an, weniger als vor der Krise auf die Seite legen zu können. Bei Gesundheit & Wellness treffen 44 Prozent Einsparungen. Wohnen und Haushalt ist für 34 Prozent ein Bereich, indem der Gürtel jetzt enger geschnallt wird. Familie & Freunde sind in der Krise für die Mehrheit der befragten Österreicherinnen und Österreicher wichtig – nur 26 Prozent gaben an, bei ihren Liebsten zu sparen. Sport, Lebensmittel und Mobilität rangieren ebenfalls sehr weit oben im Konsumverhalten. Bei Sport geben nur 25 Prozent weniger aus, bei Lebensmittel 24 Prozent und bei Mobilität 23 Prozent. Am wenigsten gespart wird bei Medien & Kommunikation – hier schnallen nur 18 Prozent den Gürtel enger – und bei Versicherungen, wofür nur 9 Prozent Sparmaßnahmen treffen.

Familien mit Kinder sind besonders gefährdet, ihre Fixkosten nicht mehr zahlen zu können. | Foto: durchblicker.at
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69 Prozent aller Selbständigen stehen vor dem 'Aus'. | Foto: durchblicker.at
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Rund 691 Euro weniger zum Laben haben Haushalte durchschnittlich im Monat. | Foto: durchblicker.at
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Jeder vierte Selbständige geht pleite

Laut Studie sind Familien mit Kindern und Selbständige besonders betroffen: Besonders häufig betroffen sind Familienhaushalte mit Kindern, Selbständige und generell Menschen in Westösterreich. So sind die Hauhalte in Tirol, Salzburg und Oberösterreich am häufigsten von Einkommensverlusten betroffen. In der größten Gruppe, jener der Angestellten, sagt fast jeder Zweite, dass sich sein Nettohaushaltseinkommen verringert hat, konkret um durchschnittlich ein Fünftel oder etwas mehr als 600 Euro. Bei den Selbständigen berichten 69 Prozent, also mehr als zwei von drei Befragten, von finanziellen Einbußen. Mit fast 1.100 Euro im Monat sind den Selbständigen im Durchschnitt mehr als 40 Prozent ihrer Einkommen weggebrochen. Beinahe jeder vierte betroffene Selbständige kann sich dadurch seine Fixkosten nicht mehr leisten und geht pleite.

Fast die Hälfte hat Einkommensverluste von 20 Prozent oder mehr. | Foto: durchblicker.at
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Besonders die Familien in Tirol, Salzburg und Oberösterreich haben hohe Einkommensverluste. | Foto: durchblicker.at
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Drei Viertel aller Hauhalte kommen nur knapp über die Runden. | Foto: durchblicker.at
  • Drei Viertel aller Hauhalte kommen nur knapp über die Runden.
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Frauen besonders betroffen

„Unter der Corona-Krise leiden sowohl Männer als auch Frauen – keine Frage“, betont Doris Anzengruber, Leiterin der Caritas Sozialberatung in Wien. „Aber die Maßnahmen zur Eindämmung der Krise und ihre Folgen treffen Frauen härter. Das spüren wir ganz deutlich.“ Anzengruber weiß, wovon sie spricht: Gemeinsam mit ihrem Team nimmt die Leiterin der Caritas Sozialberatungsstelle seit Ausbruch der Corona-Krise täglich bis zu 200 Hilfsanfragen von in Not geratenen Menschen entgegen. „Und hier sehen wir ganz klar: Es wenden sich derzeit deutlich mehr Frauen als Männer an uns. Frauen sind es, die den Mehraufwand an unbezahlter Haus- und Kinderbetreuungsarbeit tragen, selbst wenn sie einer Beschäftigung nachgehen. Und es sind mehrheitlich Frauen, die in systemrelevanten Berufen wie im Lebensmittelhandel arbeiten. Sie alle sind in der derzeitigen Situation besonders gefordert.“

