Ali Mahlodji: "Man muss Kinder nicht reparieren"
Warum man sich bei der Jobwahl nicht stressen soll und dass es purer Zufall ist, von wo im Leben man startet, erklärt Whatchado-Gründer und EU-Jugendbotschafter Ali Mahlodji.
ST. RUPRECHT (vep). Ali Mahlodjis Videoplattform Whatchado ist ein Handbuch für Lebensgeschichten: Hier erzählen mittlerweile fast 6.000 Menschen ihre Erfolgsstorys und geben anderen so einen persönlichen Einblick in ihr Berufbild. Ali Mahlodji ist mit seinen Eltern aus dem Iran geflohen und im Flüchtlingslager Traiskirchen aufgewachsen und hat mit seinen 35 Jahren mehr als 42 Berufe ausprobiert, bis er jenen gefunden hat, der zu ihm passt. Mit Whatchado will er jungen Menschen jene Orientierung geben, die er als Jugendlicher oft vermisst hat. Seit drei Jahren setzt sich Mahlodji auch als EU-Jugendbotschafter für die Belange junger Menschen ein. Obwohl nun vielbeschäftiger CEO, tourt er regelmäßig durch Schulen und versucht, Jugendliche zu motivieren. Letztes Jahr hat er 60.000 Schüler besucht, gerade hielt er einen Vortrag in der NMS St. Ruprecht.
Bloß keinen Stress
Mahlodji legt besonderen Wert darauf, den Jugendlichen bei ihrer Berufswahl zu vermitteln: "Stresst euch nicht!" Denn man könne nicht alle Jobs auf der Welt kennen. Viele der Berufe, die aktuell 11-Jährige in zehn Jahren ausüben werden, gibt es noch nicht einmal, laut einer Studie sind das sogar 65%. "Deshalb ist es so wichtig, seine Interessen zu kennen. Sie sind ein guter Kompass dafür, was einem liegt", so Mahlodji.
Man muss die Kinder nicht reparieren
Mahlodji ist auch oft in sogenannten Problemschulen zu Gast. Obwohl heute vermittelt wird, jeder hätte alle Möglichkeiten, ist es nach wie vor so, dass Kinder aus bildungsferneren Schichten nicht unbedingt die große Karriere hinlegen. Dem entgegnet Mahlodji: "Die Vergangenheit der Eltern hat nichts mit der Zukunft der Kinder zu tun. Wer unter welchen Bedingungen in die Welt startet – das ist purer Zufall. Wichtig ist, jedem Kind, egal, wo es herkommt, zu vermitteln, dass es gut genug ist – nämlich genau so, wie es ist." Und man dürfe den Jugendlichen keinesfalls das Gefühl geben, sie reparieren zu wollen.
"Jugendliche müssen an sich selbst glauben, dann agieren sie sehr selbstwirksam in dieser Welt. Genau diese Eigenschaft brauchen die Unternehmen."
Auf Augenhöhe begegnen
Besonders bei Jugendlichen, die keine Perspektiven haben, die frustriert, ja vielleicht aggressiv sind, ist es laut Mahlodji wichtig, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. "Man muss ihre Sprache sprechen, ihnen auf Augenhöhe begegnen und zeigen, dass man ihre Wut versteht. Erwachsene glauben oft zu wissen, was für diese Kinder gut ist und wollen sie belehren, wenn sie schon in der Ecke stehen. Das ist der falsche Weg", sagt der Whatchado-Chef. Denn behandelt man Jugendliche wie ein Problem, werden sie auch zum Problem.
Erwachsene fahren Welt gegen die Wand
Deshalb versucht Mahlodji allen Jugendlichen stets zu vermitteln, dass sie es sind, die in zehn Jahren als Erwachsene die Zukunft dieser Welt gestalten. "Ich schaue zu, wie die bestehenden Erwachsenen diese Welt gegen die Wand fahren. Wir haben gerade so viele Probleme: Arm-reich, Klima, links-rechts – all das haben die heutigen Erwachsenen und Experten verursacht. Auf wen soll ich dann setzen, wenn ich eine bessere Welt will? Genau: Auf die Jugendlichen, die in zehn Jahren Politiker, Chefs, Väter und Mütter sind", erläutert Mahlodji sein Engagement für junge Menschen.
Mit Whatchado will Mahlodji gesellschaftspolitisch etwas bewegen: "Und das geht nur aus der Mitte heraus. Die Jugend ist die Mitte."
"Mir macht die Sichtweise Angst"
Als ehemaliges Flüchtlingskind beobachtet Mahlodji die aktuelle Migrationsthematik skeptisch. "Mir macht die Sichtweise der Leute Angst", sagt er und rät zu mehr Gelassenheit bei dieser Thematik. "Unter Schülern funktioniert die Integration besser, Kinder haben keine nationalen Barrieren im Kopf", so Mahlodji, der selbst bis zu seinem 10. Lebensjahr Kleidung der Caritas getragen hat. "Die Menschen, die herkommen, sind nicht böse und wollen das Land ruinieren, sie haben Angst und müssen sich zurechtfinden", appelliert er weiter. Laut Mahlodji hätten wir kein Flüchtlingsproblem, sondern lediglich ein Problem damit, wie wir mit der Thematik umgehen. "Das wichtigste, das weiß ich aus eigener Erfahrung, ist die Sprache, ohne sie ist keine Integration möglich. Auch wir haben zuhause alle nur noch Deutsch gesprochen, ohne unsere Kultur aufzugeben", erzählt Mahlodji. Gerade deshalb sei es so wichtig, in den Schulen Ressourcen aufzustocken. "Ich habe mit so vielen gesprochen, die Lehrer sind am Limit, für zusätzliche Betreuung, um Sprache und schulische Grundlagen aufzuholen, fehlen einfach die Ressourcen."
Zur Sache:
Im Jänner 2012 gründete Ali Mahlodji die Videoplattform whatchado.com
Hier sprechen Menschen darüber, wie sie zu ihrem Beruf gekommen sind und was ihn ausmacht. Es werden immer die gleichen fünf Fragen gestellt – so macht es die Berufe vergleichbar.
5.800 Job-Interviews aus über 100 Nationen sind auf der Videoplattform derzeit zu sehen.
60 Mitarbeiter aus 15 Nationen beschäftigt er heute – in vier Ländern.
42 Jobs übte der 35-jährige Mahlodji aus, bevor er Whatchado-Chef wurde.
Whatchado wurde für 14-Jährige gegründet, um ihnen eine Berufsorientierung zu verschaffen. Genutzt wird es aber derzeit stark von 20-35-Jährigen, die sich nach ihrer Ausbildung weiter orientieren wollen.
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