Gedanken
Bischof Glettler: Anregung für neuen Dialog mit Österreich

Vorstellung des Hirtenwortes der österreichischen Bischöfe im Haus der Begegnung Innsbruck: v.l., Daniela Soier, Bischof Hermann Glettler, Hildegard Anegg und Georg Schärmer | Foto: Sigl
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INNSBRUCK. Die österreichischen Bischöfe wollen mit ihrem pfingstlichen Hirtenwort einen „Dialog für Österreich“ anregen. Das hat Bischof Hermann Glettler am Mittwoch bei einer Pressekonferenz im Garten des Haus der Begegnung in Innsbruck betont. Er präsentierte das Schreiben mit dem Titel „Für eine geistvoll erneuerte Normalität“ gemeinsam mit dem Tiroler Caritasdirektor Georg Schärmer, der diözesanen Umweltbeauftragten Daniela Soier und der Leiterin der Krankenhausseelsorge Hildegard Anegg.

„Laudato si“

Das Pfingstfest 2020 sowie den fünften Jahrestag des Erscheinens der ökosozialen Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus nehmen die österreichischen Bischöfe zum Anlass, sich an alle Menschen in Österreich zu wenden. In der aktuellen Phase der Normalisierungsschritte sehen sie den Bedarf einer sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Neuausrichtung der Gesellschaft. Die Bischöfe unterstreichen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und alle psychosozialen Folgen der Corona-Krise die Bedeutung einer Solidarität, die sich den eigenen Herausforderungen stellt, aber auch über die österreichischen und europäischen Grenzen hinausreicht.

„erneuerte Normalität“

Als Leitmotiv haben die Bischöfe sieben Paare von Geistesgaben gewählt – u.a. Versöhnung und Verbundenheit, Wertschätzung und Lernbereitschaft, Achtsamkeit und Entschlossenheit. Diese sollen als Einladung, Auftrag und Befähigung gelten, eine „erneuerte Normalität“ für das Land aktiv mitzugestalten. Die Bischöfe einhellig: „Wir brauchen einen Neuen Geist! Das pfingstliche Ur-Wunder von Verständigung und Aufbruch ist heute möglich – und nötig.“

Bischof Hermann Glettler:
Der Dialog muss zu einem Solidaritätspakt werden
Im Pressegespräch präzisierte Bischof Hermann Glettler die Hintergründe für dieses Hirtenwort. Man wolle das Pfingstfest zum Anlass nehmen die kollektive Geisterfahrung aus der Coronakrise aufgreifen und in der anstrengenden zweiten Phase der Krisenbewältigung das pfingstliche „Ur-Wunder von Verständigung und Aufbruch“ neu zu erbitten. „Als Überschrift und Leitwort haben wir gewählt: Für eine ‚geistvoll erneuerte Normalität‘. Das ist unser Wunsch, nicht nur Rückkehr in den alten Trott, in das Zuviel und Immer-Mehr, kurz in die alten Verhaltensmuster, die uns und die Natur krank gemacht haben. Dazu braucht es Geist!“ so der Innsbrucker Diözesanbischof.
Mit diesem pfingstlichen Hirtenwort wolle man einen neuen „Dialog für Österreich“ anregen, so Glettler weiter, an dem sich möglichst viele Menschen beteiligen sollen, alle politisch und gesellschaftlich Verantwortlichen und alle Kräfte der Zivilgesellschaft. Dieser konstruktive Dialog müsse unbedingt von der Erfahrung derer ausgehen, die am meisten unter der Krise und deren Folgen bisher und vermutlich auch in Zukunft zu leiden hätten, wie etwa Arbeitslose und sozial Benachteiligte, in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdete Unternehmer, Familien mit zusätzlichen Belastungen, Alleinerziehende, psychisch Kranke und Pflegebedürftige. Glettler wörtlich: „Es darf in diesem Dialog natürlich nicht nur beim Reden bleiben. Er muss zu einem Solidaritätspakt werden, in dem neben der aktuellen Hilfestellung – die ja in den unterschiedlichsten Hilfsfonds, Unterstützungszahlungen und Rettungsschirmen ohnehin schon läuft – die zukünftige Verteilung von Arbeit und Sicherung von Lebensunterhalt neu ausverhandelt wird.“

