"Freches Denken hilft" – Rennrollstuhlfahrer Thomas Geierspichler im Interview
Thomas Geierspichler über Erfolge, Rio und seine künftigen Ziele
Du bist fünffacher Weltmeister, sechsfacher Europameister, doppelter Paralympicssieger und die Erfolgsmeldungen reißen nicht ab – weißt du überhaupt noch, wohin mit den Medaillen?
THOMAS GEIERSPICHLER: Am Heuboden ist genug Platz. Ganz ehrlich: Die Medaillen selbst sind mir nicht so wichtig. Ich habe sie in einer Tasche verstaut. Sie sind nur der materielle Beweis, dass ich das geschafft habe. Das Schöne an den Erfolgen ist, was dabei emotional und seelisch passiert – das Erlebte.
Anfang September geht es für dich wieder zu den Paralympics. Was erwartest du dir?
Ich gehe in ein Rennen immer mit dem Glaubenssatz "Alles ist möglich". Das Rennen ist erst dann vorbei, wenn man über die Ziellinie gefahren ist. Es ist wie in einem Computerspiel: Es geht nicht darum, andere zu schlagen, sondern selbst als Erster über die Ziellinie zu fahren. Im Vorhinein kann man da gar nichts sagen. Eine Medaillenhoffnung ist nicht unberechtigt, aber man weiß nie, was passieren wird. Meine beste Leistung habe ich bisher immer gehabt, wenn ich nicht gesagt habe, dass etwas sein muss. Man muss frech denken, nicht realistisch.
Wie bereitest du dich auf ein derartiges Großevent vor?
Derzeit habe ich gerade brutal zache Trainings. Teilweise bin ich in der Nacht schon richtig nervös, ob ich die Einheiten am nächsten Tag durchstehe – mental und körperlich. Das ist notwendig, weil die letzte Woche vor dem Wettkampf Erholungsphase ist. Zur Zeit denke ich gar nicht so viel an die Spiele. Wenn man so hart trainiert, ist man am Abend fertig. Ich will mir gar keine Gedanken machen. Die Anspannung kommt dann sowieso.
Das Zika-Virus und angeblich katastrophale Zustände im olympischen Dorf sind durch die Schlagzeilen gegeistert. Macht dich das nervös?
Nervös nicht. Ich bin nicht komplett realitätsfremd und höre sensibel hin. Die größten Punkte sind Zika und der Terror. Da wäre es doch wahnsinnig, wenn ich mich über Unterkünfte beschweren würde. Ich habe in Südafrika schon Trainingslager in Jugendherbergen gehabt. Natürlich hoffe ich, nicht von einer Mücke gestochen zu werden. Das würde mir nicht taugen – vor allem, weil Familienplanung auch noch irgendwann ansteht. Auch ein Terroranschlag wäre möglich. Man darf nicht zu viel nachdenken, sieht aber auch die Kehrseite des Ganzen. Ich will respektvoll nach Rio de Janeiro fliegen – vor allem der Bevölkerung gegenüber. Politisch und wirtschaftlich haut dort nichts hin. Aber die Spiele sind dort, was soll ich also machen?
Es wirkt oft so, dass den Paralympics – anders als bei den olympischen Spielen – nicht die Beachtung geschenkt wird, die sie verdient hätten. Ärgert dich das manchmal?
Ich bin jetzt seit 20 Jahren dabei. Ärger ändert das nicht. Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht. Allerdings wird es schon besser. Mich ärgert es nicht, wenn Fußball und Formel 1 ständig übertragen werden. Hier stecken wirtschaftliche Interessen dahinter und das wird sich rentieren. Im Behindertensport funktioniert das nicht. Ob das gerecht ist oder nicht – es ändert nichts. Es ist auch nicht fair, dass Frauen weniger verdienen. Ich kann von meinem Sport leben, weil ich gute Sponsoren habe, bin damit aber eine Ausnahme.
Das sind deine letzten Spiele. Wie geht es dann weiter?
Nach Rio werde ich noch ein bis zwei Jahre professionell Rennrollstuhl fahren. Komplett aufhören werde ich damit nie – ähnlich, wie jemand, der hobbymäßig laufen geht. Nächstes Jahr folgt noch die WM in London, danach noch eine EM und dann muss ich schauen, was kommt. Vor einigen Jahren habe ich Rollstuhltennis als Leidenschaft gefunden, bin auch Staatsmeister geworden. Das ist ein ganz anderer Reiz. Im Rennrollstuhl beschäftigst du dich nur mit dir selbst. Zudem vermiete ich Ferienwohnungen am Reschbergerhof, halte Motivationsvorträge und unterstütze mit dem Verein Walk'n'Roll Behinderte.
Hier geht's zum Kommentar "Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit"
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