Dank Blamage zum Erfolg
Mario Tomic über die Grazer Poetry-Slam-Szene, sein Leben und darüber, was beides miteinander zu tun hat.
Es gibt viele Wege, seine Karriere ins Rollen zu bringen. Man kann zum Beispiel eine Ausbildung machen oder seine Beziehungen spielen lassen (in Österreich angeblich besonders beliebt), manchmal hilft es vielleicht sogar, einfach nur zum Frisör zu gehen oder ein frisches Hemd anzuziehen.
Sich ganz bewusst in der Öffentlichkeit zu blamieren, scheint dagegen nicht besonders hilfreich – für Mario Tomic hat es trotzdem funktioniert. Der 33-Jährige wollte schon immer Kunst machen, er zeichnet, seit er zwei Jahre alt ist und schreibt, seit er acht ist. Allerdings hat davon nie jemand etwas gesehen – bis zu dem Zeitpunkt, als er in seinem Psychologiestudium von einer Methode namens „Shame Attack“ gehört hat, bei der man mit dem Ziel in die Öffentlichkeit geht, sich selbst bloßzustellen und dadurch Ängste zu überwinden: „Es war eine Art Selbsttherapie, die ich mir auferzwungen habe“, erklärt Tomic. „Man geht zum Beispiel zum Jakominiplatz und fragt die Leute, wo der Jakominiplatz ist. Oder man geht ohne Portemonnaie einkaufen und muss an der Kassa alles zurückgeben.“
Eine Lebensaufgabe
Krönender Abschluss war dann ein öffentlicher Auftritt in Form eines Poetry-Slams – eine Art Dichterwettbewerb, bei dem man seine selbstgeschriebenen Texte einem Publikum vorträgt, das dann auch via Abstimmung den Sieger kürt. „Das war einfach nur hervorragend und genau das, was ich die ganze Zeit gesucht habe“, erzählt Tomic, der Poetry-Slams seither als Künstler, Moderator und Veranstalter betreibt. „Das war in den letzten Jahren meine Lebensaufgabe. Alles andere hab’ ich aufgegeben. Schlaf, Privatsphäre – kenne ich nicht mehr.“
Ob es nun ausschließlich am Schlafentzug von Mario Tomic liegt, ist schwer zu sagen, es ist aber wohl kein Zufall, dass die Poetry-Slam-Szene in Graz simultan zu seinem Engagement gewachsen ist: Gab es vor kurzem gerade vier Slams im Jahr, sind es inzwischen mehr als 50. Alleine zum „Hörsaalslam“ auf der Uni kommen jeden Monat 500 Besucher.
Ein Glück für die heimische Kunstszene also, dass der gebürtige Bosnier, der auch sechs Jahre in Deutschland gelebt hat, 2004 nach Graz gekommen ist, um hier zu studieren. „Ich hab‘ die Stadt bis dahin nur aus einer ‚3sat‘-Reportage gekannt, habe hier dann aber genau das gefunden, was ich sonst nirgendwo gefunden habe – nämlich eine Mischung an Kulturen, die auch meine eigene Mischung widerspiegelt: Die Struktur und der Fortschritt, der mir in Deutschland gefallen hat und die Gemütlichkeit, die ich aus Bosnien kenne. Deshalb habe ich mich hier auch auf Anhieb wohlgefühlt.“
Und das hat sich seither nicht geändert: „Ich denke nicht daran, irgendwo anders hinzugehen. Ein bisschen hab’ ich die Stadt ja schon mitgestaltet, und ein bisschen will ich sie auch noch weiterhin mitgestalten.“
WOCHE-WORDRAP
Ich gehe zufrieden ins Bett, ...
... wenn ein Wunder passiert.
Ohne Literatur wäre das Leben ...
... stumm.
Ich singe laut mit, ...
... wenn ich alleine im Auto sitze.
Ich habe das letzte Mal laut gelacht, als ...
... Obama den Friedensnobelpreis bekommen hat.
In einem Film würde mich ...
... Benicio del Toro spielen.
Mit 80 möchte ich ...
... Enkel haben.
Das Verrückteste, das ich je getan habe, war ...
... nichts für die Öffentlichkeit.
Wäre ich noch einmal 18, ...
... würde ich es noch einmal genauso machen wie bisher.
STECKBRIEF
Name: Mario Tomic
Geboren am 18. März 1983 in Tuzla im heutigen Bosnien und Herzegowina.
Ist 1992 mit seiner Mutter vor dem Jugoslawienkrieg nach Deutschland geflüchtet.
1998 Rückkehr nach Bosnien. Psychologiestudium an der Universität Graz ab 2005.
Erster Poetry Slam im Jahr 2010, seit 2012 selbst als Slam-Organisator aktiv.
Obmann des Vereins „PLus – Performte Literatur und Slam“, der u. a. den „Grazer Hörsaal Slam“ und den „Kombüsen Slam“ veranstaltet (www.facebook.com/SteiermarkPLuS/)
Steirischer Poetry Slam-Meister 2012 und 2014, österreichischer Vizemeister 2012.
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