Schwarzer Freitag im Legoland

Flynn - in der Volkswirtschaft betrachtet noch ein Entwicklungsland - spielt mit Duplo. Aber manchmal darf er gnädigerweise auch seinem großen Bruder Oscar bei Legoprojekten helfen. Er führt Zubringerdienste aus. "Flynn, such mir sofort ein blaues Viererlegosteckerl, oder ich mache deinen Duploturm kaputt!" Gehorsam reicht Flynn seinem Auftraggeber ein gelbes und muss aufgrund dieses Irrtums froh sein, noch in zukünftige Geschäftsfälle eingebunden zu werden. Doch Oscar hat heute einen guten Tag und ist großzügig mit seinem kleinen Bruder.
Ein großer Berg Legosteine liegt vor ihnen. Noch fabriksneu in kleine Plastiksackerl verpackt. Ehrfürchtig packen die beiden Spieler die Steinchen aus. Eine großartige Zukunft liegt vor ihnen. Alles ist möglich. Schiffe, Häuser, Autos warten darauf, von demjenigen gebaut zu werden, der die Ideen und das nötige Knowhow mitbringt. Oscar beauftragt seinen Mitarbeiter, das Lego zuerst einmal zu sortieren. Nach der Farbe. Und alle Dachziegel und Fenster und Reifen auf Extrahaufen. "Dafür darfst du nachher zuschauen, wenn ich ein Haus baue." Wenn das nicht eine angemessene Entlohnung ist! Unterwürfig tut Flynn eine Weile, was der große Bruder von ihm verlangt. Seine Bemühungen werden mit Schimpfwörtern, Beleidigungen, Bedrohungen und falschen Versprechungen quittiert.
Doch dann hat Flynn Hunger, muss aufs Klo und will wieder mit seinem Duplo weiterspielen. Oscar verstellt ihm den Weg. "Ich schmeiße deinen Teddybär in den Teich, wenn du mir nicht hilfst!" droht er. Flynn fährt also schniefend fort, gelbe, blaue, grüne, weiße, schwarze und rote Häufchen zu bilden. Das ist er seinem Teddybären schuldig, der so treu die Nächte mit ihm teilt.
Oscar baut ein Haus mit Fenstern und einem schönen Dach. Rundherum eine hohe, bunte Mauer. Mehrere Fahrzeuge, die auf mit hohen Mauern umgebenen Straßen fahren. Ein Aussichtsturm kommt auch noch dazu. Und Ställe und von bunten Mauern umgebene Weiden für seine Plastiktiere. Aus den restlichen Steinen entstehen abstrakte Kunstwerke.
Flynn döst vor sich hin, den Daumen im Mund und seinen geliebten Teddybären an sich gepresst. Sein eigenes, vorher begonnenes Duploprojekt ist in den Hintergrund getreten, es hat neben Oscars Meisterwerk stark an Wert eingebüßt. Als Oscar daher vorschlägt, nun die Duplosteine in sein Legoprojekt zu integrieren, hat Flynn nicht mehr die Kraft zu protestieren. Willig erteilt er die Erlaubnis, alles zu nehmen. "Aber lass mir meinen Teddybär!"
Nun sind alle Steine verbaut. Oscar langweilt sich. "Ich habe viel weniger Lego als die anderen Kinder!" sagt er vorwurfsvoll zu mir. "Ich brauche noch mehr!" Ich verweigere. Bin ich ein Zauberer? Gott? Die deutsche Bundesregierung? "Nein, Oscar. Spiel etwas anderes!"
Oscar kreischt, schreit, flennt, wütet, hüpft, stampft, flucht, weint, gähnt und gibt auf. Der Sandmann und ein Marmeladebrot trösten ihn über sein Unglück hinweg. Als die Kinder im Bett sind, zerlege ich die gesamte Legostadt und räume alles in die Spielzeugkiste. Nun sind wir alle bereit für einen Neubeginn am nächsten Tag!