Van der Bellen übt Kritik
"Sehen Sittenbild, das der Demokratie nicht gut tut"
Gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz und sein Team wird unter anderem wegen Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit ermittelt. Die ÖVP will dennoch im Amt bleiben. Die grüne Parteispitze hat sich am Vormittag entschieden, nicht mit Kanzler Kurz weiter regieren zu wollen. Man verlangt eine "untadelige Person", Kurz sei "nicht mehr amtsfähig". Nun meldete sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu Wort: Die Bürger Österreichs haben das Recht auf eine handlungsfähige Regierung, doch diese sei jetzt in Frage gestellt.
ÖSTERREICH. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat mit allen Parteichefs persönliche Gespräche geführt, um auszuloten, wie nun weiter vorgegangen werden soll. Um 18 Uhr äußerte er sich bei einem öffentlichen Statement.
Bleibt Kurz Kanzler?
"Das ist eine Regierungskrise, aber keine Staatskrise", sagt der Bundespräsident: "Unsere Demokratie ist gerüstet."
sagt Van der Bellen. Im Raum stünden schwere Anschuldigungen, unter anderem gegen den Bundeskanzler.
"Es ist Aufgabe der Justiz, Verdachtsmomenten nachzugehen, unabhängig vom Ansehen der Person."
Man wisse derzeit nicht, ob diese Ermittlungen zu Anklagen führen. Bis zu einem Urteil gelte für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung.
"Was wir aber klar sehen, ist ein Sittenbild, das der Demokratie nicht gut tut. Man hört einen Tonfall, der nicht angemessen ist."
Und weiter:
"Es gilt die Unschuldsvermutung, aber ich habe andere Erwartungen an politisch handelnde Personen. Und die Bürger Österreichs haben das Recht auf eine handlungsfähige Regierung. Diese Handlungsfähigkeit ist jetzt in Frage gestellt."
Jetzt sei vor allem wichtig, dass alle an das Wohl Österreichs denken, Parteiinteressen seien nun hintanzustellen. Er appelliere daher an alle Parteien:
"Denken Sie besonders jetzt nicht daran, was Sie kurzfristig herausholen können, sondern einzig und alleine nur daran, was Österreich jetzt braucht."
Parteiinteressen jetzt hintanstellen
Van der Bellen verweist auf die angekündigten Misstrauensanträge am Dienstag im Parlament.
"Das Parlament vertritt dabei Sie, liebe Wählerinnen und Wähler. Es wird, das erwarte ich mir, nur in Ihrem Interesse handeln. Was herauskommt, kann man jetzt noch nicht sagen - das sei Gegenstand aktueller Gespräche."
Als Bundespräsident habe er in so einer Situation keine Ratschläge zu erteilen.
"Aber ich werde dafür Sorgen, dass es zu jedem Zeitpunkt eine handlungsfähige Regierung gibt."
Van der Bellen werde mit "Argusaugen" über die Republik wachen:
"Ich werde immer auf das Wohlergehen unserer Heimat schauen, dass unser Land im Gleichgewicht bleibt."
„Unsere #Demokratie ist gerüstet für alle möglichen Situationen, so auch für diese“ — die Erklärung zur #Regierungskrise ⬇️ pic.twitter.com/ttqgmHxlUQ
— A. Van der Bellen (@vanderbellen) October 8, 2021
Grüne und NEOS einig
Die Gespräche, die Vizekanzler Kogler mit NEOS-Chefin Meinl-Reisinger, verliefen jedenfalls vielversprechend:
"Jetzt gilt es, aus Verantwortung für Österreich zu handeln. Wir sind uns einig, dass es Aufklärung, Stabilität und saubere Politik braucht",
werden Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger in einer Aussendung aus Koglers Büro gemeinsam zitiert.
Der ÖVP-Skandal - die Chronologie
6. Oktober: Hausdurchsuchungen in Kanzleramt und ÖVP-Zentrale
*Brisante Chatprotokolle tauchen auf *Die Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen Sebastian Kurz und insgesamt neun enge Mitarbeiter. Es gilt die Unschuldsvermutung *Die Vorwürfe lauten auf Verdacht der Untreue, Bestechlichkeit, Bestechung *Das Strafmaß beträgt bis zu 10 Jahre Haft7.Oktober: Grüne entziehen Kurz das Vertrauen *Sondersitzung im Nationalrat *Opposition unterstützt Misstrauensantrag 13.30 Uhr: Kogler trifft Bundespräsident Van der Bellen 16 Uhr: Sebastian Kurz bei Van der Bellen 17 Uhr: SPÖ-Chefin Rendi-Wagner in der Hofburg
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