Die Jenischen : "Meine Augen schauen in deine/D'Scheinling spannen in deine"

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Wer sind die Jenische, die in Tirol auch Karrner, Törcher, Dörcher, Laniger und Laninger genannt werden und in der Steiermark und Kärnten "Stirzler"? Allesamt Begriffe, die negativ konnotiert sind. In Österreich sind die Jenischen nach wie vor eine nicht anerkannte Minderheit.

Die Jenischen, die stets in großer Armut lebten, bildeten im Zuge ihres nomadischen Lebens eine eigene Kultur und Sprache heraus. Die Jenischen leben vor allem in Tirol, Vorarlberg und Kärnten. (1)

Die Wanderschaft innerhalb Tirols begann meist im Frühjahr. Die
Wanderrouten gingen von Telfs, Mötz, Haiming nach Nassereith und
Reutte. Dort zweigten die Wege nach Oberbayern, nach Württemberg und
ins Schwabenland ab. Eine weitere Route ging über den Arlberg in den
Raum Bludenz und weiter in Richtung Bodensee. Dort haben sich die
Sippen wieder getroffen. Fremd waren sie nicht nur im eigenen Land,
fremd waren sie auch im fremden Land. (2) Die typischen Berufe der Jenischen waren KorbflechterInnen, PfannenflickerInnen, KesselflickerInnen, BesenbinderInnen, RegenschirmflickerInnen, MesserschleiferInnen,
KupferschmiedInnen, WandermusikerInnen, SchaustellerInnen und viele mehr. Die von ihnen angefertigten Waren brachten sie zu den Bauern und Bäuerinnen, von denen sie dann überwiegend Lebensmittel erhielten. (3)

Simone Schönett, Schriftstellerin und Angehörige der Jenischen, hat zwei Romane verfasst, in denen Sie die Geschichte der Jenischen verarbeitet. („Im Moos“ und „re:mondo“) Beide literarische Figuren in ihren Büchern, Jana und Sara, gehören der dritten Generation an. Ihre Familiengeschichten sind geprägt vom Zusammenbruch der Lebensweise ihrer Eltern und Großeltern als fahrende Händler. Beide sind auf der Suche nach ihrer Identität. Die Romanfigur Jana hört im Radio ein Gedicht des jenischen Lyrikers Romedius Mungenast.

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"Romedius Mungenast war extrem wichtig für die Kultur der Jenischen. Vor allem, weil er die Sprache in seinen Gedichten verschriftlicht und damit konserviert hat." (Simone Schönett in einem Interview für SOS Mitmensch.)
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Im Nationalsozialismus war die Aufgabe der traditionell nomadischen Lebensweise eine Notwendigkeit, um zu überleben. Es gab für Jenische nur zwei Optionen: sesshaft zu werden und jegliche Spuren des fahrenden Lebens zu tilgen oder als „Asoziale“ politisch verfolgt zu werden. Das bedeutete: Konzentrationslager, Zwangssterilisierungen, Kindeswegnahmen. [...] Das hat sich natürlich auf die Familienstrukturen ausgewirkt. Wollte man weiterhin Jenisch sein, dann musste man es geheim halten. Das Leugnen der eigenen Identität wurde zu einer Überlebensstrategie. (4)

Als dann Simone Schönett ihren erster Roman „Im Moos“ publiziert hat, reagierte ihre Familie doch geschockt. Die Jenischen wurden damit ja öffentlich zum Thema.

"In Österreich gibt es junge Jenische, die versuchen, die Tradition des fahrenden Gewerbes wiederzubeleben. Das scheitert dann aber oft an den höchst restriktiven Gewerbevorschriften. Man muss sich mit den Gesetzen gut auskennen, um nicht plötzlich illegal zu sein", sagt Simone Schönett.

Es war wie Schutzmantel, den sie aufgeschnitten hätte, sagt Simone Schönett, als sie nun schon vor einigen Jahren das Schweigen brach und sich öffentlich dazu bekannte, eine Jenische zu sein. Bei jeder Lesung werde sie gefragt, wo die Jenischen herkommen. Und nicht immer werde diese Frage, so ihr Eindruck, ohne Hintergedanken gestellt. "Diese Frage war mir dann irgendwann zuwider, weil immer so mitschwingt für mein Gefühl, die Frage wird mir gestellt, damit man weiß im Bedarfsfall, wohin man mich zurückschickt. Wenn man an Oberwart denkt - das war sogar politisch sehr korrekt -, Roma zurück nach Indien... Und bei uns ist das nicht geklärt, woher wir kommen, also kann man uns nirgends hinschicken, geht nicht, man muss mit uns leben."

Manchmal wird Heimat auch auf Kosten anderer definiert und wird zu einer Geschichte von Ausgrenzung.

"D'Scheinling spannen in deine", formulierte Romedius Mungenast in einem Liebesgedicht. Meine Augen schauen in deine.

(1) Horst Schreiber: Eine Jenische Kindheit in Tirol http://www.gaismair-gesellschaft.at/images/icons/2007_H._SCHREIBER_Eine_Jenische_Kindheit_in_Tirol.pdf

(2) Peter Stöger: Eingegrenzt und ausgegrenzt, Frankfurt am Main, 2002 (3. Aufl.): (S. 178 – 189): 5.3. Jenische https://www.uibk.ac.at/news/romani-traveller-studies/stoeger_lit_roma-ringveranstaltung-herbst2010.pdf

(3) Elisabeth M. Grosinger-Spiss: Jenische in Tirol https://www.uibk.ac.at/iup/buch_pdfs/roma-und-travellers/10.152032936-95-0-17.pdf

(4) Simone Schönett: Meine Familie war geschockt http://www.sosmitmensch.at/site/momagazin/alleausgaben/33/article/708.html

Manfred Wieninger: Das Schweigen der Jenischen, Augustin, 15.07.2005 http://www.augustin.or.at/zeitung/tun-und-lassen/das-schweigen-der-jenischen.html

Willi Wottreng: «Schinagln, bis pegersch», Neue Züricher Zeitung 12.3.2006 http://www.nzz.ch/articleDN875-1.17822

Mirjam Triendl: Der Zorn lacht mir aus dem Gesicht, der Freitag Das Meinungsmedium, 24.12.2004 https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-zorn-lacht-mir-aus-dem-gesicht

Lexikon Literatur in Tirol Romedius Mungenast https://orawww.uibk.ac.at/apex/uprod/f?p=TLL:2:0::::P2_ID:529

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