Zwischen Zuschreibung und Zukunft: Unterstützung für tschetschenische Jugendliche in Wien
Die Wiener tschetschenische Community hat mit einem schlechten Image und vielen Vorurteilen zu kämpfen. Gleichzeitig gibt es sie wirklich, die Jugendlichen mit tschetschenischen Wurzeln, die in der Gesellschaft noch nicht Fuß gefasst haben und auch straffällig werden. Ihnen zu helfen haben sich Maynat Kurbanova und Adam Lamberd zur Aufgabe gemacht.
WIEN. Es ist der Gottseibeiuns des österreichischen Boulevards: der jugendliche Tschetschene, oder, noch schlimmer, die tschetschenische Jugendbande. "Ich habe das Gefühl, dass man bei Berichten über tschetschenische Straftäter die Nationalität absichtlich so groß wie möglich in den Titel hebt", meint Maynat Kurbanova. Kurbanova ist selbst Journalistin und musste 2004 aus Tschetschenien fliehen. Seit mehr als fünf Jahren lebt sie in Wien und hat sich an die Klischees und Vorurteile, mit denen sie und andere Menschen aus der tschetschenischen Community konfrontiert sind, trotzdem noch nicht gewöhnt: "Nirgendwo sonst ist unser Image so schlecht wie hier." Von den negativen Berichten fühlt sich die ganze Community angsprochen und stigmatisiert: "Die, die das schreiben, verstehen nicht, was das mit den Menschen macht."
In Wien leben etwa 15.000 Tschetscheninnen und Tschetschenen, so schätzt man. Das ist eine der größten Exilgemeinden weltweit. Das unter ihnen auch Straftäter sind, verneinen dabei weder Kurbanova noch Adam Lamberd, der ebenfalls tschetschenische Wurzeln hat und beim Projekt "Not in God's Name" aktiv ist. Im Gegenteil: Die beiden bemühen sich aktiv, jene Jugendliche, die entglitten und auf die schiefe Bahn geraten sind, noch einmal auf das Leben vorzubereiten. Kurbanova besucht dafür jugendliche Straftäter in der Justizanstalt Gerasdorf, Lamberd versucht jenen, auf die religiöser Extremismus eine Anziehung ausübt, alternative Denkmuster mitzugeben. Für ihn geht es darum, dass man auf Vorurteile und negative Medienberichte nicht ebenfalls mit Ablehnung reagieren solle: "Die Radikalen ziehen diese Dinge als Beweis heran, dass die Jugendlichen nie akzeptiert werden." Man müsse dagegenhalten und zeigen, dass man es auch trotz Schwierigkeiten schaffen könne und an der Veränderung des Images arbeiten.
Dass es eher dieses Gefühl des Nicht-Dazugehörens ist als religiöser Eifer, das einige Jugendliche anfällig für die IS-Ideologie gemacht hat, glauben sowohl Kurbanova als auch Lamberd. "Jugendliche, die so etwas äußern, stehen unter hohem mentalen Druck", sagt Lamberd. Die Bilder vom Siegeszug des IS hätten 2014/2015 eine gewisse Anziehung auf jene ausgeübt, die sich ausgegrenzt fühlten und die Versprechen, in Syrien würden Wohlstand und eine Aufgabe warten, geglaubt hätten. Das sei aber mittlerweile starkt abgeflaut, so Kurbanova, die sich auch in einem Projekt engagiert, das Mütter für die ersten Anzeichen von Extremismus in ihren pubertierenden Kindern sensibilisiert (Mütterschulen gegen Extremismus).
Wachrütteln, unterstützen, positive Beispiele zeigen
Die meisten der in Wien leben Tschetscheninnen und Tschetschenen sind in den Jahren 2003 bis 2005 nach Österreich gekommen. Sie flohen aus einem Land, das seit 1999 vom zweiten Tschetschenienkrieg und andauernden Kämpfen zwischen russischen Truppen und Rebellen erschüttert wurde. Damals, so Maynat Kurbanova, gab es für Asylberechtigte noch keine Deutschkurse und auch die Anerkennung von Qualifikationen gestaltete sich schwierig. Dabei sei es das Wichtigste, dass Menschen, die aus einem fremden Land kommen, die Sprache lernen und arbeiten dürfen. "Aber da ist vieles verpasst worden." Gleichzeitig wurde die Schullaufbahn derjenigen, die damals Kinder waren, durch Krieg, Zerstörung und Flucht unterbrochen. Die Kombination dieser Faktoren bedeutet, dass einige tschetschenische Jugendliche heute aus einer benachteiligten Position ins Berufsleben starten.
