Gefragte Frau
Anita Ziegerhofer über Österreichs Weg zur Gerechtigkeit
In Sachen Frauenrechte wurde bereits vieles erreicht. Auf dem Weg zur Gleichstellung bleibt aber auch noch vieles zu tun, ist Uni-Professorin Anita Ziegerhofer überzeugt. MeinBezirk.at hat die Rechtswissenschafterin zum Nationalfeiertag um einen Rück- und Ausblick gebeten.
GRAZ. Die Auffassung, dass Menschen nicht in der Lage seien, aus der Geschichte zu lernen, kann Rechtswissenschafterin Anita Ziegerhofer nicht teilen. Mit der MeinBezirk.at hat sie im Rahmen der Serie "Die gefragte Frau" über die Hintergründe des österreichischen Nationalfeiertags und wichtige Schritte hin zur Gleichstellung der Geschlechter gesprochen.
MeinBezirk.at: Warum ist die Beschäftigung mit der Vergangenheit so wichtig?
Anita Ziegerhofer: Geschichtsbewusstsein und Geschichtskenntnisse sind wichtig, weil man dadurch komplexe Zusammenhänge, wie die Welt funktioniert, besser erkennen kann. Dies hilft uns bei der Gestaltung unserer Gegenwart und Zukunft. Geschichte ist eine unendlich schöne Reise zurück in die Vergangenheit und bereichert unseren Horizont.
Viele Österreicher kennen die Hintergründe zum Nationalfeiertag nicht. Was wird eigentlich gefeiert?
Am 15. Mai 1955 erhielt Österreich den Staatsvertrag. Darin verpflichteten sich die Alliierten, ihre Truppen innerhalb von 90 Tagen nach Inkrafttreten des Vertrages abzuziehen. Österreich wählte bewusst den 26. Oktober, um "aus freien Stücken" – also nach Abzug der Besatzungstruppen – mittels Bundesgesetz die immerwährende Neutralität zu verkünden. Damit verpflichtete sich Österreich, keinen militärischen Bündnissen beizutreten und militärische Stützpunkte fremder Staaten auf eigenem Staatsgebiet nicht zuzulassen.
Zehn Jahre später beschloss die österreichische Regierung, den 26. Oktober zum Nationalfeiertag zu machen. Zwei Jahre später wurde der Nationalfeiertag zum arbeitsfreien Tag erhoben. Ich hoffe, dass er auch heute noch ein Teil der österreichischen Identität ist.
Wo sehen Sie die eindrucksvollsten Entwicklungen in Sachen Frauenrechten seit 1945?
Auf globaler Ebene zweifelsohne die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, der Österreich 1982 beigetreten ist. Besonders bedeutend ist auch die Istanbul Konvention des Europarates, das ist das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt von 2011, Österreich ratifizierte diese 2013.
Auf Österreich bezogen gilt für mich die Entkriminalisierung der Abtreibung, die Familienrechtsreform in der Mitte der 1970er Jahre als besonderer Fortschritt. Dies gilt auch für die Gewaltschutzgesetze ab dem Ende des 20. Jahrhunderts. Außerdem das Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft und das Bundesgleichbehandlungsgesetz für den öffentlichen Dienst. Aber auch die ambivalent diskutierte Quote, Frauenförderungspläne und die Einführung von Gender Mainstreaming sowie Gender Budgeting. Zudem sind das Anti-Stalking-Gesetz und das Hass-im Netz-Gesetzespaket bemerkenswert.
Welche Wegbereiterinnen der Zweiten Republik sollte man in diesem Zusammenhang kennen?
Ich möchte hier keine Namen nennen, sondern allen Frauen danken, die sich für Gleichstellung in der Gesellschaft einsetzen: ob in der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur. Ein besonderes Anliegen ist es mir auch, all jenen "stillen" Kämpferinnen zu danken, die in frauenspezifischen Berufen tätig sind – vor allem im Care-Sektor. Sie leisten tagtäglich Außergewöhnliches! Frauen, die der heranwachsenden Generation Mut machen, Selbstbewusstsein und vor allem Selbstwert vermitteln, müssen auch hier als besondere Persönlichkeiten genannt werden.
Wo liegen hierzulande die wichtigsten Stellschrauben für Gleichberechtigung?
Das Wort Gleichberechtigung finde ich zu kurz gegriffen – wir müssen von Gleichstellung sprechen: Normativ sind wir ganz gut aufgestellt, ausruhen dürfen wir uns aber nicht auf den bisherigen Errungenschaften. Gleichstellung ist ein gesellschaftliches Problem. Frauen müssen selbstbewusster auftreten, etwa bei Gehaltsverhandlungen.
Im Bereich des Gewaltschutzes muss noch viel geschehen, es kann nicht sein, dass Frauen aufgrund ihres Frauseins körperliche und seelische Gewalt erfahren. Hier müsste man bereits in Kindergärten Aufklärungsarbeit betreiben, indem man Wertschätzung von Mann und Frau vorlebt, darüber hinaus aber auch vermittelt, dass es nicht auf das Geschlecht ankommt, sondern auf den Menschen.
Steckbrief: Anita Ziegerhofer
- Anita Ziegerhofer ist Professorin am Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen und leitet den Fachbereich Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung an der Karl-Franzens-Universität Graz.
- Neben Verfassungsrechtsentwicklung und Europäischer Integrationsrechtsgeschichte gehört Genderforschung zu ihren Schwerpunkten.
- Unter anderem ist Anita Ziegerhofer Mitglied der Kommission für Österreichische Rechtsgeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie Mitglied der Historischen Landeskommission für Steiermark.
MeinBezirk.at-Wordrap
- Geschichte lehrt uns, … Wesentliches aus der Vergangenheit in die Gegenwart mitzunehmen, um die Zukunft zu gestalten.
- Österreich ist ... das Land, in dem ich geboren wurde und das trotz gegenwärtiger Probleme besonders lebenswert ist.
- Am Nationalfeiertag werde ich ... nordic walken, Museen besuchen und Allerheiligenstriezel backen.
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