Corona-Proteste
Was würde Theodor Adorno zu diesem Protest-Mix sagen?
KLAGENFURT, KÄRNTEN. Die Woche hat den Experten für Protestkultur, Klaus Schönberger von der Alpen-Adria-Universität zur aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen befragt.
Woche: Was sagen Sie als Experte für Protestkultur zur aktuellen Entwicklung?
Ich habe mich in den letzten Tagen Wochen intensiv damit auseinandergesetzt, was diese Protestkultur ausmacht. Die Analysen ergeben, dass es eine sehr toxische Mischung zwischen linker Kultur, dazu gehören die einstige pseudolinke Kultur und Impfgegnergruppen, die es immer schon gab und Rechtsextremen ist. Durch die Rechtsextremen bekommt das ein Drehmoment, sie schaffen es, die Gruppen zu mobilisieren kann, können ihnen einen Rahmen zu bieten. Deswegen weigern sich auch manche, sich von ihnen zu distanzieren. Es bleibt eine spannende Frage, warum Linke mit Rechten zusammen auf die Straße gehen.
Es ist der Versuch der FPÖ, der die Themen abhanden gekommen sind, über diesen Weg die Menschen zu erreichen. Die FPÖ auf der einen Seite, die Rechtsextremen, Identitären und andererseits die klassische Impfgegnerbewegung, die aus einem anthroposophischen links-alternativen Milieu kommen. Hier muss man mit dem Begriff links-alternativ vorsichtig sein. Man ist schon sehr erstaunt, wer aus seinem Freundeskreis, wo gelandet ist. Das hat zu Verwerfungen geführt. Die Verknüpfung zwischen FPÖ und Grüne ist historisch gewachsen. Das spannende Moment ist: Dass die aktuelle Diskussion auf den Körper zielt. Ich kann keine gesicherte Analyse liefern, ich habe dazu nur Vermutungen, die mit der Rolle des Körpers zu tun haben und dem Orientierungsverlust zu tun haben. Hier amalgamieren so viele Elemente in dieser Bewegung. Das Interessante ist, warum sie zusammen auf der Straße sind. Meine Vermutung: Die Exekutive setzt das Recht gerade nicht durch. Bei jeder anderen Demonstration, die sich gegen Anordnungen und Bestimmungen widersetzt, weiß die Polizei sofort, was zu tun ist. Es ist kein Problem, eine Demonstration am Anfangen zu hindern, wenn z. B. nicht der Maskenpflicht entsprochen wird. Es hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die Teilnehmer nicht mehr die üblichen Verdächtigen sind. Sie sind sozial und politisch nicht mehr eindeutig einzuordnen. Das ist eine Überlegung, warum die Exekutive nicht handelt. Es gäbe genug Begründungen, warum man das Demonstrationsrecht tangiert. Die Teilnehmer halten sich nicht an Recht und Gesetz. Es wird mit Verhältnismäßigkeit argumentiert. Ich war schon auf vielen Demonstrationen, bei denen verhältnismäßig wenig Gefährdung für die öffentliche Ordnung ausging, die sofort gestoppt wurde. Das ist ein Skandal, es ist aber in anderen Ländern wie Deutschland oder Schweiz nicht anders.
Worin sehen Sie die größten Schwierigkeiten?
Die größten Schwierigkeiten sehe ich dort, wo große Teile dieser Gruppen mit expliziten Neonazis zu marschieren und diese nicht aus ihrer Demonstration holen und sagen: „Hier läuft ihr nicht mit“. Man kann ja sagen: Ich kann doch nichts dafür, dass die auch Impfgegner sind. Man kann doch von jedem Staatsbürger verlangen, dass sie/er sich von diesen Kräften fernhält. Sie werden subsumiert und dann beklagen sie sich, dass man diffamiert wird. Es wäre ein Einfaches, klare Grenzen zu formulieren.
Wie sind die Lügenpresse-Rufe einzuordnen?
Was den Medienmachern und mit dem Phänomen der Lügenpresse-Rufe geschieht, verweist in Deutschland auf AFD und Pegida und spezifische Gruppierungen, die im klassischen rechtsextremen Kontext unterwegs sind. Interessant ist, dass es bei uns mit der FPÖ eine Partei gibt, die eine erhebliche Zahl von Wählerinnen und Wählern mobilisieren kann und sich damit verbündet. Herbert Kickl war bis vor kurzem noch Teil der Bundesregierung.
Martin Rutter wird ja eine extreme Nähe zu den Identitären zugeschrieben. Rutter kann die Brücke von der Ulrichsbergegemeinschaft über die Identitären hin zu den Impfgegnern schlagen. Er ist in der Lage diese zu bündeln, er kann die Gruppen mobilisieren.
Ist es nicht legitim, dass Menschen auf die Straße gehen?
Es ist legitim unter Coronabedingungen zu demonstrieren. Allerdings gab es immer Auflagen des Rechtsstaates. Es gibt immer gute Gründe Medien und Politik zu kritisieren. Es geht aber dabei nicht um spezifische Inhalte, sondern um ein Unbehagen an der gegenwärtigen Situation.
Es ist eine Illusion zu glauben, dass diese Menschen aufklärbar sind. In Basel hat eine Soziologin eine Untersuchung zu diesen Bewegungen durchgeführt. Sie konnte feststellen, dass sie dabei an eine Grenze gekommen ist. Diese Menschen leben in einer Welt, sind auch nicht dumm. Das Leben in einer Blase wird ermöglicht durch das Vernetzen vom Digitalen ins reale Leben. Wenn es ihnen gelingt tausende Menschen auf die Straße zu bringen, hat es eine andere Bedeutung. Dann ist es an der Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. Ich weiß aus der linken Szene, dass die Angst vor der Pandemie haben, die haben sonst nicht einmal Angst vor Polizeiknüppeln, jedoch vor dem Coronavirus haben sie Angst.
Der Körper ist der Moment wo sich die aktuellen Entwicklungen und Ängste offenbaren, das ist für mich der Hintergrund, warum es das Impfen ist. Ich glaube, die Menschen hätten viele gute Gründe auf die Straße zu gehen. Die Intellektuellenfeindlichkeit der Rechtsextremen kommt hier wieder zum Vorschein. Viele meiner Kollegen halten das nicht aus. Dann sind wir beim Projekt Aufklärung am Ende angelangt. Wir können sicher nicht alle Fragen beantworten. Suchende werden jetzt jedoch heftig kritisiert, das fällt mir hier extrem auf.
Werden die Demonstrationen extremer?
Das hängt ganz von uns, der Zivilgesellschaft ab, ob wir es schaffen diese Strömungen zu neutralisieren. Wenn es nicht gelingt, andere Stimmen sicht – und hörbar zu machen, weiß ich nicht wohin es geht. Dazu kann ich keine Prognose abgeben.
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