NS-Aufarbeitung in Döbling
Forderung an die Stadt für die Villa Blauhorn
Ein Nachkomme der jüdischen Besitzer der Villa Blauhorn forderte Ende April Entschädigung von der Stadt Wien. Die Villa samt Areal wurde von der Stadt Wien gekauft, heute steht der Julius-Deutsch-Hof dort. Die BezirksZeitung hat nachgefragt, wie die Stadt jetzt vorgehen will.
WIEN/DÖBLING. 77 Jahre ist es her, seit der Zweite Weltkrieg zu Ende ist. Und seit 77 Jahren läuft auch die Aufarbeitung der NS-Zeit in Österreich. Zunächst schleppend, man möchte fast sagen "mit Scheuklappen aufgesetzt". War das Land doch zunächst gewohnt, das "erste Opfer der Nationalsozialisten" zu sein – und vergaß dabei fast auch, selbst im Täterreigen mitgemischt zu haben.
Dass aber eine Aufarbeitung, gerade ab dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, auch hierzulande stattfindet, zeigen einige Beispiele. So wurde etwa im Zuge des 75-Jahr-Jubiläumsfests der Musik und Kunst Privatuniversität Ende April 2022 ein von Musikschriftstellerin Else Bienenfeld gewidmetes Musikbuch deren Nachkommen zurückgeben – die BezirksZeitung berichtete.
Bienenfeld musste 1938 vor den Nationalsozialisten flüchten und wurde 1942 in einem Minsker KZ ermordet. Doch ist damit genug getan?
Forderung für Villa
Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) äußerte sich im Zuge der Festivitäten Ende April: "Als der Holocaust-Überlebende und große Mahner Rudi Gelbard einmal gefragt wurde, was zu tun sei, um neonazistische und rassistische Tendenzen abzuwehren, sagte er: Information. Die Stadt Wien befolgt diesen Rat mit größter Sorgfalt."
Auf diese Worte gab es aber auch ermahnende Kritik. Denn der Familienverbund von Else Bienenfeld besaß auch eine Villa in Döbling: Die Villa Blauhorn, auf deren Grund heute der Julius-Deutsch-Hof steht. Das Kuriose daran: Zwar wurde das Grundstück den Nachkommen von Bienenfeld nach dem Krieg wieder zurückgegeben – aber mit der Bedingung, dass es ein Vorkaufsrecht der Stadt Wien geben muss.
Um gut eine Million Schilling kaufte die Stadt das NS-geraubte Grundstück samt Villa den Nachkommen ab. Ein Kaufpreis, der für viele schon damals unter dem eigentlichen Wert gelegen ist.
Stadt Wien prüft jetzt
Nick Deyong ist einer der Nachkommen von Bienenfeld. Im Zuge der Feierlichkeiten Ende April nutze er die Chance und ermahnte: Es müsse nicht nur das Musikbuch zurückgegeben werden. Vielmehr fordert er auch einen Ersatz für die Liegenschaft, auf der nun 210 Wohnungen in Döbling stehen: "Man soll mit uns zusammenarbeiten und uns unser Eigentum zurückgeben!", so Deyong. Eine entsprechende Entschädigungszahlung der Stadt solle zugunsten eines Fonds für Menschen in Not getätigt werden. Unterstützung dabei bekam er vom Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch.
Die BezirksZeitung hat im Büro von Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) nachgefragt, wie man mit dieser Forderung umgehen möchte. „Die Stadt wird sich diesen Fall selbstverständlich näher anschauen und einen externen Provenienzforscher damit beauftragen, die historischen Umstände und Fakten rund um den An- bzw. Verkauf der Villa Blauhorn zu untersuchen", so das Büro.
Dies dauert aber, heißt es: "Die wissenschaftliche Aufarbeitung wird einige Monate in Anspruch nehmen; aus dem Ergebnis der Untersuchung wird sich das weitere Handeln ergeben.“
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