Bischof Scheuer: Habt weniger Angst

Scheuer Manfred Bischof von Innsbruck 1

Sein Leitspruch ist: Der Geist macht lebendig. Der Innsbrucker Diözesanbischof Manfed Scheuer (53) erzählt im BEZIRKSBLATT-Interview, wie er zu Eliten steht und was er sich von den Tirolern und der Tiroler Politik wünscht.

BEZIRKSBLATT: Herr Bischof Manfred, wie würden Sie eine Elite definieren?
Bischof Scheuer:
Das ist nicht abstrakt zu beantworten, sondern konkret. Zum Beispiel war ich gestern in einem Verdi-Konzert. Dieses wurde von einem Dirigenten geleitet, der seinem Orchester vorangeht und dennoch auf sein Orchester eingeht das ist unter anderem als Elite im weiteren Sinne zu verstehen.

BEZIRKSBLATT: Am Donnerstag wurde im Schwazer Paulinum eine Aktion gestartet, in der es um die Auszeichnung eines Schülers für sein soziales und kulturelles Engagement ging. Also im weiteren Sinne um Menschen, die Besonderes leisten elitär sind. Würden Sie das Paulinum als Eliteschmiede, in der früher auch sozial Unterprivilegierte ausgebildet wurden, bezeichnen?
Bischof Scheuer:
Grundsätzlich hat die Kirche und haben kirchliche Einrichtungen, wie viele Orden, in der Schul- und Universitätslandschaft Bahnbrechendes geleistet. Das gilt in Innsbruck zum Beispiel für das Akademische Gymnasium oder die Universität. Das Paulinum hatte zunächst den Zweck, Priesternachwuchs heranzubilden. Damit verbunden war aber auch eine Bildungschance für viele, die sonst keine Möglichkeiten gehabt hätten. Es gab im Paulinum früher viele Schüler aus Osttirol oder aus entlegenen Tälern Tirols. Die gute Ausbildung war damit nicht das Privileg einiger weniger, sondern stand auch Begabten aus entlegenen Gebieten offen.

BEZIRKSBLATT: Hat sich diesbezüglich etwas geändert?
Bischof Scheuer:
In der Tiroler Bildungslandschaft ist sehr viel passiert. In jeder Bezirksstadt gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Bildungseinrichtungen. Daher haben wir uns auch neu ausgerichtet. Was Bildung betrifft, setzen wir auf drei Aspekte auf kulturelle, soziale und solidarische. Entscheidend scheint mir, dass Eliten geerdet sind. Dass sie durchaus auch ein besonderes Einfühlungsvermögen haben und dass sie in der Lage sind, mit den so genannten einfachen Leuten zu reden. Dass sie nicht arrogant sind und abheben!

BEZIRKSBLATT: Sind Sie Teil einer Elite?
Bischof Scheuer:
Indem ich eine Leitungsaufgabe habe und in vielen Bereichen zu entscheiden habe, ja, ich stehe auch vorne.

BEZIRKSBLATT: Aber die Leitungsfunktion, die Sie nunmehr inne haben, war Ihnen nicht in die Wiege gelegt.
Bischof Scheuer:
Ich komme selber aus einer kirchlichen Schule, ähnlich dem Paulinum. In meinem unmittelbaren Umfeld hätte ich nicht die Möglichkeit gehabt, eine höhere Schule zu besuchen. Es ist auch nicht so, dass ich bestimmte Positionen angestrebt hätte. Ich wollte von mir aus Priester werden und habe dann auch Leitungsaufgaben in der Ausbildung von Theologinnen und Theologen übernommen. Und ich wollte auch in der theologischen Bildung als Professor tätig sein. Das andere hab ich selber nicht so in der Hand gehabt, da ging es mir so wie manchen Politikern. Man kann die Chance annehmen, mit der Funktion wachsen, in die Position hineinwachsen und sehr viel lernen. Es ist ja nicht so, dass eine Elite von vorneherein alles kann, da steckt ja auch viel beinharte Arbeit dahinter. Das Vornestehen ist nur ein Teil der Leitungsarbeit. Damit eine Diözese, eine Firma oder ein Land gut geführt ist, braucht es halt sehr viel dieser Knochenarbeit, die auch ins Detail gehen kann. Beim Leiten braucht es eine Detailkenntnis und einen Blick auf das Große. Alleine die Details zu kennen, ist aber zu wenig.

BEZIRKSBLATT: Haben sich die bildungspolitischen Ansätze der Kirche geändert?
Bischof Scheuer:
Die Kirche hat sich in bestimmten Bildungsbereichen engagiert. Das war zum Beispiel die Lehrer-Innenausbildung, die gerade in Tirol die erste in der ganzen Monarchie war. Es ging um das humanistische Bildungsideal, aber auch Internate wurden betrieben. Es ging nicht nur um Priesternachwuchs. Es ist uns wichtig, dass nicht eindimensional gedacht wird. Wichtig erscheint mir schon auch, dass die spirituelle Dimension nicht vergessen wird.

