An die Grenzen gestoßen

Schweden und die EU, vereint vor dem Stockholmer "Riksdag".
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STOCKHOLM. Die schwedische Hauptstadt Stockholm liegt auf 14 Inseln, die durch 53 Brücken miteinander verbunden sind. Die schwedischen Grenzen sind infolge der Flüchtlingskrise das erste Mal seit über 60 Jahren wieder dicht. Eine Reportage über Grenzerfahrungen und Brückenerlebnisse in der schwedischen Hauptstadt.

Wille und Resignation

"Schweden hat mehr Menschen aufgenommen als jedes andere westliche Land", erzählt mir Journalist Ivar Ekman, der für "Sveriges Radio" arbeitet, als ich ihn in der Redaktion im "Radiohuset" im Bezirk Östermalm zum Interview treffe. In Zahlen sind das 160 000 Flüchtlinge. Zwar ist Schweden seit jeher ein Einwanderungsland, was auch im multikulturellen Stockholm deutlich wird, trotzdem führte die Flüchtlingskrise zur Resignation. Die schwedische Regierung setzte sich dafür ein, dass innerhalb der EU ein Mechanismus entwickelt wird, wie Flüchtlinge verteilt werden sollen, beschreibt Ekman. Ob die Regierung von Anfang an zu viele Menschen ins Land gelassen habe, sei dahingestellt. "Es hat nicht funktioniert, also hat die Regierung die Grenzen geschlossen", bringt Ekman auf den Punkt, was das Resultat des Rekordflüchtlingsansturms war.
"Sie müssen sich vorstellen, in Schweden gibt es nicht einmal Grenzübergänge", erklärt mir auch Arthur Winkler-Hermaden, seines Zeichens österreichischer Botschafter in Schweden, was die Einführung der Grenzkontrollen für die Menschen hier bedeutet. Für die Schweden ist es laut Winkler-Hermaden ganz normal, in Dänemark oder Norwegen zu arbeiten, daher sei es irritierend, dass es jetzt Grenzkontrollen gibt. In der Touristenmetropole Stockholm selbst ist davon aber nur wenig zu spüren.

180-Grad-Wende

"Politisch gesehen hat es immer die Idee von Schweden als offenes Land, das Flüchtlinge willkommen heißt, gegeben", betont Ivar Ekman im Gespräch. Trotzdem hat es in Reaktion auf den Flüchtlingsansturm eine 180-Grad-Wende gegeben: Von der Willkommenspolitik hin zur Einwanderungspolitik, die nun eine der strengsten Europas darstellt. "Die Politiker sagen, dass dies nur vorübergehend sei, um Zeit und Raum zu haben, die Situation in Griff zu bekommen, aber wenn der Staat es nicht schafft, mit der Situation umzugehen, dann wird es wohl dauerhaft so bleiben", vermutet der Journalist. "Der politische Effekt wird sein, dass Schweden ein anderes Land geworden ist, bezogen darauf, wie es sich selbst sieht als Land, das Menschen aufnimmt", meint Ekman. "Es gibt keinen Familiennachzug mehr und Flüchtlinge werden an den Grenzen zurückgewiesen", beschreibt Botschafter Winkler-Hermaden die drastischen Maßnahmen der schwedischen Regierung.

"Integrationen inifrån"

Journalist Ivar Ekman erzählt mir über seine Sendung "Konflikt", die jeden Sonntagvormittag on Air geht. Dort wird über aktuelle Themen wie Syrienkonflikt und Freihandelsabkommen berichtet. Bei "Integrationen inifrån" (dt. Integration von innen) hat die Konflikt-Redaktion einer Gruppe von syrischen Flüchtlingen mit journalistischem Hintergrund die Chance gegeben, über ihr Land zu berichten. Die im Dezember 2015 ausgestrahlte Sendung fand großen Anklang. "Dann haben sie eine zweite Sendung gemacht, wo sie den Fokus von dem Land, das sie verlassen haben, auf das Land, in das sie gekommen sind, gelegt haben", erzählt Ekman. Die Rolle der Medien sieht er in der Flüchtlingsthematik als besonders wichtig an und betont, dass die öffentlich-rechtlichen Institutionen in Schweden sehr stark rezipiert und respektiert werden.

Folgen der Grenzenlosigkeit

Als ich Stockholm per Öffis erkunde, fallen mir auf der Straße, vor Geschäften und in der U- und Schnellbahn viele Bettler auf. Eine Szenerie, die ich aus österreichischen Groß- und Kleinstädten kenne, die es in Schweden aber seit den 1950er-Jahren nicht mehr gegeben hat. "Diese Entwicklung ist klar verbunden mit der Bewegungsfreiheit innerhalb der EU", so Journalist Ekman zum "very touchy issue". Die weitere Recherche ergibt, dass vor allem Rumänen und Bulgaren zum Betteln ins Land kommen. Obwohl Schweden viele Integrationsmechanismen eingeführt hat, was man auch daran merkt, dass Immigranten gut Schwedisch sprechen, hapert es noch an vielen Stellen. Bei zu starken kulturellen Unterschieden sei die Integration schwierig, meint auch der österreichische Botschafter Winkler-Hermaden und schildert: "In den Vororten von Stockholm und Malmö gibt es zum Teil fast 100-prozentige Ausländerbezirke." Brennende Autos und Unruhen sind die Folge. Dies liege wohl auch daran, dass es im Durschnitt neun Jahre dauere, bis neu Zugewanderte Arbeit finden, vermutet der Botschafter.

Brückenbauer Songcontest

"Come together" hieß der Slogan des 61. Songcontests, der heuer im Stockholmer Ericsson Globe über die Bühne gegangen ist. In der Stadt finden sich immer noch die schillernden Spuren des kulturellen Großevents, beispielsweise ziert die Straßenbahnen ein "Good Evening Europe" auf pinkem Hintergrund. Der Songcontest fand gerade zu einer Zeit, als die Fronten in Europa verhärtet und die nationalstaatlichen Grenzen zum Teil wieder dicht gemacht hatten, statt. Eine Absage stand aber nie im Raum, erzählt Ann-Charlotte Jönsson, die im PR- und Kommunikationsteam des Songcontests tätig war. Das Hissen der 42 Flaggen der teilnehmenden Länder beschreibt sie als etwas, das ihr in Erinnerung geblieben ist, und meint: "Beim Songcontest geht es mehr darum, das Menschsein zu feiern als die Herkunft einer Person." Ihr Kollege August Jakobsson ist sich sicher, dass durch den Eurovisions-Songcontest das Zusammengehörigkeitsgefühl in Europa gestärkt werden kann.

Zur Sache

Bezirksblätter-Redakteurin Julia Erber aus Traismauer war mit "Eurotours" auf Recherche-Reise in Stockholm und hat zum Thema "Europas Grenzen. Grenzen Europas" recherchiert.

Ähnliches Thema: "Gab es seit den 1950 Jahren nicht mehr"

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