"Mit meinen Werken zeige ich die Katastrophe"

Wie wichtig starke Frauen sind, wie er sich gegen Todesangst wappnet und wovor ihm ekelt: der Nitsch.

Bezirksblätter: Sie feiern am 29. August 76. Geburtstag und haben mehr Pläne denn je zuvor?
Hermann Nitsch: Mein Terminkalender ist bis Frühjahr 2015 voll, außerdem bereite ich mich auf das zweite Sechs-Tage-Spiel auf Schloss Prinzendorf vor. Das musste wegen des Diebstahls verschoben werden. Es soll noch vollkommener werden als jenes von 1998.
BB: Wie kann man sich die Vorbereitungen vorstellen, wie viele Menschen arbeiten daran?
Nitsch: Ich habe zur Zeit ein wunderbares Regie-Team. Das brauche ich, weil an die 500 Menschen an den Vorbereitungen aber auch an der Aktion beteiligt sind. Wir planen zwei Orchester, einen Chor, die Weinviertler Blechmusi, eine Schneiderei, eine Tischlerei, Küchenmitarbeiter und die Akteure selbst. Und zu den dummen Protesten sektiererischer Tierschützer: Jedes Tier, das bei einer Aktion eingesetzt wird, wird dann gegessen. Die sollen bei Schlachthöfen protestieren.
BB: Kann sich jeder, der möchte, am Sechs-Tage-Spiel beteiligen?
Nitsch: Man muss schon Vorkenntnisse haben. Aber viele Teilnehmer werden auch von uns gecastet. Das ist wie beim Militär (schmunzelt).
BB: Worin besteht die Kernaussage Ihrer Kunst, die, wie Sie sagen, im Orgien-Mysterien-Theater gipfelt?
Nitsch: Ich weise auf etwas Altes hin, auf den Tod und die Auferstehung. Auch ich habe Angst vor dem Tod, aber ich bejahe das Leben leidenschaftlich. Mit meinen Werken will ich das Erschütternde zeigen, die Katastrophe - und dann die Katharsis. Das Sechs-Tage-Spiel soll das schönste Daseinsfest der Menschheit werden.
BB: Als Künstler polarisieren Sie wie kein anderer in Österreich. Wie gehen Sie mit Kritik von Leuten um, die Ihre Kunst, ohne sich mit Ihrer Philosophie auseinanderzusetzen, ablehnen und Sie beschimpfen?
Nitsch: Ich werde mein Publikum nie erziehen, da mache ich mir keine Illusionen. Übrigens ging es mir nie um die Provokation, sondern um die Dramatik. In jungen Jahren waren wir (die Aktionisten Nitsch, Brus, Mühl und Schwarzkogler; Anm.) stolz auf die Kraft unserer Kunst, die so stark war, dass man uns eingesperrt hat.
BB: Wie stehen Sie heute zu Ihren damaligen Freunden und Weggefährten?
Nitsch: Das war weniger enge Freundschaft als gegenseitige künstlerische Befruchtung. Wir waren auch aufeinander eifersüchtig und haben uns gegenseitig Frauen abspenstig gemacht. Ich kenne alle Intrigen (lächelt).
BB: Welche Bedeutung haben die Frauen in Ihrem Leben?
Nitsch: Ich habe immer von den Frauen gelebt. Meine Mutter, meine drei Ehefrauen - sie alle waren großzügig, haben mir meine Armut nie vorgehalten. Starke Frauen eben.
BB: Ist Reichtum für Sie wichtig?
Nitsch: Ich habe immer viel gearbeitet, hatte aber viele Jahre kein Geld. Heute sage ich: Es würde mich beruhigen, wenn ich wüsste, dass ich Geld habe.
BB: Bei Ihrem vollen Terminkalender: Ist da auch Urlaub möglich?
Nitsch: Urlaub ekelt mich an. Ich brauche ihn nicht, ich habe einen Beruf, der mir ein schöpferisches Dasein ermöglicht.

Nitsch und seine Werke

Am 9. September wird in New York eine Ausstellung, die den Wiener Aktionisten gewidmet ist, eröffnet. Dazu findet am 11.9. ein Künstler-Gespräch mit Hermann Nitsch und dem Filmemacher Jonas Mekas statt.
Ab 28. September zeigt das nitsch museum in Mistelbach die Sammlung des Museo Nitsch in Neapel, am 27. September findet die offizielle Eröffnung statt.
Am 25. Oktober wird im Museo Nitsch in Neapel die Ausstellung "Malaktionismus", mit Leihgaben aus Mistelbach eröffnet.
Im Danubiana Meulensteen Art Museum Bratislava ist ab 29. November eine große Nitsch-Retrospektive zu sehen.
Am 5. und 6. November werden in Zug und Basel im Rahmen einer Dieter-Roth-Retrospektive Konzerte der "Selten gehörten Musik" mit Hermann Nitsch an der Orgel aufgeführt.
Im Rahmen der Vienna Art Week vom 17. bis 22. November sind in der Wiener Galerie Thoman eine Ausstellung und eine Malaktion zu sehen.
Ende Februar 2015 zeigt die Fundacion Jumex in Mexiko City eine Ausstellung des Wiener Aktionismus und eine große monographische Ausstellung. Außerdem wird in einer ehemaligen Kirche im Zentrum der Stadt ein großes Symphoniekonzert aufgeführt werden.
Im März 2015 wird eine Nitsch-Schau im Wiener Theatermuseum eröffnet, die 2016 in erweiterter Form auch in München gezeigt wird.
Voraussichtlich im Mai 2015 wird - anlässlich des 100. Jahrestages der Schlacht von Gallipoli - in Canakkale in der Türkei ein Mahnmal gegen den Krieg eingeweiht. Dieses wird gänzlich mit Werken von Nitsch ausgestattet.