Die Heilige Corona – Auf den Spuren des Groafrauerl

Hannah und Lisa zur Sommersonnwendzeit mit den Blütenkränzen
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Als Corona im Frühling letzten Jahres in Gestalt des Covid-19-Virus zum Synonym für Lockdown, Quarantäne und Klopapierhamsterkäufe wurde, tauchten auf einmal auch Berichte über die Heilige Corona auf. Als eine Heilige, die sogar in kirchlichen Kreisen nahezu in Vergessenheit geraten war, haben ihr die aufgrund ihres kronenhaften Aussehens als „Corona“ bezeichneten Viren und da im speziellen der Covid-19-Ableger, im Frühling zu einem zwiespältigen, neuerlichen Ruhm verholfen. In ihrer Rolle als Seuchenheilige stand sie plötzlich himmelhoch im Kurs und gab sogar Anlass zu mancherlei Verschwörungstheorie. Monatelang schenkte jedoch auch ich, wie die meisten Menschen, dem Corona-Virus mehr Beachtung als der Heiligen. Inzwischen steht sie hier bei mir im Blickpunkt meiner landschaftsmythologischen Forschungen.

So wie über die Entstehung des Coronavirus nach wie vor Unklarheit herrscht und allerlei spekuliert und behauptet wird, so präsentiert sich auch die Lebensgeschichte der Heiligen fraglich und lückenhaft. Corona soll 161 oder 287 geboren worden und 16 Jahre später in Ägypten, Syrien oder doch vielleicht in der Türkei, in Sizilien oder Frankreich den christlichen Märtyrerinnentod gestorben sein - so genau legten dies die Mönche in den Legenden-Schreibstuben der Missionsklöster nicht fest.

Was sie jedoch in ihrem Hang zur Grausamkeit auf schaurige Weise in die kirchliche Legende hineinpackten, das ist die Art und Weise, wie Corona zu Tode gekommen sein soll: Verschiedenen Schauplätzen wird ihr Märtyrerinnentod nachgesagt. Als Gefährtin des Hl. Victors soll sie diesem bei dessen Martyrium tröstend und ermutigend beigestanden sein, woraufhin sie an zwei niedergebundene Palmen gefesselt worden wäre, die beim Hochschnellen ihren Körper zerrissen hätten, da auch sie sich als Christin bekannte. Während ihres Martyriums habe sie für sich und Victor Kronen aus dem Himmel kommen gesehen, deshalb ihr Name „Corona“.

Corona-Viren verdanken ihre Bezeichnung ihrem Erscheinungsbild, denn sie sind charakteristischerweise von einem Kranz, lateinisch corona, umgeben. Auch unsere Sonne hat eine Korona. In den vorchristlichen Kulturen Alteuropas war eine Krone ein aus kultischen Gründen getragener Kranz aus Blumen, Blättern und Zweigen, der später aus Metall nachgebildet wurde und uns heute als Krone mit Edelsteinen bekannt ist. Demeter und Kore trugen als Getreidegöttinnen einen Kranz aus Kornähren. Die Mysterien des Lebens, von der Geburt bis zum Tod, waren begleitet von einer Corona. Ein Kranz an der Türe zeigte die Geburt eines Kindes an. Noch heute legen wir Kränze auf die Gräber der Verstorbenen und Brautkronen tragen nicht nur Prinzessinnen. Corona ist also „Die Gekrönte“. Im Griechischen heißt sie „Stephana“, denn auch στέφανος bedeutet Bekränzung.

Der Kranz ist ein uraltes Symbol für den schöpferischen, erdig-weiblichen Schoß. Aus diesem Schoß wird alles Leben geboren. In diesen Schoß kehrt alles Leben auch wieder zurück, um daraus wiedergeboren zu werden, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Erdenjahr für Erdenjahr, Menschenleben für Menschenleben. Fronleichnam wird im Volksmund als „Kranzltag“ bezeichnet. Die Menschen ziehen bis heute über die Wiesen und Felder, die Mädchen tragen Margeritenkränze auf ihrem Kopf und über dem Pfarrer mit der Monstranz spannt sich der sogenannte „Himmel“ auf. Zu Fronleichnam feiern Katholiken die Eucharistie. Das Brot, das sich zum Leib Jesu und der Wein, der sich zu seinem Blut verwandelt.

Die Menschen des Alten Volkes feierten und ehrten in dieser Zeit den fruchtbaren Schoß von Mutter Erde, die in der Sonnwendzeit Heilige Hochzeit feiert mit ihrem Geliebten, dem Himmel. Dieser kommt in Gestalt der Sonne, des Regens, des Windes auf die Erde herab. Vereinigt sich mit ihr als Sonnenstrahl, als Windhauch, als Regentropfen, damit auch in diesem Jahr alles wachsen und zur Fülle gelangen möge. Das Brot des Lebens wird gebacken aus den Getreidekindern, die Mutter Erde ihren Menschenkindern schenkt. Das Blut des Lebens wandelt sich natürlicherweise Monat für Monat im Schoß der Frauen.

