Vor 70 Jahren hat meine Oma meiner Mama das Leben geschenkt

Meine Mama Renate in ihrer Kindheit hier am Haunsberg
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Heute vor 70 Jahren hat meine Oma meiner Mama das Leben geschenkt. Meine Mama war ihr erstes Kind. Sie war 23 Jahre alt, als sie mit ihrer Tochter schwanger wurde. Vier Monate nach der Geburt ihrer Tochter heirateten meine Großeltern und meine Oma zog hierher auf den Haunsberg, wo ihre Schwiegereltern ein kleines Sacherl bewirtschafteten. Es waren keine einfachen Familienverhältnisse, in die meine Oma einheiratete. Drei Generationen lebten auf engstem Raum zusammen, mit einem Schwiegervater, der mehr dem Alkohol als der Arbeit zusprach und einer Schwiegermutter, die den Kirchgang und die anschließende „Ratsch-Runde“ durchs Dorf als willkommene Möglichkeit sah, der jungen Schwiegertochter daheim die viele Arbeit zu überlassen.

Für meine Oma war das alles vertraut. Auch ihr Vater verbrachte viel Zeit im Wirtshaus, auch in ihrem Elternhaus war Arbeiten von früh bis spät angesagt gewesen. Als sie mit meiner Mama schwanger war, war die wirtschaftliche Situation ihrer Eltern aufgrund der Alkoholsucht ihres Vaters so dramatisch, dass sie sich fast nichts zu essen traute, um nicht ihren Eltern das wenige wegzuessen, das da war. Deshalb war sie ihrer zukünftigen Schwiegermutter sehr dankbar, als sie das erste Mal bei ihr zu Besuch war und diese ihr mit den Worten „Da, Dirndl iss!“ Rohrnudeln („Buchteln“) hinstellte. Zum ersten Mal seit Langem hatte sie das Gefühl, sich wieder satt essen zu können, so die Erzählung meiner Oma einige Jahr vor ihrem Tod.

Auch davon, dass „sie nicht mehr ungebraucht war“, als sie meinen Opa kennenlernte, erzählte meine Oma eines Tages. Ich staunte nicht schlecht, als sie das mit einem verschmitzt-verlegenen Lächeln in ihrem Gesicht berichtete. In der Zeit, als ich mich selbst nach der Geburt meines dritten Kindes mit der Frage beschäftigte, mit welcher Verhütungsmethode wir dafür Sorge tragen sollen, dass ich nicht mehr schwanger werde, erstaunte mich die Tatsache, dass meine Oma in der damaligen Zeit „nur“ zwei Kinder bekommen hatte, doch ziemlich. Denn nachdem ein Jahr nach meiner Mama deren Bruder geboren worden war, folgte kein weiteres Kind mehr. Ob ich meine Oma damals danach gefragt habe oder ob sie es von sich aus irgendwann mal erzählt hat, das weiß ich nicht mehr. Doch dass mein Opa „gut im Aufpassen war“ und sie deshalb kein Kind mehr bekommen haben, auch darüber sprach meine Oma mit einem gewissen Stolz in ihrer Stimme.

Worüber sie erst in ihren letzten Lebensjahren zum Sprechen anfing, das war die Tatsache, dass mein Opa ganz gerne auch ein Auge auf andere Frauen warf. Er ging als Jäger tagtäglich „mit der Bix“ in den Wald, während meine Oma daheim die ganze Arbeit tat. Sie war diejenige, welche die kleine Landwirtschaft ihrer Schwiegermutter mit den vier Kühen weiterführte. Sie war diejenige, die mit dem Steyr-Traktor das Heu einbrachte, die mit ihrem blauen Puch-Moped zum Einkaufen nach Nußdorf runterfuhr. Vor allem aber war sie auch diejenige, die uns alle über Jahrzehnte bekochte. Niemand in unserer Familie sollte Hunger leiden müssen, so wie sie das erlebt hatte, das sehe ich als Beweggrund dafür, wieso das Kochen für sie eine solch große Bedeutung in ihrem Leben hatte. Deshalb war ihre erste Frage, als ich ihr von der Schulwahl ihrer ältesten Enkelin Lisa erzählte, „ob sie bei den Ursulinen eh auch Kochen lernen würde“.

Die traditionelle Einstellung meiner Oma zeigte sich auch darin, dass sie ihre Tochter keine Ausbildung hat machen lassen, weil „a Dirndl heiratet ja eh…“. Auch die Hauptschule blieb meiner Mutter als eine der Klassenbesten versagt. Während ihr jüngerer Bruder die Ausbildung samt Internat zum Lockführer bezahlt bekam, landete meine Mutter nach dem Ende der Schulpflicht als Haushaltshilfe in der Familie des örtlichen Lebensmittel-Geschäftes. In dieser Zeit starben ihre Großeltern kurz hintereinander. Über ein Jahr musste sie als junge Frau schwarz tragen, so hat es meine Oma von ihr erwartet und verlangt. „Damit die Leut‘ nichts zu reden haben!“, denn das war ein „Maßstab“, den meine Oma immer wieder angewendet hat auf ihr und unser Leben.

Als meine Mutter im März 1968 rund um ihren 17. Geburtstag ungeplant mit mir schwanger wurde, begann sich die Prophezeiung meiner Oma zu erfüllen. Im Jänner 1971 wurde mein Bruder geboren und am 1. Mai dieses Jahres heirateten meine Eltern. Einige Jahre später begannen sie mit dem Bau unseres Hauses. Der von meiner Großmutter für meine Mutter vorgezeichnete Weg ging weiter. Ich als ihre Tochter bin damit aufgewachsen, dass meine Mama „immer da ist“. Dass sie „Hausfrau und Mutter“ ist, es immer was zu essen gab, wenn ich von der Schule kam und ich keine Verpflichtungen im Haushalt übernehmen musste, „denn die Mama ja eh daheim ist“. Was das alles für meine Mutter bedeutet hat, das sehe ich erst so richtig, seit ich selbst aus dieser „lebenslangen Hausfrau- und Mutterrolle“ ausgestiegen bin. Würde ich hier sitzen, wenn meine Mutter die Hauptschule und eine Lehre hätte machen dürfen? Wäre sie meinem Vater trotzdem begegnet oder wäre alles anders gekommen in ihrem Leben? Fragen, die sich nicht beantworten lassen und doch stelle ich sie mir hin und wieder.

Wieso ich am runden Geburtstag meiner Mama so viel über das Leben meiner Oma erzähle? Wir leben in einer Zeit, in der wir am Geburtstag das Kind groß feiern, doch wir haben verlernt, an diesem Tag auch jene Frau zu feiern und zu ehren, welche diesem Kind das Leben geschenkt hat. Die dieses Kind neun Monate in ihrem Schoß genährt und behütet hat, die dieses Kind mit großer Kraftanstrengung geboren hat an diesem Tag vor vielen Jahren. Ich bin mir sicher, dass unsere Welt eine andere, eine für uns alle Schönere und Bessere wäre, wenn wir an den Geburtstagen nicht nur das „Geburtstagskind“, sondern auch dessen Mutter groß feiern würden. Deshalb werde ich euch mehr an meinem Geburtstag mehr über meine Mama erzählen…

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