Aus der Schleier-Perspektive
Die Debatte um das
Kopftuch findet kein Ende. Wie tolerant ist Graz?
Ein Selbstversuch.
Der Wahlkampf in der Steiermark und in Wien hat es wieder deutlich gezeigt: Burka, Kopftuch und Co. sorgen nach wie vor für jede Menge Zündstoff in Österreich. Die WOCHE hat mit zwei jungen Musliminnen aus Graz darüber gesprochen, wie sie zum Thema Kopftuch stehen (siehe ihre Pro- und Contra-Meinung unten). Danach haben wir die Toleranz der Grazer auf die Probe gestellt. Um zu erfahren, wie sich das Leben mit Kopftuch anfühlt, haben wir einen verdeckten Selbstversuch gestartet.
Mit fremden Augen
Meine ersten Schritte über den Lendplatz sind unsicher – mein Gesicht ist von einem schwarzen Schleier verhüllt, nur meine Augen sind noch zu sehen. Das Kopftuch mit Sehschlitz schränkt mein Sichtfeld stark ein, trotzdem bemerke ich, wie die zwei jungen Mädchen, die neben mir an der roten Ampel warten, mit dem Finger auf mich zeigen. „Schau dir die mal an, ist ja arg!“ Das ist noch das Netteste, was ich an diesem Nachmittag zu hören bekomme.
Meine erste „Teststation“ ist eine Apotheke. Die Verkäuferin ist zwar nicht besonders freundlich zu mir, bleibt aber höflich. Auf der Keplerbrücke frage ich einen Passanten nach dem Weg. Das „Grüß Gott“, das mir aus Gewohnheit herausrutscht, bemerkt er gar nicht – er ist damit beschäftigt, auf meinen Schleier zu starren. Nach kurzem Zögern gibt er mir aber bereitwillig Auskunft und beschreibt mir den Weg zum Färberplatz. Auch in der Herrengasse wird jeder meiner Schritte beobachtet, alle starren mich an. Ein Mann mittleren Alters bildet den negativen Höhepunkt des Experiments. Im Vorbeigehen schreit er mir ins Gesicht: „Ist heute schon Fasching? Scheißausländer!“
Am Ende des Tages wechsle ich meine Verkleidung – ich trage nun ein normales Kopftuch, bei dem mein ganzes Gesicht zu sehen ist. Zu meiner großen Erleichterung ändern sich die Reaktionen der Grazer sofort: Auf dem Heimweg nimmt niemand mehr Notiz von mir ...
PRO Kopftuch
Romisa G.*, 18, ist vor knapp sieben Jahren von Tsche- tschenien nach Österreich gezogen: „Ich habe mich mit 15 Jahren für das Kopftuch entschieden. Das war ein langer Kampf: Meine Eltern waren dagegen und haben mir ein Jahr lang alles Mögliche verboten, damit ich es mir noch einmal anders überlege. Mein Vater wollte nicht, dass ich in Österreich so auffalle. Ich bin aber stark geblieben, denn ich trage das Kopftuch aus religiöser Überzeugung. Heute akzeptiert meine Familie meine Einstellung.
Ich würde das Kopftuch niemals ablegen. Wer sich einmal dafür entscheidet, trägt es bis zu seinem Tod. Alles andere wäre eine große Sünde.“
* vollständiger Name der Redaktion bekannt
CONTRA Kopftuch:
Maxselena*
ist 17 Jahre alt und kommt aus Tschetsche- nien. Ihren richtigen Namen verrät sie nicht – wenn sie jemand erkennt, könnte sie Schwierigkeiten zu Hause bekommen: „Meine Eltern verlangen nicht von mir, dass ich ein Kopftuch trage. Freiwillig würde ich es auch nicht tun. Es ist nicht so, dass es mir nicht gefällt, ich finde Mädchen mit Kopftüchern schon hübsch. Aber ich selbst fühle mich nicht wohl damit, es passt einfach nicht zu mir. Wenn ich verheiratet bin und mein Mann will, dass ich ein Kopftuch trage, werde ich das tun. Das wäre dann kein Problem für mich. Von meinen Töchtern würde ich es aber nicht verlangen, sie sollen selbst entscheiden dürfen.“
* richtiger Name der Redaktion bekannt
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