Das Blut all der toten Männer bringt seit Jahrtausenden nur Leid und Trauer über die Erde und in die Welt. Ein roter Samtbaldachin als „Himmel“ hält die Sonnenstrahlen, die Regentropfen, den Windhauch von der Erde fern und der männliche Pfarrer darunter erinnert sich auch nicht mehr daran, dass er die alte Schamanin-Tracht trägt und in seinen Händen den Vollmond in Gestalt der Hostie hält.

Das Rezept, das Strickmuster, nach welchem die Missionare die uns heute als Heiligenlegenden bekannten Geschichten verfassten und die kirchlichen Feste aus den jungsteinzeitlichen Jahreskreisfesten entstanden, folgt einer klaren Struktur: man beobachte den alten, vorchristlichen Kult in dieser Region, nehme die ursprüngliche Bedeutung der Rituale und Symbole und verdrehe sie in ihr Gegenteil. Grundlegend dafür war, aus den matriarchalen Göttinnen entweder böse Dämoninnen oder christliche Märtyrerinnen zu machen.

Wie im Ökumenischen Heiligenlexikon nachzulesen ist, soll sowohl die lateinische Bezeichnung Corona als auch die griechische Stephana auf den allgemeinen Begriff „Märtyrerin“ hinweisen. Die Krone, der Kranz als das Symbol für den schöpferischen, weiblich-erdigen Schoß kennzeichnet nun eine Frau, die unter fürchterlichen Qualen zu Tode gekommen ist. Die alten Göttinnen wurden so zu „frühchristlichen Märtyrerinnen“ gemacht, indem ihnen eine meist blutrünstige, sie ihr Leben kostende Legende angedichtet wurde, die ihren vermeintlichen, christlichen Glauben bezeugen soll. Auch wurden sie ihrer Erscheinung als Göttinnen beraubt, indem sie als Menschenfrauen dargestellt wurden.

Die matriarchal-jungsteinzeitlichen Göttinnen und ihre Priesterinnen starben nicht „für ihren christlichen Glauben“, wie uns die Kirchenmänner weis zu machen versuchen. Sondern sie starben im Zuge der Christianisierung einen qualvollen Tod, indem die alten Kultstätten zu Ehren der Göttin von den Missionaren zerstört und geschändet wurden, die heiligen Baumhaine gefällt, die Ahninnensteine und Kindsbrünndl mit Kapellen überbaut und die Höhlen und Grotten mit Kirchen wie jener von Madonna della Corona, hoch über dem Gardasee, zugemauert wurden. Sie starben, indem die Priesterinnen der Göttin von ihren heiligen Plätzen vertrieben, vergewaltigt und ermordet wurden und sich dort die Missionare mit ihren Marienbildnissen breit machten.

Doch noch lange beteten die Menschen, so auch die Salzschiffer von Laufen und Oberndorf, zur Sommersonnenwende das Koronagebet. Eine alte Anrufung an den schöpferischen Schoß der Göttin, der sich uns nun als „Schatzkästchen“ der Heiligen Corona präsentiert. Deshalb ist sie auch die Schutzheilige für Geldangelegenheit und Patronin der Goldgräber. Alles Gold, alle Edelsteine und alles Geld der Welt kann man nicht essen. Das, was uns wirklich nährt und reich macht, sind die Gaben aus dem Schoß von Mutter Erde, die Pflanzen, Früchte und Tiere, die sie uns als Nahrung schenkt.

Die Palme wurde von den matriarchal-schamanischen Kulturen Mesopotamiens als Lebensbaum, als Weltenachse verehrt. Die Göttin Astarte wohnte in einer Palme. Ihr Heros-Geliebter war Baal. Mit ihm feierte sie Heilige Hochzeit, bis die Jahweh-Priester die Astarte-Tempel zerstörten und die Astarte-Priesterinnen mitsamt ihren Jahreszeitenkönigen umbrachten und vertrieben. Die Verkörperung der Göttin in Gestalt einer Mutterpalme, die das Brot des Lebens in Form von Datteln und Kokosnussmilch spendete, konnte jedoch nicht völlig verdrängt werden. Denn noch in der frühchristlichen Tradition galt der Geist der Palme immer noch als die Große Mutter.