BEZIRKSBLATT: Spüren Sie, dass Menschen oft zu fokussiert auf ein Ziel hinarbeiten und darob das große Ganze vergessen?
Bischof Scheuer:
Das große Ganze ist oft klein und unscheinbar. Da geht es darum, die Menschen nicht zu vergessen. Natürlich braucht es eine funktionierende Wirtschaft, aber im Mittelpunkt, und so ist es kirchliche Lehre, muss der Mensch stehen. Insgesamt habe ich schon den Eindruck, die Bedeutung und der Wert von Menschen erschließt sich oft nur über Zahlen, Statistiken und über Rankings, das ist ein Zeichen von Eindimensionalität. Ich habe gelesen, der berühmteste Chinese definiere sich über eine Mischung aus Einkommen und Medienpräsenz. Das, würde ich sagen, ist eine eindimensionale kapitalistische Entwicklung. Rahmenbedingungen im Sinne der Schwachen sind sehr sinnvoll, so wie auch das Prinzip der Nachhaltigkeit. Es braucht Werte, die allein aus der Ökonomie noch nicht abgelesen werden können.

BEZIRKSBLATT: Ist Europa auf dem Weg, Menschen auf Zahlen, Daten und Fakten zu reduzieren?
Bischof Scheuer:
Die Menschen in Afrika oder in Lateinamerika haben in manchen Dimensionen der Menschlichkeit noch ein stärkeres Gespür. Das gilt auch für die Gastfreundschaft. Wie viele Flüchtlinge werden innerafrikanisch aufgenommen? Dort ist das nicht so ein großes Problem wie hier bei uns. Manches hat sich auf Grund einer gewissen Verrechtlichung verkompliziert. Die Verrechtlichung macht manches leichter, weil berechenbarer, aber auch vieles mühsamer.

BEZIRKSBLATT: Haben Sie als Vertreter der katholischen Kirche das Gefühl, die politischen Mandatsträger verstehen die Anliegen der Kirche?
Bischof Scheuer:
Ich möchte die Politiker nicht generalisieren. Es gibt oft eine bestimmte Offenheit für unsere Grundzüge, aber bei manchen Parteien auch eine Ablehnung von Kirche im öffentlichen Bereich. Wo wir zu kooperieren haben, sind die Bildungseinrichtungen, deren Träger wir sind. Dort gilt es für uns, einzubringen, dass die Dimension der Spiritualität nicht verstummt. So auch die Frage: Wie gehen wir mit MigrantInnen um? Da geht es nicht um Missionierung, sondern um andere Inhalte. Das ist natürlich ein gewisses Ringen, auch wenn es um öffentliche Förderungen geht.

BEZIRKSBLATT: Wenn Sie einen Wunsch an die neue Tiroler Landesregierung hätten, worum ginge es da?
Bischof Scheuer:
Grundsätzlich würde ich diesen Wunsch nicht nur an die neue Landesregierung richten, sondern an alle, die öffentlich Meinung machen. Das wäre zum Beispiel eine gewisse Entängstigung. Wir sollten den Themenbereich der Integration und der Migration nicht ausschließlich unter dem Aspekt der Sicherheit sehen. Das kostet Geld, das braucht Arbeit, aber es rentiert sich. Dazu gehören neben einer vielfältigen Palette von Aktivitäten auch besonders der Bildungsbereich und der Arbeitsbereich. Da ist vieles ausbaufähig. Da gilt es auch weiterhin, mit den politischen Mandataren zu sprechen.

BEZIRKSBLATT: Wie geht die Diözese mit dem 200. Jahrestag der Erhebung Tirols um?
Bischof Scheuer:
Wir haben seitens der Diözese und der Theologischen Fakultät schon einiges im Blick. Uns geht es um die internationalen Beziehungen Tirols, die weltweit sind. Zum anderen gebe ich mit Schwester Constantia ein Buch über starke Frauen Tirols heraus. Das geht über das Jahr 2009 hinaus. Auf öffentlichen Plätzen vor den Kirchen Tirols sollen Kunstwerke zum Thema Freiheit aufgestellt werden.

BEZIRKSBLATT: Was halten Sie von den Freiheitskämpfern?
Bischof Scheuer:
Zum einen sehe ich den Wert des Freiheitsgedankens, sich nicht kolonialisieren zu lassen. Zum anderen gilt es auch, die Spannungen der damaligen Zeit zu bedenken. 1809 spielt eine wichtige Rolle, aber es gab auch das 13. Jahrhundert oder die Blütezeit Tirols im 15. und 16. Jahrhundert.

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Folge uns auf:
Christina Holaus (re.), Geigenbauerin aus der Wildschönau, zu Gast bei Redakteur Thomas Geineder im TirolerStimmen-Podcast. | Foto: BB Tirol
2

TirolerStimmen-Podcast
Wie baut man eigentlich eine Geige?

In der 89. Folge ist Christina Holaus, Geigenbauerin aus der Wildschönau, zu Gast und beantwortet die brennendsten Fragen rund um das Thema Geigenbau. Aus welchem Holz werden Geigen gebaut, wie wird man Geigenbauerin und auf was kommt es bei einer Geige an? All das erfährst Du im musikalischen Gespräch. TIROL. "Back to the roots" heißt es für die Geigenbaumeisterin Christina Holaus, wenn sie ihren Schüler*innen in der Geigenbauschule Mittenwald das Geigenbauen beibringt: "Es ist bei mir selber...

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.