Die Menschen erleben aktuell sehr harte Auseinandersetzungen, einen hohen Pegel an Empörung, Anklage und eine verbissene Suche nach Schuldigen. „Selbstverständlich ist eine nüchterne Aufarbeitung des Vergangenen notwendig und eine lebendige Demokratie lebt von Rede und Gegenrede, von Meinung und Gegenmeinung. Sachbezogene Kritik ist gewünscht und sie anzunehmen, zeugt von Leitungskompetenz. Aber Gehässigkeit und Hochmut können wir uns schlicht nicht leisten. Wir brauchen einen Neuen Geist – in vielen Belangen, auch im Umgang mit konkretem Versagen von Einzelpersonen und Behörden. Nur eine menschliche Fehlerkultur, in der das Eingeständnis von Fehlern wertgeschätzt wird und damit auch einen gemeinsamen Lernertrag liefert, wird uns weiterführen“, so der Bischof.

Gottes Geist kann belebend und ermutigend in den Herzen aller Menschen aktiv werden
Glettler weiter mit dem Blick auf das bevorstehende Pfingstfest: „Ohne den Willen und die Bereitschaft zu einem inneren Neuwerden, zu einem Umdenken und zu einer Umkehr des Herzens wird uns eine ‚geistvoll erneuerte Normalität‘ wohl nicht gelingen. Aber dieses Neuwerden im Geist ist möglich. Ein pfingstliches Geschenk.“
Der Bischof abschließend: „Wir wollen mit diesem Hirtenwort vermitteln, dass es sich in der Öffnung auf einen pfingstlichen Geist hin nicht nur um eine fromme, kirchliche Übung handelt, sondern dass Gottes Geist belebend, inspirierend, korrigierend und vor allem ermutigend in den Herzen aller Menschen aktiv werden kann. Der Hl. Geist ist Gottes Großzügigkeit in Person. Er vermittelt ein Vertrauen, das über die üblichen materiellen Absicherungen und Versicherungen hinausgeht. Ohne Vertrauen und Zuversicht gibt es kein Leben. Und der Geist Gottes ermöglicht eine Verbundenheit, die niemanden übersieht oder ausschließt.“

Umweltbeauftragte Daniela Soier:

Ein nachhaltiger Lebensstil darf nicht die Alternative, sondern muss die „neue Normalität“ sein
Daniela Soier, die Umweltbeauftragte der Diözese Innsbruck, sieht im Hirtenwort eine wichtige Brücke zur Enzyklika „Laudato si“: „Der Pfingsthirtenbrief der Bischöfe wie auch die Enzyklika Laudato si‘ über die Sorge für das gemeinsame Haus unterbreiten keine endgültigen Vorschläge für Krisenzeiten, reichen aber Werkzeuge, um sie zukunftsfähig zu meistern.“ Die Umweltbeauftrage weiter: „Die Bischöfe erinnern in ihrem Pfingsthirtenbrief an die ‚Gaben und Kompetenzen, die wir jetzt in der anstrengenden zweiten Phase der Krisenbewältigung brauchen‘ und die der Heilige Geist schenkt. Es sind Gaben, die auch für die anderen Krisen wie z.B. Umwelt-, Klimawandel-, Demokratiekrise notwendig sind.“
Ein nachhaltiger Lebensstil, ein ökologisch-sozial-ökonomisch verträglicher Lebensstil – dürfe nicht die Alternative, sondern der normale Alltag, die „neue Normalität“, sein, so Soier.

