Pflegereform
100.000 Pflegekräfte bis 2030 notwendig
Rund 486.000 Menschen haben derzeit Anspruch auf Pflegegeld, 153.500 beziehen mobile Dienste, mehr als 175.000 Menschen in Österreich werden von ihren Angehörigen gepflegt. Die Kosten werden aufgrund der Zunahme der Älteren weiter steigen, warnen Experten. Mithilfe der Pflegereform möchte die Regierung vor allem die regionalen Unterschiede in Österreich in punkto Pflegestandards vereinheitlichen und ausreichend Pflegerinnen und Pfleger ausbilden.
ÖSTERREICH. "Neben der Pandemie ist die Pflegereform die Herausforderung des Ministeriums", machte Gesundheitsminister Rudi Anschober (Grüne) gleich zu Beginn bei der Pressekonferenz klar. Ziel der lang erwarteten Pflegereform sei es, ein würdevolles Altern zu ermöglichen. "Wir haben einen Zeitdruck, diese Pflegereform umzusetzen, da die demographische Entwicklung es erfordert", so der Minister. Ulrike Famira-Mühlberger, stv. Leiterin des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) prognostiziert eine Vervierfachung der über 85-Jährigen bis 2050. Im Westen drohe die Überalterung schneller als im Osten, weil mitunter Wien als Bundeshauptsadt vom Zuzug stärker betroffen ist. Kostensteigerungen beim Pflegegeld von bis zu 25 Prozent sind in den kommenden Jahren zu erwarten. Anschober geht bis 2030 von einem Bedarf von 100.000 zusätzlichen Pflegekräften aus.
Neue Ausbildung für Pflegekräfte
Für Famira-Mühlberger seien die unterschiedlichen Bedingungen in den Bundesländer ein Dorn im Auge. "Warum gibt es unterschiedliche Zahlungen und Personalschlüssel in Heimen?", erwähnte die Wifo-Expertin als Beispiel. Als zweiten Punkt forderte sie eine verbesserte Kooperation von Bund, Ländern und Gemeinden. Eine regionale Pflegeinformationsstelle könne den Pflegebedarf in den Gemeinden punktgenauer eruieren. Drittens müssen die komplizierten Zahlungsströme entflochten werden. Famira-Mühlberger empfiehlt eine Finanzierung aus einer Hand. Als größte Herausforderung stellt sich aber die Rekrutierung von Pflegepersonal dar. "Wir müssen bei der Ausbildung neue Wege gehen", meint Famira-Mühlberger. Statt einer schulischen Ausbildung brauche man eine finanzierte Weiterausbildung oder Umschulung.
Keine Wertschätzung für Personen in Pflege
Angehörige von Pflegenden kritisierten vor allem die begleitende Unterstützung im System. Es gebe zwar ein großes Angebot, das aber nicht übersichtlich sei. Das hat eine im Auftrag des Gesundheitsministeriums erhobene Studie unter 3.0000 Betroffene ergeben. Gerade bei Demenzkranken fühlen sich Pflegende überfordert. Eines "der" Themen ist die "Einsamkeit", unter der pflegende Angehörige zudem leiden. Auch störte sich das Pflegepersonal am negativen Image ihres Berufs. Die Öffentlichkeit schätze kaum die Pflege- und Betreuungskräfte. Viele Betroffene wünschen sich auch eine Weiterausbildung parallel zur Arbeit.
Pflegereform kommt Anfang 2021
Wie sieht jetzt der Fahrplan für die Reform aus? Anschober wird zuerst zunächst eine Dialog-Tour durch die Bundesländer machen, ab Jänner werden dann erste Ergebnisse der Pflegereform umgesetzt. "Ein Pflegesystem aus einem Guss ist das Ziel", so Anschober. "Ich erwarte mir sehr, sehr viel."
FPÖ: "Keine konkreten Maßnahmen"
Positive Reaktionen erhielten Anschobers Pläne von Pflegeorganisationen wie Volkshilfe und Hilfswerk sowie von den Grünen. Ewald Sacher, Präsident der Volkshilfe Österreich, sieht in der Pflegereform das Potenzial, eine "wichtige Weichenstellungen" für ein zukunftsfittes Pflege- und Betreuungssystem zu sein. Sacher zeigte sich auch erfreut darüber, dass die Stimmen der beteiligten Organisationen, der Betroffenen und ihrer Angehörigen eingebunden werden. Das Hilfswerk sieht den Bedarf einer "echten" Reform in der Pflege und verlangt einen großen Wurf, der unser System angesichts der Herausforderungen zukunftsfähig aufstellt." Dafür brauche es eine "nachhaltige Finanzierung, eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Versorgungslandschaft und eine wirksame Personaloffensive", so der Präsident des Hilfswerk Österreich, Othmar Karas.
Die FPÖ kritisierte hingegen Anschobers Versäumnisse seit Beginn des Jahres. Der Minister habe ein Dreivierteljahr gebraucht, "um festzustellen, dass das Pflegesystem und dessen Finanzierung äußerst komplex sind". Für einen derartigen Befund braucht man weder eine "Dialogtour", noch sonstige andere Gesprächsrunden, findet FPÖ-Parteichef Norbert Hofer. Seine Partei trete für eine Bundesgenossenschaft für Pflege- und Betreuungsleistungen sowie die deutliche Erhöhung des Pflegegeldes gestaffelt ab Stufe 3 ein, für jene, die gepflegt und betreut werden.
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