Mythen über Essstörungen aufgeklärt – Expertin Verena Rameseder im Interview

Verena Rameseder ist Leiterin der Wohngruppen für Menschen mit Essstörungen in Linz. Im Bezirksblätter-Interview klärt die Expertin über die Krankheit auf. | Foto: Diakonie Zentrum Spattstraße
  • Verena Rameseder ist Leiterin der Wohngruppen für Menschen mit Essstörungen in Linz. Im Bezirksblätter-Interview klärt die Expertin über die Krankheit auf.
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Wie lässt sich der Begriff "Essstörung" definieren?
RAMESEDER:
Handelt es sich um eine Essstörung, wird das Essen stark eingeschränkt und kontrolliert. Über das Verhaltem zum Essen wird jedoch mit der Zeit die Kontrolle verloren. Außerdem haben Essstörungen immer mit einem niedrigen oder gestörten Selbstwert zu tun.

Welche Arten von Essstörungen gibt es? 
RAMESEDER:
Die Krankheit kann in vier Gruppen eingeteilt werden. Die erste ist die Magersucht. Diese geht immer mit einem deutlichen Untergewicht der betroffenen Person einher. Unter Bulimie wird die Ess-Brech-Sucht verstanden. Nicht immer wird bei einer Bulimie erbrochen. Diese Form wird dann als "inaktive Bulimie" bezeichnet. Die dritte Gruppe ist das sogenannte "Binge Eating", was nichts anderes als Esssucht bedeutet. Kennzeichnend für die Erkrankung sind Essanfälle gegen die keine Maßnahmen gesetzt werden. Anders als bei der Magersucht wird also nicht auf das Essen verzichtet und nicht übermäßig viel Sport betrieben. Auch wird beim Binge Eating
nicht versucht das Essen wieder zu erbrechen. Die Krankheit ist meist mit einem starken Schamgefühl verbunden, weshalb Betroffene es vermeiden in der Öffentlichkeit viel zu essen.  Eine große Gruppe ist die "nicht näher bezeichnete" Form einer Essstörung. Bei Betroffenen sind nicht zwingend alle Symptome gegeben. Manchmal wechseln die Symptome auch, oder die erkrankte Person weist Anzeichen verschiedener Arten einer Essstörung auf.

Ist jede Person die von der Krankheit betroffen ist automatisch untergewichtig?
RAMESEDER:
Nein. Menschen mit Bulimie sind beispielsweise oft mit ihrem Gewicht im Normbereich, oder sogar leicht übergewichtig. Deshalb ist die Krankheit auch ziemlich schwer zu erkennen.

Wie zuverlässig sind Richtlinien wie der BMI (Body-Mass-Index) um herauszufinden ob sich das eigene Gewicht im Normalbereich befindet? 
RAMESEDER: In der Behandlung von Essstörungen wird der BMI immer noch als Richtlinie zur Hilfe genommen. Wichtig ist es jedoch zu beachten, dass dieser Wert beispielsweise die Muskelmasse eines Menschen nicht berücksichtigt. Deshalb ist das Ergebnis nicht immer aussagekräftig. Die Nutzung des BMI als Privatperson kann auch schnell ausarten und zu Vergleichen mit anderen führen. Eigentlich soll sich der Wert nicht zu Herzen genommen werden. Solange der Körper grundsätzlich fit und gesund ist, ist es nicht schlimm leicht übergewichtig zu sein. Erst wenn sich das zu hohe Körpergewicht negativ auf die Gesundheit auswirkt, sollte etwas dagegen unternommen werden. In Wahrheit sind Dinge wie der BMI oder eine Waage nicht notwendig, da sie immer mit Kontrolle zusammenhängen.

Als wie kritisch sehen Sie den Einfluss der Medien besonders auf junge Mädchen?
RAMESEDER:
Natürlich ist dieser Einfluss als sehr kritisch zu betrachten. Gerade in der Pupertät wenn sich Körper und Geist entwickeln, ist man vor allem als junger Mensch noch empfänglicher für Einfluss von außen. Denn bearbeitete Fotos auf Zeitschriften werden als Realität angesehen. Klar, es gibt bereits "Gegentrends", aber meiner Meinung nach sind diese nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es sollte noch viel mehr Realität abgebildet werden. Um sich von Trends, Diäten, Leistungsdruck und Perfektionismus abgrenzen zu können, braucht es viel Stärke.

Sind nur Mädchen und Frauen von Essstörungen betroffen? 
RAMESEDER:
Nein, es sind auch Männer betroffen. Hierzu gibt es viele Studien. Durchschnittswerte sagen, dass von zehn Menschen mit einer Essstörung ein Mann betroffen ist. Werden die Ursachen verglichen, gibt es eindeutige Parallelen. Jedoch führt bei Männern häufig zu viel Druck im Bereich des Leistungssports zu der Krankheit.

Welchen Mythos über Essstörungen bekommen Sie am häufigsten zu hören? 
RAMESEDER:
Dass nur Frauen betroffen sind und diese sich immer im starken Untergewicht befinden, bekomme ich noch immer sehr oft zu hören. Generell verstehen auch viele Menschen nicht, dass es sich bei einer Essstörung um eine ernst zu nehmende Krankheit mit hoher Sterblichkeitsrate handelt. Dann fallen Aussagen wie: "Fang doch einfach wieder an zu Essen." Viel verbreitet ist auch die Annahme, dass die Eltern schuld daran sind, wenn ihr Kind an einer Essstörung erkrankt. Das entspricht jedoch in keinster Weise der Wahrheit.

Was können Ursachen für eine Essstörung sein? 
RAMESEDER:
Die Ursachen lassen sich in vier Ebenen einteilen. Einerseits gibt es die persönliche Ebene. Gewalt, Mobbing, Scheidung oder sexuelle Übergriffe können zu einer Essstörung beitragen. Auch die biologische Ebene sollte bedacht werden. So gibt es einige Studien die besagen, dass auch die Genetik bei der Entstehung der Krankheit eine Rolle spielt. Wie schon erwähnt, kann auch die Gesellschaft Auswirkungen auf die Entstehung der Krankheit haben. Denn Schönheitsideale sorgen sehr schnell für Selbstzweifel. Die vierte Ebene bezieht sich auf die Familie. Überbehütung und ständiger Streit können eine Essstörung begünstigen. All diese Faktoren gehören zusammen wie ein großes Puzzle. Um das "abfangen" zu können, sind ein stabiler familiärer Hintergrund und gute Freunde von großer Bedeutung.

Was sind die Anzeichen einer Essstörung? 
RAMESEDER:
Es gibt viele "Warnsignale" die auf eine Essstörung hinweisen. Eingeschränkte Nahrungsaufnahme, nach und nach auf mehr Lebensmittel zu verzichten, Essen wegzuwerfen, für andere zu kochen aber selbst nichts zu essen und sozialer Rückzug sind nur einige davon.

Wo können Betroffene und Angehörige Rat und Hilfe suchen? 
RAMESEDER:
Grundsätzlich kann immer beim Hausarzt oder einer Schulärztin Rat gesucht werden. Außerdem finden sich im Internet Informationen zu Beratungsstellen. Nächste Schritte können die Kontaktaufnahme mit einem Psychotherapeuten oder einer speziellen Klinik sein. In Linz wurden sozialtherapeutische Wohngruppen für junge Menschen mit Essstörungen geschaffen. Das Angebot der KAYA Wohngruppen richtet sich an Betroffene aus ganz Österreich.

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