Unterstützung und das Aufzeigen von Perspektiven sei deshalb das Allerwichtigste, besser früher als später. "Es gibt viele Angebote und man muss jene, die sich in einer Sackgasse befinden, wachrütteln", sagt Lamberd. Die Jugendlichen wüssten einfach oft nicht, welche Ausbildungswege ihnen offen stehen und welche Berufe sie ergreifen könnten. Lamberd will mit Not in God's Name bald beginnen, Jugendliche in Parks anzusprechen. Im Moment lernt er die Burschen noch beim Sport kennen. Wenn sie dann zu ihm kommen, um unter vier Augen mit ihm zu reden, "höre ich eigentlich mehr zu".
Die notorisch gewordene tschetschenische "Härte" ist für Lamberd und Kurbanova ein vielschichtiges Phänomen, das sich aus Zuschreibungen, Selbstbild und historischen Entwicklungen zusammensetzt. Drei Jahrhunderte Abwehrkampf gegen einen übermächtigen russischen Nachbarn hätten zu einer ständigen Verteidigungshaltung geführt, sagt Kurbanova. Die Gewalterfahrungen in den jüngsten Kriegen wiederum habe auf einige traumatisierend gewirkt und führe manchmal als Reaktion zu abwehrendem Verhalten, meint Lamberd. Die Medienberichte tun das Übrige: "Es ist auch für Jugendliche kein Spaß, in Schubladen gesteckt zu werden. Einige versuchen dann zwanghaft, diesen Klischees zu entsprechen, andere, ihnen krampfhaft zu entgehen", sagt Kurbanova.
Das Exil verändert
Sowohl Lamberd als auch Kurbanova ist es wichtig, von "österreichichen Jugendlichen mit tschetschenischen Wurzeln" oder "Austrotschetschenen" zu sprechen. "Sie wurden hier sozialisiert, waren in österreichischen Kindergärten und Schulen und können deutsch besser als ihre Muttersprache", sagt Kurbaonva. Konfrontiert mit Alltagsrassismus können sie sich dennoch fremd fühlen. Und: Im Bemühen, die "besseren Tschetschenen" zu sein, werden sie mitunter konservativer als die Generationen zuvor. Sie beobachten, dass tschetschenische Mädchen hier früher heiraten als in Tschetschenien, sagen Lamberd und Kurbanova, "in einem Alter, in dem die jungen Frauen in Tschetschenien beginnen zu studieren."
Tschetschenische Akademikerinnen sind in Kurbanovas Generation eine Normalität, und sie möchte auch den jungen tschetschenischen Wienerinnen zeigen, welche Wege ihnen in Bildung und Beruf offen stehen. Vor kurzem hat sie ein Treffen organisiert mit vielen tschetschenischen Studierenden, zu dem Jugendliche eingeladen waren, damit sie positive Vorbilder kennenlernen. Das Treffen war gut besucht und sorgte für einige Aha-Erlebnisse, sagt Kurbanova, "es war für viele in der Community überraschend, wie viele Studierende es gibt." Der nächste Termin ist schon fixiert.
Über die Personen:
Maynat Kurbanova (42) war als Journalistin in Tschetschenien und unter anderem als Korrsepondentin und Kriegsberichterstatterin für Novaja Gazeta tätig. 2004 flüchtete sie nach Deutschland, kam dann mit Projekt "Wien als Zufluchtsstadt" der IG Autorinnen Autoren und ist hier geblieben. Mit anderen Frauen gründete sie das "Netzwerk tschetschenischer Mütter in Österreich", wo sie versucht, mit den Jugendlichen, Müttern und Frauen für mehr Teilhabe in der Gesellschaft zu arbeiten. Tschetschenische Mütter sind für sie Schlüsselfiguren in den Familien, auch wenn es in der Öffentlichkeit nicht so ankommt.
Adam Lamberd (35) ist aus Tschetschenien geflohen und lebt seit 2003 in Wien. Er hat an der Uni Wien Politologie studiert und hat mit der Unterstützung der Universität das österreichische Institut für kaukasische Studien gegründet. Sein Ziel ist es, einen Studiengang für kaukasisches Studien am Institut der Politikwissenschaft anzusiedeln. Seit einem Jahr arbeitet er als Bildungscoach bei Not in God's Name mit, ein Projekt, bei dem von religiösem Extremismus gefährdete Jugendliche unterstützt werden sollen.
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