Fatales Mitleid
Mit „Ungeduld des Herzens“ bieten die Kammerspiele einen weiteren zutiefst bewegenden Theaterabend
Die Katastrophe ist unausweichlich. Daran wird uns Frau Engelmayer, die erzählende Gouvernantenfigur in Thomas Jonigks Theaterfassung von Stefan Zweigs einzigem Roman „Ungeduld des Herzens“ mehrfach an diesem besonderen Theaterabend erinnern. Edith wird sich in den Tod stürzen, Millionen andere im ebenfalls kurz bevorstehenden Ersten Weltkrieg ihr Leben lassen oder dann als schwerst Versehrte zurückkehren. Insofern erscheint Leutnant Hofmillers Scheitern an Ediths Behinderung wie die paradigmatische Vorwegnahme des Unheils eines ganzen Jahrhunderts. Zunächst eröffnet ihm Ediths Zustand freilich die einzigartige Möglichkeit, um sich trotz seiner armen Herkunft im Hause von Ediths reicher Familie als sehnsüchtig erwarteter Dauergast zu profilieren. Anders als Frau Engelmayer, die ihren Schützling ganz und gar unsentimental als schöne Lahme bezeichnet, will Hofmiller vordergründig nichts falsch machen und löst gerade dadurch Ediths Freitod aus. Susanne Schmelcher hat diese faszinierende Studie über die Fatalität unechter Gefühle, die Zweig als Ungeduld des Herzens bezeichnete, mit einem hochengagierten Ensemble ungemein nuanciert in Szene gesetzt. Die ritualisierten Begegnungen finden etwa ihre Entsprechung und Fortsetzung in den Loops der dargebotenen Hausmusik, das qualvolle Wechselspiel von Sehnsucht, Misstrauen und Todesahnung spiegelt sich nicht zuletzt auch in den Kostümen Ediths und ihrer Cousine Ilona wieder (Ausstattung: Marion Hauer). Und wenn Marion Fuhs als Edith verzweifelt um Selbstbestimmung ringend quer über die Bühne robbt, dann geht einem das durch und durch. Von Christine Frei
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