Glücklich in Bonsai-Wien

Warum sich der nicht mehr ganz neue Chef des Literaturhauses in Graz von Anfang an richtig wohlfühlte, erzählt er uns während eines perfekten Tages.

"Ich bin froh, dass ich von Wien weg bin," erzählt Klaus Kastberger bei einem Spaziergang im Garten des Literaturhauses, "Graz hat alles, was eine Stadt braucht. Irgendwie ein Bonsai-Wien." Der Literaturprofessor, der am 1. März die Leitung des Literaturhauses übernommen hat, fühlte sich von Anfang an wohl in der Landeshauptstadt: "Die erste Woche war die allerschönste. Keiner wusste, dass ich hier bin: keine Anrufe, völlige Ruhe. Idylle pur."

Dichter Kalender
Mittlerweile ist der Terminkalender des mächtigstens Mannes der Grazer Literaturszene allerdings randvoll. "Mein Tag beginnt auf dem Weg zur Arbeit mit einem Coffee to go bei der Tankstelle in der Elisabethstraße", erzählt er, "am Vormittag erledige ich meistens Verwaltungsdinge." Und da fällt natürlich so manches an, denn der gebürtige Oberösterreicher hat gleich drei Funktionen inne: die Leitung des Literaturhauses, des Franz-Nabl-Instituts und die Professur für Gegenwartsliteratur an der KF-Uni Graz.
Aktuell arbeitet er mit seinem Team an der Programmplanung für Herbst: Dafür denkt Kastberger neue Wege an: "Die Lesungen sollen diskursiver, offener werden. Ich möchte durch neue Formate das Publikum mehr einbinden, nichts ist fader als bloße Lesungen mit den anschließenden Alibifragen."

Dichter-Eierspeise
Zu Mittag nimmt Kastberger oft nur eine Kleinigkeit zu sich. Diese ist dann aber eines Literaturprofessors würdig: Die Peter-Rosegger-Eierspeis im Café Orange hat es ihm nämlich angetan. "Das tut meinem Cholesterinspiegel zwar nicht gut, aber die Kernöleierspeis esse ich fast jeden dritten Tag."
Damit gestärkt hält der Literaturprofessor seine Seminare am Nachmittag. In diesem Semester beschäftigt er seine Studierenden mit Handke und österreichischer Gegenwartsliteratur. "Im Gegensatz zu Wien sind die Grazer Studenten frech und rotzig. Ich liebe es, wenn die Leute mitreden," kommt er ein wenig ins Schwärmen.
Am Abend trifft man Kastberger natürlich des Öfteren bei einer Veranstaltung im Literaturhaus. "Ein Höhepunkt der 190 Events im letzten Jahr war sicherlich die Lesung von Valerie Fritsch", erzählt er. Wenn keine Lesung stattfindet, geht er gern zwei- bis dreimal in der Woche auf ein asiatisches Abendessen ins Momiji über die Straße. "Als Frau Momiji erfahren hat, dass ich der Literaturhaus-Chef bin, hat sie mich gefragt, ob nicht Yoga-Räume zu vermieten wären", lächelt Kastberger, "da habe ich ihr leider absagen müssen. Alles, was mit Literatur zu tun hat: gerne!"

Dichter-Richter
Erstmals in der Jury für den Bachmann-Preis, führt er sich in diesen Tagen vorm Schlafengehen eingeschickte Texte zu Gemüte: "Ich bin erstaunt und erschrocken", grinst er leicht kopfschüttelnd. Viel lieber würde er zu anderen kulturellen Veranstaltungen gehen. "Graz hat ein tolles Angebot, leider komme ich im Moment noch nicht dazu, es auch zu nutzen."

Zur Person

geboren 1963 in Gmunden
verheiratet, zwei Kinder
Literaturwissenschaftler, akademische Laufbahn bis zur Habilitation
Drei Funktionen: Seit März Chef des Literaturhauses, des Franz-Nabl-Instituts und Literaturprofessor an der KF-Uni Graz
literaturhaus-graz.at