Caritas- Direktor Herbert Beiglböck
"Wir haben ein stabiles Grundwasser der Nächstenliebe"
Der zweite Lockdown ist da, die Menschen sind längst Corona-müde, trotzdem brauchen immer mehr Menschen immer mehr Unterstützung. Wie es einer der größten Hilfsorganisationen des Landes, der Caritas, damit geht, haben wir mit Steiermark-Direktor Herbert Beiglböck besprochen.
Spüren Sie die Müdigkeit der Menschen auch im Hinblick auf die Solidarität?
Die Krise dauert jetzt schon sehr lange. Die Solidarität muss sich in der Dauer bewähren, das ist oft sehr schwierig. Am Anfang hatte das alles noch ein wenig Abenteuer-Charakter, den gibt es beim zweiten Lockdown nicht mehr.
Was tun?
Genau hier können wir als Caritas viel einbringen, Hilfe ist eben ein langfristiges Konzept. Die Größe der Caritas ist da ein Vorteil, weil wir Kontinuität und Stabilität einbringen. Und wir haben die Kraft, drauf zu bleiben. Wir haben Krise gelernt, wir sind gut in der Krise. Diese Erfahrungen können wir einbringen. Wir kennen aus unserer alltäglichen Arbeit, wie es ist, wenn es unsicher wird, wenn Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten verloren gehen. Solche Situationen gibt es, wir wissen aber auch, wie es da wieder rausgeht.
Wie geht es denn raus?
Mit Hilfe, Befähigung und indem man sich eine Perspektive erarbeitet, die wieder Mut gibt. Daraus kann man wieder einen Weg nach vorne entwickeln. Diese Situation haben wir bei Einzelpersonen, deren Welt zusammengebrochen ist. Und so geht es uns ein wenig jetzt auch als Gesellschaft. Da müssen wir gemeinsam wieder rausgehen.
Was passiert mit der Gesellschaft?
Da geht es uns allen gleich. Wir leben von Sicherheit, davon, alles unter Kontrolle zu haben. Und plötzlich ist das weg. Dieser Kontrollverlust ist mindestens so beunruhigend für uns wie die Krankheit selbst. Als Theologe muss ich dazu sagen: Das ist ein Schicksal, das uns sozusagen biblisch immer wieder zugeordnet wurde: Unser Leben ist in Gefahr– und die Aufgabe, Leben zu gestalten, liegt darin, dass wir in dieser Unsicherheit die Hoffnung nicht verlieren, dass dieses Leben gelingen kann.
Was lässt einen Caritas-Direktor derzeit schlecht schlafen?
Zum Glück bin ich mit gutem Schlaf gesegnet. Aber was mich schon beschäftigt, ist der Rückgang an sozialen Kontakten. Dieser erzwungene Rückbau an Begegnungen wird sich nicht von heute auf morgen wieder herstellen lassen. Da gibt es zum Beispiel die Gottesdienste, es gibt Feste, wo wir unterschiedlichste Menschen zusammenführen, das fällt alles weg. Das wird auch nach Corona so bleiben, es findet ein Rückzug ins Private statt und das wird das Miteinander der Gesellschaft dauerhaft schwächen.
Was macht noch Sorgen?
Es werden in dieser Phase einige wirtschaftlich zurückbleiben. Ich befürchte auch, dass in der Phase der irgendwann notwendigen Konsolidierung der Finanzen nochmals zu Lasten dieser "Verlierer" agiert wird.
Wie steht es aktuell um die Hilfs- und Spendenbereitschaft der Steirer?
Bei all der Müdigkeit, die wir durch Corona schon haben, kann ich zum Glück noch keine Brüche in der Solidarität der Menschen sehen. Die Bereitschaft zu spenden ist gut, jene, die besser durch die Krise kommen, spüren Dankbarkeit und Verantwortung, zu helfen. Auch die Bereitschaft zum Ehrenamt ist ungebrochen. Wir haben ein stabiles Grundwasser der Nächstenliebe. Aber das steht in einem Spannungsfeld zu jenem Teil der Gesellschaft, die ihre Ich-AGs und ihre eigenen Interessen gut im Blick haben. Diese Auseinandersetzung müssen wir in der Balance halten.
Warum sind, zumindest gefühlt, viele Menschen so ich-bezogen, so zornig?
Vielleicht haben wir für manche Lebensstile und Gewohnheiten der Menschen oft zuwenig Respekt. Gerade für einfache Lebensmodelle fehlt es oft an Verständnis, dann fühlen sich diese Menschen nicht verstanden. Man muss die Menschen, die sich mühsam ein Häuserl gebaut haben, die froh sind über das Wiener Schnitzel am Sonntag, verstehen. Wenn sie sich nicht verstanden und nicht angenommen fühlen, wandelt sich das oft in Wut.
Was steht aktuell in der Caritas auf der Agenda?
Die Elisabeth-Sammlung mit einem starken Inlandsschwerpunkt läuft gerade. Da geht es darum, unsere Existenzberatung und die Obdachlosenarbeit finanzieren zu können. Wir spüren hier die ersten Auswirkungen der Krise, wir haben in der Existenzberatung um 40 Prozent mehr Erstkontakte, da kommen neue Zielgruppen auf uns zu.
Bleibt da noch Energie für das "normale Geschäft"?
Ja, einerseits sind wir dabei, die Sozialberatung regional stark auszubauen, gleichzeitig versuchen wir die Lebensmittel-Verteilung zu verstärken. Andererseits sind wir im Bereich der Pflege aktiv. Wir planen einen Schulbau in der Grazer Grabenstraße, um die Pflegeausbildung zu verbessern. Wir starten den Neubau eines Pflegeheims in Wies und prüfen weitere Neubauten. Schlussendlich wird der Beschäftigungsbereich stark gefordert sein, um auf die steigende Arbeitslosigkeit zu reagieren.
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