Armutsgefährdete haben sich verdoppelt

Die Anfragen in den Caritas Sozialberatungsstellen haben sich etwa in Wien zuletzt verdoppelt. „In der zweiten Märzhälfte gab es 564 Hilfsanfragen von Männern und 1.222 Hilfsanfragen von Frauen. Viele Mütter melden sich verzweifelt bei uns, weil sie Homeschooling und Arbeit kaum mehr unter einen Hut bringen oder große finanzielle Zukunftsängste haben. Sehr oft rufen Frauen bei uns an und sagen, dass sie es nicht für möglich gehalten hätten, dass sie einmal bei der Caritas um Hilfe bitten würden. Etwa eine junge alleinerziehende Mutter, die selbständig als Masseurin gearbeitet hat und Mitte März plötzlich kein Einkommen mehr hatte. Sie wusste nicht, wie es weitergehen soll.“

Mehr als die Hälfte erwarten Einkommensverluste. | Foto: durchblicker.at
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Jetzt 'Arbeitslose' erhöhen

Vehement fordert die SPÖ ob der akuten Lage, endlich das AMS-Geld zu erhöhen. Am 3. Mai waren  521.404 Menschen arbeitslos, davon 245.184 Frauen und 276.220 Männer. Gleichzeitig wurde für mehr als 1,1 Millionen Beschäftigte Kurzarbeit genehmigt. Besonders betroffen von der Arbeitslosigkeit sind die Branchen Tourismus, Handel, Bau und Arbeitskräfteüberlassung. Nach Bundesländern betrachtet, hat es die höchsten Zuwächse in Tirol und Salzburg gegeben. Die SPÖ stellte daher eine dringliche Anfrage, um die Forderung nach einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes zu unterstreichen. "Viele Arbeitslose und deren Familien drohten durch die Corona-Krise in die Armut zu rutschen", so Fraktionschefin Korinna Schumann. Das sei nicht nur für die Betroffenen eine Katastrophe, Armut sei, heißt es unter anderem in der Begründung der Anfrage, auch "Sprengstoff für das soziale Gefüge".

Erhöhung auf 70 Prozent

Nach Meinung von Schumann braucht es in diesem Sinn nicht nur eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes von 55 Prozent auf 70 Prozent Nettoersatzrate sondern auch zahlreiche weitere Maßnahmen wie Überbrückungshilfen für Alleinerzieher und ein Konjunkturpaket zur Belebung der Wirtschaft. Außerdem mahnte sie klare Konzepte für eine aktive Arbeitsmarktpolitik ein, um die Menschen wieder in Arbeit zu bringen, und drängte in diesem Zusammenhang auch auf eine Wiederaufnahme der Aktion 20.000 für ältere Langzeitarbeitslose. "Das von Bundeskanzler Kurz ausgegebene Motto "Koste es, was es wolle" müsse für die gesamte Bevölkerung gelten", so Schumann.  „Wir jetzt müssen an die Sorgen und Nöte dieser hunderttausenden Menschen denken. Sie haben Familien, Kinder und wissen nicht, wie es weitergeht. Denn speziell im Tourismus ist noch kein Licht am Ende des Tunnels. Geringverdiener können von 55 Prozent ihres Gehalts nicht leben, so hoch ist nämlich das Arbeitslosengeld. Daher fordern wir erneut dringend eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf mindestens 70% des Letztgehalts. Denn diese Nettoersatzrate ist in Österreich beschämend niedrig“, betont auch Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich.

Ruf nach Vermögenssteuer

Eklatant auch die Frage, wer die Schulen der Republik, ausgelöst durch die Corona-Maßnahmen, zurückbezahlen wird.  Auch hier fordert die SPÖ die Einführung von Vermögenssteuern. So etwa SPÖ-Bundesparteivorsitzender Peter Kaiser: „Wenn sich der Staat zu 80 Prozent aus Steuern auf Arbeit und Konsum finanziert, andererseits aber das reichste eine Prozent der Österreicher über 40 Prozent des Gesamtvermögens besitzt, und die ärmeren 50 Prozent der Österreicher gerade einmal 2,5 Prozent, dann müsste doch selbst den konservativsten Politikvertretern endlich ein Licht aufgehen“, begründet Kaiser. Dazu komme, dass Österreich im europaweiten Vergleich auch noch mit zu den Ländern mit der geringsten Vermögenssteuern zählt.

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