"Hetze" oder "Wahrheit": Kampf um Deutung der Realität

5Bilder

Ist unsere Gesellschaft gespalten? Bei Reizthemen wie "Sicherheit" prallen im Internet unterschiedliche Erlebenswelten aufeinander – auch in Innsbruck

INNSBRUCK. "Das ist Hetze – Journalismus auf unterstem Niveau" oder "Endlich oa Zeitung, die sich traut die Wahrheit zu schreiben". Größer hätte die Bandbreite der Reaktionen kaum sein können. Am vergangenen Samstag ging auf der Homepage des STADTBLATT Innsbruck von 10.00 bis 17.00 Uhr ein Artikel online. Der Titel: "In Innsbruck ist niemand mehr sicher" – siehe Bild 1. Der Artikel bezog sich auf eine Reihe von Vorkommnissen (ein Raubüberfall und mehrere Einbrüche), welche sich in der Nacht von Freitag auf Samstag ereignet hatten.

Gezielte Provokation

Die Vorfälle, von welchen der Bericht handelte, wurde unverändert aus den Pressemeldungen der Landespolizeidirekion Tirol übernommen (Quelle: http://www.polizei.gv.at/tirol/presse/aussendungen/presse.aspx). Die ergänzende, einleitende Schlussfolgerung war jedoch ein wertender Kommentar des Autors. Die provokante Formulierung: "Die Sicherheitslage in Innsbruck eskaliert. Bewaffnete Raubüberfälle sind mittlerweile alltäglich geworden, Einbrüche sowieso."

Volkes Mund tut Wahrheit kund?

Die Wortwahl entstammt sinngemäß einem Gespräch, das der Autor am Samstagmorgen in einem Innsbrucker Frühstückscafé mitangehört hatte. Dort unterhielten sich zwei Frauen (beide schätzungsweise zwischen 30 und 40) sehr intensiv über die Medienberichte zum Raubüberfall. Beide betonten, sich "Nachts in Innsbruck nicht mehr sicher zu fühlen". Nach dem Motto "Volkes Mund tut Wahrheit kund" fand diese subjektive Einschätzung der beiden mutmaßlichen Innsbruckerinnen Eingang in den Artikel – ganz klar als Provokation gedacht. Einerseits um zu testen, wie verbreitet die Einschätzung der beiden Frauen ist. Andererseits um zu zeigen, wie heutzutage die Informationsverbreitung in sozialen Netzwerken funktioniert.

Extrem hohe Zugriffszahlen

Das Ergebnis war durchaus überraschend. Während unkommentierte Polizeimeldungen zumeist auf geringes Interesse stoßen, führte die provokante, 14- zeilige Einleitung zu einem signifikanten Anstieg der Zugriffszahlen. Binnen fünf Stunden erreichte die Meldung, welche auch über die Facebook-Seite des STADTBLATTes geteilt wurde, etwa 8.000 Personen und wurde 36 mal geteilt (siehe Bild 2).

Heftige Reaktionen

Weniger überraschend waren die heftigen Reaktionen auf den Artikel (die Diskussion wurde während der gesammten Zeit von der Redaktion mitgelesen und begleitet). Diese reichten von totaler Ablehnung des Geschriebenen (etwa 70 % der Kommentare) bis zu absoluter Unterstützung der aufgestellten Schlussfolgerungen. Wobei die Formulierung "von, bis" hier nicht wirklich zutreffend ist. Denn Kommentare zwischen diesen beiden Positionen gab es keine.

Vorgefasste Meinungen, wenig Diskussion

Auffallend war zudem, dass die Diskussionsteilnehmer sehr aggressiv auf die jeweils gegenteilige Meinung reagierten – "Hetzer und Angstmacher" gegen "blauäugige Gutmenschen". Eine echte Diskussion über die Sicherheitslage in Innsbruck entwickelte sich kaum, wobei zu erwähnen ist, dass einige Leser anhand von Kriminalstatistiken des BM.I versuchten, eine sachliche Komponente in die Diskussion einzubringen. Auf eine erläuternde Erklärung des STADTBLATTes (zusätzliches Facebook-Post plus erklärender Kommentar bei der ursprünglichen Meldung), wonach der Artikel den Sinn hatte, zu testen wie sich "eine boulevardeske Aufmachung einer simplen Polizeimeldung auf die Leserzahlen auswirkt" (veröffentlicht etwa zwei Stunden, nachdem die erste Meldung online ging – siehe Bild 3), fand nicht annähernd das selbe Echo

Gefühlte Realitäten

In der Analyse zeigt sich, dass bei Reizthemen wie "Sicherheit" die Wahrnehmung der Bevölkerung sehr unterschiedlich ist. Auffallend dabei ist, dass sich besonders jene besonders laut artikulieren, die eine der beiden Extrempositionen einnehmen. Im politischen Diskurs spielen diese zugespitzten Standpunkte eine immer größere Rolle – wie sich nicht zuletzt bei der gestrigen Wiener Landtagswahl gezeigt hat. Auch in Innsbruck tobt ein Kampf um die subjektive Wahrnehmung der Menschen. Während die FPÖ (siehe Bild 4) vor allem jene ansprechen möchte, bei denen die Sorgen und Ängste im Vordergrund stehen, sind es auf der Gegenseite vor allem die Grünen (siehe Bild 5), die versuchen darzustellen, dass diese Ängste unbegründet seien.

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Folge uns auf:

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.