Deshalb erhielt die Jungfrau Maria als eine ihrer vielen Bezeichnungen den Namen „Heilige Palme“. Und deshalb steht die Heilige Corona bis heute zwischen zwei Palmen. Auch aus unserem Kulturkreis sind vorchristliche, heilige Bäume bekannt. Im Zuge der Christianisierung wurden sie von den Missionaren mit Heiligenbildern behängt, um die Verehrung des Alten Volkes damit auf die christliche Maria umzulenken und in weiterer Folge fielen die heiligen Bäume den ersten Kirchenbauten auf den alten Kultplätzen zum Opfer.

Doch nicht nur die alte Göttin begegnet uns als Heilige Corona im christlichen Märtyrerinnen-Kleide, sondern auch ihr Herosgeliebter, aus dem die Kirchenmänner den Märtyrer Victor gemacht haben. Deshalb berichtet die Legende von so vielen Schauplätzen, an denen der vermeintliche Tod der Beiden stattgefunden haben soll.

Corona ist überall dort Victor nicht „tröstend und ermutigend während seines Martyriums beigestanden“, sondern sie hat mit ihm auf den alten Kultbergen, in den heiligen Baumhainen, an den Leben schenkenden Quellen, lustvoll Heilige Hochzeit gefeiert, die Vereinigung zwischen Erde und Himmel, damit auch dieses Jahr ein fruchtbares Jahr werden möge.

Als „Groafrauerl“ wird Corona in Nieder- und Oberbayern verehrt. Groa ist die volkstümliche Bezeichnung für Corona. Schon einige Jahrhunderte älter als das 1616 erstmals urkundlich erwähnte „Hitl, in dem S.Coronae als Madonna coronata verehrt wird“ und das im Volksmund „Kroahäusl“ genannt wird, dürfte die Wallfahrt zum Heilbrünnl in Birnbach, Pfarrei Erlbach bei Altötting sein.Die vielen Votivbilder und Kerzenspenden in der Corona-Kapelle künden bis heute davon, wobei die Menschen Hilfe und Heilung durch die Heilige Corona erfahren haben.

„Gegen Augenwehe“ soll das heilkräftige Wasser vor allem helfen. Bräute haben nach der Hochzeit ihren Brautkranz mit der Bitte um Kindersegen in die Coronakapelle gebracht, so erzählt Rosalie Grabmaier, die Hüterin dieses besonderen Platzes. Besonders weist sie auf die drei Votivbilder hin, mit denen für eine Kinderseele gedankt wurde, die sich durch die Hilfe von Corona auf den Weg zu einer Menschenmutter gemacht hatte.

Bleibt noch die Frage, wieso die Hl. Corona bei Seuchen um ihren Beistand angerufen wurde. „Neu geboren“ zu werden ist eine tiefgreifende Form der Heilung. „Ich fühle mich wie neu geboren!“, das sagen wir nach einem belebenden Bad, nach einer erholsamen Nacht. Doch um neu geboren werden zu können, müssen wir vorher „sterben“, muss etwas von uns gehen, müssen wir das uns Belastende im Wasser unserer Badewanne loslassen, müssen wir uns dem Schlaf, dem „kleinen Tod“, anvertrauen. Oder dem alles Leben immer und immer wieder neu machenden Schoß der Erde, der Göttin, der Hl. Corona.

Vieles, was wir Menschen bisher als „die Sicherheiten“ in unserem Leben betrachtet haben, bricht durch Corona in Gestalt des Covid-19-Virus gerade zusammen. Vieles „stirbt“ in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht und auch ganz konkret, in menschlicher Gestalt. Vom Jahreslauf betrachtet, kommt diese zweite, intensive Corona-Welle nun „genau zum richtigen Zeitpunkt“.

In der Natur stirbt das Leben für dieses Jahr nun immer mehr, es zieht sich zurück in den Bauch von Mutter Erde. Die „stade Zeit“ im Jahr beginnt. Heuer werden diese Wochen vor der Wintersonnenwende nicht nur für die Naturwesen eine Zeit des Rückzugs, der Regeneration, des sich in etwas Neues verwandeln sein, sondern auch für uns Menschen steht eine „stade Zeit“ bevor, wie sie bisher nur die Alten noch kannten. Keine äußerlichen Ablenkungen durch Adventmärkte, Weihnachtsfeiern und Geschenke-Marathon durch die Einkaufszentren. Stattdessen eine Zeit der Einkehr bei sich selbst, ein im eigenen Daheim bleiben „müssen“, ein Sein „müssen“ mit den Menschen, die uns eigentlich „am Nächsten“ stehen sollten.

Ein tiefgreifender Erkenntnis- und Wandlungsprozess, gesellschaftlich und persönlich, sollte uns „von Corona“ 2020 geschenkt werden. Nun liegt es an jeder und jedem von uns, ob wir dieses „Geschenk des neuen Lebens“, das Corona uns mitgebracht hat, 2021 auch tatsächlich auspacken wollen und werden…

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