"Kopftuch beeinflusst die Identität stark" – Soziologe Kenan Güngör im WOCHE-Gespräch
Im Zuge des Dienstalks sprach Soziologe Kenan Güngör mit der WOCHE über das Verbot des Kopftuchs an Schulen.
"Leider wird die Debatte verkürzt und ohne empirische Grundlage geführt", leitet der deutsche Soziologe Kenan Güngör das Gespräch mit der WOCHE ein. Er war beim gestrigen Dienstalk der ÖVP am Karmeliterplatz zum Thema "Kopftuchverbot an Schulen" geladen. Die WOCHE sprach mit ihm in diesem Umfeld über die Thematik, die derzeit wieder polarisiert. Güngör ist diplomierter Soziologe mit kurdisch-türkischen Wurzeln und leitet das Beratungs- und Forschungsbüro "think.difference" und ist Politik- und Organisationsberater zu Fragen des gesellschaftlichen Wandels.
Schnellschuss droht
Österreich diskutiert einmal mehr über das Kopftuchverbot. Diesmal will die Bundesregierung dieses an Schulen für Kinder bis zehn Jahre verbieten. "Hier droht ein Schnellschuss. Ich erwarte mir von staatlichen Strukturen eine genaue Überprüfung und evidenzbasierte Entscheidungen", so der Experte. Dass dieser Diskurs viele Lücken hat, zeigt eine weitere Frage, die Güngör aufwirft. "Was ist mit den Elfjährigen? Deutsche Beobachtungen zeigen, dass das Tragen des Kopftuches erst ab zehn Jahren zunimmt."
Kein Bedürfnis der Kinder
Daher spricht sich der Soziologe dafür aus, alle starken religiösen, politischen und weltanschaulichen Symbole aus den Pflichtschulen zu verbannen. "Das Kopftuch ist ein solches starkes Symbol und es beeinflusst die Identität", erklärt Güngör. Nach der Pflichtschule sind die Jugendlichen laut dem Soziologen reif genug und können selbst reflektieren, ob sie sich für ein solches Symbol entscheiden oder nicht. Denn Kinder, so Güngör, haben kein Bedürfnis nach Kopftüchern, das sind die Bedürfnisse der Eltern. Und auch innerhalb der Muslime wird das Kopftuch nur von einer Minderheit getragen.
Gefährlich für die Zukunft
"Es ist ein schwieriges Symbol. Damit werden Kinder in eine bestimmte Sittlichkeit gedrängt, die nicht kindergerecht ist und bei der Einstellung zu ihrer Körperlichkeit gefährlich werden kann", führt der Politberater aus. Dennoch sieht er den FPÖ-Vorstoß problematisch: "Es hilft nicht, nur eine Gruppe zu marginalisieren. Außerdem müssen die Maßstäbe, die man anderen auferlegt, auch für einen selber gelten. Stichwort Liederbuch", legt Güngör dar, dass man stets glaubwürdig bleiben müsse.
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