Eine Frage der Verantwortung

"Sophie und ich" im Innsbrucker Bogentheater | Foto: Bogentheater

Erst zuletzt erfahren wir, warum Autorin Ursula Kohlert ausgerechnet Traudl Junge, also Hitlers Sekretärin, die durch André Hellers Dokumentarfilm „'Im toten Winkel“ späte Bekanntheit erreichte, und die Widerstandskämpferin Sophie Scholl in einem Stück fiktiv aufeinander treffen lässt. Junge, so lesen wir, sei eines Tages an Scholls Gedenktafel vorbei gegangen. Da habe sie gesehen, dass Scholl ihr Jahrgang war und sie in eben jenem Jahr, in dem sie selbst zu Hitler kam, hingerichtet wurde. Und sie erzählt weiter: „in dem Moment habe ich gespürt, dass das keine Entschuldigung ist, jung zu sein, sondern dass man auch hätte vielleicht Dinge erfahren können.“ In Kohlerts Stück „Sophie und ich“ begegnen sich Traudl und Sophie erstmals als ganz junge Frauen bei einem für die damalige Zeit so typischen BDM-Lager. Sie üben mit dem Reifen, rauchen ihre erste Zigarette, tauschen sich über ihre heimlichen Träume aus, halten die Nazis zwar für suspekt, finden aber die Idee dahinter gut und sehen sich beide als Teil der Zukunft Deutschlands. Selbst ein kritisches Liedchen über den Anstreicher Hitler, das Sophie Traudl vorsingt, löst noch bei beiden Heiterkeit aus. Doch die Träume beider jungen Frauen – Traudl möchte unbedingt zum Theater, Sophie will in München Philosophie studieren – zerplatzen schon bald wie Seifenblasen, ab Kriegsbeginn haben sie nur noch dem System zu dienen. Genau an diesem Punkt trennen sich auch ihre Lebenswege: Sophie wurde mit der Weißen Rose zur Ikone der Widerstandsbewegung gegen das NS-Regime, Traudl landete durch Zufall als eine von Hitlers vier Privatsekretärinnen in dessen Vorzimmer und tippte am 28. April 1945 sogar sein politisches und privates Testament. Ursula Kohlert lässt die Frauen in insgesamt vier markanten Szenen aufeinander treffen, in der letzen erscheint Sophie der vom Krieg und insbesondere Hitlers feigem Abgang schwer traumatisierten Traudl nur noch im Traum. Das zentrale Thema des Stückes ist dabei nicht nur die Verantwortung, der man sich mit vermeintlich einleuchtenden Argumenten natürlich immer irgendwie entziehen kann, sondern viel mehr das genaue Hinsehen und eben nicht alles hinnehmen, was einem als Glaubenssatz auferlegt wird. Selbst wenn der eine oder andere Dialog zu sehr aus der Sicht der Jetztzeit geschrieben ist, so ist das Stück ausgesprochen klug ersonnen. Und Katharina Schwaiger hat es mit Natascha Bonosevich als Sophie und Julica Möck als Traudl ungemein engagiert und sensibel umgesetzt. Die beiden sehen ihren Figuren nicht nur frappierend ähnlich, sie spielen sie mit geradezu beeindruckender Emphase. Videozuspielen im Wochenschau-Stil und Livemusik aus eben jener Zeit (Alex Deltedesco am Keyboard) markieren dabei die jeweiligen Zeitsprünge. An der seitlichen Wand ist zudem eine Tafel angebracht, mit einigen überaus prominenten widerständigen Köpfen der Gegenwart, von Ai Weiwei bis Jan Böhmermann. Denn schnell wird klar: Sophies kritische Fragen gelten uns allen, mehr denn je.

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