Krankenhausseelsorgerin Hildegard Anegg:

Seelsorge in Coronazeit dank der Aufmerksamkeit der Krankenhausleitungen
Hildegard Anegg, Leiterin der Krankenhausseelsorge der Diözese Innsbruck, spannte den Bogen auf einzelne angeführte Gaben des Heiligen Geistes aus dem Hirtenwort auf die Aufgaben in der Seelsorge in der Coronazeit: „So wie die Vielfalt an Berufsgruppen in den Krankenhäusern herausgefordert war, so war und ist es auch für die Gestaltung der Seelsorge. Dass wir auch in Zeiten des Corona-Virus unseren seelsorgenden Beitrag, hier in der Klinik und in den Krankenhäusern Tirol weit leisten konnten, das ist der Aufmerksamkeit für seelische Bedürfnisse und der unermüdlich vorbereitenden Organisation seitens der Leitungen der Klinik und der Krankenhäuser zu danken. Die von Anfang an auf allen Ebenen kommunizierten notwendigen Maßnahmen zum Wohl der Patienten und aller im Krankenhaus arbeitenden Menschen schafften eine Gleichzeitigkeit der Information, Vertrauen in die Institution, Identifikation im Sinne eines‚ interprofessionellen WIR Gefühls‘. Solidarität auf allen Ebenen!“
Anegg führte weiter an: „ Dass wir uns in unseren beruflichen Alltag sehr regelmäßig mit den Krankenhausleitungen über unser seelsorgliches Angebot und dessen stetige Entwicklung austauschen und übereinstimmen, das bewährt sich gerade in einer solchen Krisenzeit wie jetzt.“
Die Seelsorgerin abschließend: „In diesem vielfältigen Miteinander leisten wir als kirchlich gesendete Frauen und Männer unseren Beitrag, und das kann ich von uns allen Seelsorgerinnen und Seelsorgern sagen, mit Freude und mit ganzem Herzen. Und dafür bin ich dankbar.“

Caritasdirektor Georg Schärmer:

Neue Aufmerksamkeit für Pflege, Beschäftigung und Sorge um verletzliche Menschen
Caritasdirektor Georg Schärmer fordert die richtigen Schlüsse aus den vergangenen Wochen: „Selbst wenn wir die erste Welle der Coronakrise überwunden haben werden, stehen wir vor gewaltigen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Vieles gilt es neu auszu-verhandeln: Zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen, Gesunden und Kranken, Vermögenden und Verarmten, Eingebundenen und Vereinsamten.“
Drei Schauplätze würden vor dem Hintergrund der Krise eine neue Aufmerksamkeit benötigen, so der Caritasdirektor:
„Die nachhaltige Sicherung der Pflege, Betreuung und Begleitung von alten und behinderten Menschen muss Staatsziel Nummer eins werden und schreit schon lange nach einem eigenen Ministerium oder ressortübergreifenden Staatssekretariat.“ Weiteres zeige die hohe Betroffenheit durch die Arbeitslosigkeit, welch enorme Bedeutung es habe, dass Menschen einer Arbeit bzw. Beschäftigung nachgehen dürfen.
Zuletzt hob Schärmer die Sorge um besonders verletzliche Menschen hervor: „Obdachlose, Drogenkranke waren auch in der Krise Stiefkinder. Auch wenn es gelang die Grundversorgung sicher zu stellen, so zeigte sich, dass die gesundheitliche Versorgung und die räumlichen Voraussetzungen zu wünschen übrig lassen. Hier braucht es einen Anschub, sowohl in der Infrastruktur, wie auch in der personellen Ausstattung.“
Schärmer schließt ab: „Wir erleben nicht nur eine neue Normalität, sondern brauchen eine neue Radikalität. Freiheit und Verbindlichkeit sind keine Widersprüche. Wir haben einen langen Weg vor uns. Gemeinsam und mit dem richtigen, lebendigen und belebenden Geist schaffen wir es.“

Online

Der Hirtenbrief ist online unter www.bischofskonferenz.at und www.dibk.at abrufbar.

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