Schlaganfall: 17 Stunden im Wartesaal des Spitals
(ONLINE SEIT 8. MÄRZ 2011) Hätte der Schlaganfall eines Eichgrabner Pensionisten rechtzeitig erkannt und verhindert werden können?
Hat ärztliche Hilfeleistung im Fall eines 67jährigen Schlaganfallspatienten versagt? Patientenanwalt und Staatsanwalt ermitteln.
EICHGRABEN/ST. PÖLTEN (wp). Als Alfred W. (Name der Redaktion bekannt) am Morgen nach dem Aufstehen starke Gleichgewichtsstörungen und Übelkeit verspürt, ist er verunsichert. Da er erst vor wenigen Monaten einen Lungeninfarkt erlitten hatte, ruft er die Rettung, die ihn ins Landesklinikum nach St. Pölten bringt. In der Notaufnahme erklärt ihm der Arzt, er solle doch mehr trinken und schickt ihn wieder nach Hause. Nachdem sich W.s Zustand verschlechtert, wird er gegen Mitternacht erneut ins Spital eingeliefert, wo er sich in der Aufnahmestation übergibt. Nun beginnt ein unglaubliches Martyrium in einem Sessel des Warteraums. Nach mehreren Stunden wird W. erstmals um vier Uhr Morgens in der HNO-Abteilung kurz untersucht, allerdings erachtet man sich dort nicht als zuständig und verweist ihn an die Neurologische Ambulanz. Wieder stundenlanges Warten im Spitalsessel.
„Keine Betten im Spital“
Von einem vorbeikommenden Pfleger, den der Patient bittet, sich in ein Bett legen zu dürfen, erhält er eine flapsige Antwort: „Es gibt keine Betten, daran müssen Sie sich gewöhnen“.
Was denn nun weiter geschehe, will er von einer ebenfalls vorbeihuschenden Ärztin wissen: „Wir machen jetzt gar nichts mehr, das ist Sache der nächsten Schicht“. Mittlerweile ist es acht Uhr morgens. Nach einer Intervention seiner kontaktierten Ex-Frau wird W. endlich um neun Uhr von einem Neurologen untersucht, aber wieder in die HNO-Abteilung zurückgeschickt. Wieder stundenlanges Warten im harten Spitalssessel.
Patienten-Ping-Pong
Gegen 12 Uhr Mittag erfolgt auf Anordnung des HNO-Arztes eine Computertomografie. Die ratlos scheinenden Ärzte transferieren den Patienten erneut in die Neurologie. Wieder Warten im harten Sessel. Der Neurologe gibt Anweisung für eine Magnetresonanztomografie des Gehirns und schickt ihn wieder zurück in die HNO-Abteilung. Die angeordnete Untersuchung unterbleibt, stattdessen landet W. wieder im Spitalsessel. Es ist bereits 17 Uhr. In der HNO-Abteilung will man ihn nicht: „Spitalsinterne Formulare sind nicht richtig ausgefüllt, der Patient muss wieder in die Erstaufnahme.“ W. ist fassungslos. Er sitzt nun bereits 17 Stunden im Spital herum. Nach Rücksprache mit einem Oberarzt kann er sich nun wenigstens in ein Bett legen. Wieder zwei Stunden Warten, danach erfolgt eine kurze Untersuchung, ohne Ergebnis. Nach 19 Stunden kann der Patient erstmals schlafen.
Ärztin ignoriert Patienten
Am Morgen des nächsten Tages spürt er seinen rechten Arm nicht mehr, hat Sprachprobleme und einen violett verfärbten Fuß. „Ich habe einen Schlaganfall erlitten“, äußert W. den Verdacht gegenüber der Ärztin, die die Morgenvisite durchführt, in Anwesenheit seiner Ex-Frau und einer Freundin. Die Ärztin ignoriert den besorgten Mann und verlässt das Zimmer ohne ein Wort. Wieder vergehen wertvolle Stunden. Am Abend, nach etwa 41 Stunden erfolgt die letzte Untersuchung. Dabei wird festgestellt, dass der Patient einen Schlaganfall erlitten hat. „Ich glaube, ich war rechtzeitig im Spital“, ist W. verzweifelt, „das hätte man alles abwenden könne. Jetzt habe ich einen bleibenden Schaden.“ Sowohl Patientenanwalt als auch Staatsanwaltschaft sind eingeschaltet.
Stellungnahme des Klinikums
„Aufgrund der vorliegenden Beschwerden wurde der Patient sowohl vom HNO-Facharzt als auch durch den Neurologen untersucht, wobei die Ergebnisse dieser Untersuchungen unauffällig blieben“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme des Landesklinikums St. Pölten. Die Computertomographie zeigte ebenso einen normalen Befund. Erst am nächsten Tag wurde nach dem Auftreten zusätzlicher Symptome ein kleiner Schlaganfall diagnostiziert. „Solche Verläufe sind im Rahmen neurologischer Erkrankungen nicht selten und führen dabei an die Grenzen der modernen bildgebenden Verfahren einschließlich Computertomographie und Magnetresonanztomographie‘, erklärt der Ärztliche Direktor Dr. Andreas Schneider, der selbst Facharzt für Neurologie ist.
Spital: „Patient lehnte klärende Gespräche ab“
„Klärende Gespräche mit den jeweiligen Ärzten aller involvierten Fachrichtungen, die von Seiten der Ombudsstelle des Spitals angeboten wurden, hat der Patient leider nicht angenommen“. Auf die lange Wartezeit im Sessel der Ambulanz ging man in der Stellungnahme nicht weiter ein.
Werner Pelz; Telefon: 0676/7001175 // Mail: wpelz@bezirksblaetter.com
Hinter den Kulissen
(Kommentar)
17 Stunden Wartezeit in einem harten Spitalsessel und mehr als 40 bis zur ersten Diagnose – das ist kein Vorkommnis in einem Dritte-Welt-Land sondern Realität im renommierten Landesklinikum in St. Pölten. Warum häufen sich in der letzten Zeit die Beschwerden über diese wichtige Gesundheitseinrichtung? Erläutert uns die hohe Politik nicht immer, wie hoch denn die Standards im niederösterreichs Spitalswesen sind? Gut, die technische Gerätschaft, auf die unsere Mediziner zurückgreifen können, ist zum Teil wirklich vom Feinsten. Gespart wird beim „Humanmaterial“. Die Arbeitsbedingungen für Ärzte und Pflegepersonal werden immer schwieriger. Viele bewegen sich am Rande zum Burn-Out. Das führt zu Abgestumpftheit, Desinteresse, Unaufmerksamkeit und Fehlern im Umgang mit Patienten und deren Leiden. Hingetrimmte Statistiken über Zufriedenheit von medizinischem Personal und Patienten sind mitunter nichts anderes als Marketinggags, die die Öffentlichkeit in Sicherheit wiegen und Politikern Argumentationshilfen gegen Kritik am System bieten sollen. Hinter den Kulissen sieht es anders aus, wie Fälle wie dieser und viel schwerwiegendere in regelmäßigen Abständen beweisen.
Zu wenig Spitalspersonal & Burn-Out-Gefahr (Bericht ORF vom 9. März) hier klicken
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